16 Oct BestAger Interview Richard Kaan
Last Updated on 2024-10-16
wir-bestager.jetzt / Jörg Schaden, 15.09.2023
Unser Gesprächspartner in diesem BestAger Interview ist Ing. Richard Kaan, MSc. MA, Buchautor, Speaker, Unternehmer und Botschafter für das Tätigsein im Alter. Wir treffen Richard in seinem Studio in Graz.
Unsere BestAger Interviews stellen Menschen um die 60 Plus vor – sie berichten über ihren Lebensweg und ihre Pläne für die nächsten 20-30 Jahre. Hier lernen wir aktive BestAger ganz privat kennen, möchten zu weiterer Tätigkeit motivieren und das überholte Bild der Menschen unserer Generation der Realität anzupassen.
Wie immer zu Beginn unsere Transparenzregel: unser erster Kontakt erfolgte über das Internet, genauer über LinkedIn – wir sind aufeinander aufmerksam geworden, da uns ähnliche Themen und Motive antreiben. Nach Mails und Telefonaten hin und her treffen wir uns heute das erste Mal persönlich. Und gehen gleich in medias res.
Lieber Richard, du bist ja unter anderem mehrfacher Buchautor und bezeichnest dich als Botschafter für das Tätigsein im Alter. Was darf sich ein Best-Ager darunter vorstellen? Was verstehst du unter Botschafter?
Soll ich nur mehr auf den Tod warten – das war meine Überlegung. Wir Älteren haben ja auch keine Lobby – durch die Pensionistenverbände oder -vereinigungen, wie immer sie heißen mögen, sind wir nur teilweise vertreten.
Es geht nicht nur darum, mehr Pension zu bekommen, was natürlich auch wichtig ist – in Relation haben wir in Österreich übrigens ein Drittel höhere Pensionen als in Deutschland, auch wenn man wahrscheinlich von beiden nicht wirklich gut leben kann.
Mir ist wichtig zu vermitteln, die „Paradies Pension“ ist nicht das Ende unserer Laufbahn.
Wir haben noch 20, 30, 40 Jahre vor uns – hoffentlich – und ich will mindestens noch 20, 25 Jahre davon arbeiten und möchte das teilen, möchte den Leuten sagen: liebe Leute, nur mehr reisen oder Keller räumen oder Zaun streichen, das ist bald vorbei. Spätestens nach zwölf Monaten hat es sich ausgereist, ist der Keller nicht geräumt und der Zaun schaut immer noch gleich aus wie vorher. Und übertrieben gesagt, sagt vielleicht die Partnerin oder der Partner, ich will nicht 24 Stunden mit dir zusammenhängen, mach doch irgendwas.
Ich habe drei Zielgruppen:
- Die eine Zielgruppe sind die Menschenselber, sie zu bewegen und zu sagen: tut etwas! Tut etwas, ihr habt noch so viel Zeit. Macht einen Tag in der Woche, zwei Tage in der Woche, für ein Projekt oder Ähnliches.
- Die zweite Zielgruppe ist die Öffentlichkeit. Ich bin ein bisschen als Lobbyist unterwegs und wenn ich mit der Gewerkschaft rede oder mit der Wirtschaftskammer oder mit einem Politiker, sage ich: bitte schaut doch, dass die älteren Leute arbeiten dürfen und nicht demotiviert werden, indem man ihnen so viele Auflagen und Erschwernisse vor die Füße wirft. 30-40% der Pensionierten würden gerne weiterarbeiten. Schon ein Freibetrag von € 1.000.— als Zuverdienst in der Pension würde viele Menschen animieren, wieder tätig zu sein.
- Und das dritte, ganz wichtig, sind die Firmen, denen ich in Vorträgen versuche klarzumachen, wie wahnsinnig wichtig es ist, ältere Leute adäquat zu beschäftigen und ihnen rechtzeitig ein Angebot zu machen. Vielleicht schon mit 50, 55 zu sagen, lieber Mitarbeiter, liebe Mitarbeiterin, was möchtest du in Zukunft machen? Was würdest du in 5, 6, 7 Jahren tun wollen? Willst du überhaupt, dann denke’ darüber nach, wir signalisieren, wir hätten dich gerne.
Daher betrachte ich mich unter Anführungszeichen als Botschafter.
In einem deiner Bücher schreibst du, du warst in den 90er Jahren zu den Olympischen Spielen der Senioren in USA eingeladen und ein Tenor war „it’s never too late to feel great“. Was unterscheidet denn Senioren in den USA von denen hierzulande?
Ich muss hier ein bisschen korrigieren. Nicht ich war eingeladen, sondern ich habe Menschen gebeten, mir Geschichten zu erzählen und das war eine davon.
Ich glaube, uns unterscheidet ganz viel vom Altwerden im angelsächsischen Raum. Sicherlich auch, weil wir die geniale Einführung einer Pension haben, einer Grundversorgung. Die Menschen im angelsächsischen Bereich, sprich in Amerika, in England, aber auch in Australien, müssen weiterarbeiten. Die können nicht aufhören, haben oft zwei, drei, vier Jobs um ihr Leben zu finanzieren. Für sie ist es nicht selbstverständlich, dass man mit 60 oder 65 einfach alles fallen lässt. Wir haben also ein völlig anderes Mindset, aber auch eine andere wirtschaftliche Notwendigkeit.
Die nächste Frage geht in eine andere Richtung. Du bist ja bereits Best Ager, wie wir es definieren, also schon etwas mehr über 50 Plus. Hattest du deinen Unruhestand lange geplant? Welche Schlüsselerlebnisse haben dich dazu gebracht? War das ein langer Prozess oder war das einfach ein Klick?
Das war wahrscheinlich beides. Wie die meisten Menschen in meiner Generation bereiten wir uns viel zu wenig darauf vor. Wir sollten spätestens mit 55 darüber nachdenken, was wollen wir mit 65 machen? Das, was für mich der Klick war, von dem du gesprochen hast, war, als ich meinen Pensionsbescheid bekommen habe – also von Amts wegen für alt erklärt worden bin. Das klingt fast so wie entmündigt.
Wenn du hingehst in meinem Alter und willst eine Wohnung mieten: wird nicht einfach. Wenn du einen Kredit haben willst bei der Bank: nicht einfach. Heute erkundigen sich die Banker sehr freundlich nach meiner Gesundheit, wie es mir so geht, weil ich noch Kredite laufen habe, aber wenn ich einen größeren Kredit haben wollte, kriege ich ihn nicht. Das heißt, in vielen Bereichen sind wir diskriminiert.
Ich habe also den Pensionsbescheid bekommen, bin zur Pensionsversicherungsanstalt gegangen und habe gefragt: darf ich noch arbeiten? Worauf der dortige Beamte gesagt hat, naja, gern sehen wir das nicht. Meine ersten Gedanken waren nicht nur „fein, ich kriege jetzt ein arbeitsloses Einkommen“, sondern „ich war 40, 45 Jahre Unternehmer, jetzt soll ich mich komplett zurückziehen und sagen, ich kann nichts mehr, ich mache nichts mehr? Das will ich nicht. Ich will noch 20, 25, 30 Jahre arbeiten“.
Die Frage war, was. Du hast vielleicht gelesen, ich habe Autos zuerst konstruiert, dann 30 Jahre Autos restauriert. Dann habe ich die Seiten gewechselt und war Sachverständiger, Aber was soll ich als Sachverständiger mit 85? Ich komme zwar unters Auto, aber rauf komme ich nicht mehr.
Also habe ich beschlossen, etwas ganz anderes zu machen. Ich will zwar weiterarbeiten, aber in einem ganz neuen, dritten Berufsfeld. Jetzt lebe ich vom Wort in Form von Schreiben und Vorträgen.
Bücherschreiben, Impulsvorträge, woher kam die Idee und was steckt dahinter? Du hast mittlerweile schon drei, neben dem Buch über Oldtimer, zwei Bücher zum Thema Alter geschrieben.
Und das dritte kommt demnächst heraus. Wenn wir meine zwei Masterthesen dazunehmen, dann sind es bald acht Bücher, die ich geschrieben habe.
Was soll ich sagen? Vielleicht, weil ich in Deutsch immer einen Fünfer hatte. Meine Lehrer waren vielleicht nicht die besten und ich war sicher auch nicht der beste Schüler.
Ich habe immer schon gern geschrieben. Ich habe vorher Gedichte geschrieben und wenn ich eine junge Dame angehimmelt habe, habe ich ihr ein Gedicht geschrieben. Manchmal war es erfolgreich, meistens weniger. Einmal war es besonders erfolgreich, mit der Dame bin ich jetzt seit 40 Jahren verheiratet.
Ja, ich schreibe sehr gern. Ich ziehe mich komplett zurück. Ich will niemanden sehen, ich will niemanden hören, ich grabe mich in dieses Buch ein. Ich sammle im Vorfeld alles, was ich so finde. Ich habe immer einen Zettel in meinem Hosensack bzw. mein Handy, wo ich irgendwas aufschreibe. Wenn es dann darum geht, ein bestimmtes Thema zu bespielen, mache ich meine Mindmap auf mit 100 Ideen.
Ich habe mich auch selber unter Druck gesetzt, indem ich herumerzählt habe, ich beginne jetzt Bücher zu schreiben. Da war die Erwartungshaltung natürlich groß: „was ist mit dem Buch, ist das Buch schon da?“ Ich bin sehr, sehr konzentriert bei der Arbeit und falle in das Thema hinein. Momentan ergibt es sich, dass ich pro Jahre fast ein Buch schreibe. Der Plan war, alle zwei Jahre ein Buch. Wir werden sehen, wie es weitergeht.
In einem deiner Bücher, das 2021 veröffentlicht wurde mit dem Titel „Ich muss fast nichts, darf aber alles, beschwingt altern“ geht es in einem Kapitel um Freundschaften. Du schreibst: „Kümmern Sie sich um Ihre Freunde, trennen sie sich von schlechten Freunden, denn deren Gedanken und Gehabe sind ansteckend wie faule Äpfel in einer Kiste“. Ist das nicht ein sehr radikaler Ansatz, gerade in unserer Lebensphase sind doch Freunde ganz wichtig für soziale Kontakte, die ja eher weniger werden.
Ich kenne 5000 Leute. Aber Freunde habe ich zwei. Und Freund ist für mich auf einer Ebene mit meiner Partnerin, meiner Ehefrau. Das sind Menschen, auf die man sich absolut verlassen kann. Mit ihnen kann man alles teilen – aber du wirst verletzlich, du lieferst dich aus. Ich glaube, jeder von uns hat in seinem Umfeld Menschen, die sich vielleicht als Freunde von dir bezeichnen oder die du als solche siehst, aber in Wirklichkeit sind es bessere Bekannte. Und natürlich habe ich in vielen Lebensjahrzehnten schon Dinge erlebt, wo ich grenzenlos enttäuscht worden bin. Wenn das Vertrauen einmal weg ist, dann musst du dich von solchen Menschen trennen, das Vertrauen kommt nie wieder.
Ich glaube, es ist besser, wenn man sich frei macht und anderen Menschen zuwendet. Das ergibt einen größeren Fokus. Also ich gebe dir recht, der Ansatz ist radikal, aber ich bleibe dabei. Wir haben nicht mehr alle Zeit der Welt. Und schlechte Freundschaften sind toxisch und tun weh.
In diesem Buch, das ich früher genannt habe, nimmst du Anleihe bei Shakespeares „Wie es euch gefällt“ und seinen L’s: Leben, Lernen, Laufen, Lachen, Lieben. Wenn du dich für eines dieser L’s entscheiden müsstest, welches wäre für dich das Wichtigste?
Lieben. Lieben, eindeutig. Sowohl kriegen als auch geben.
Gut, das ist schnell beantwortet. Beim Kapitel Lernen bin ich bei einem sehr schönen Zitat hängen geblieben. „Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem Kinder lesen“. Hat mir sehr gut gefallen und vor allem war für mich der Link hin zur Digitalisierung interessant.
Man kann als BestAger vieles für die Nachwelt, die jüngere Generation aufbereiten oder hinterlassen, aber man muss sich mit der digitalen Welt auseinandersetzen, auf ihren Instrumenten spielen lernen.
Oder du holst dir Hilfe dazu. Ich glaube, dass wir manche Dinge digital nicht mehr beherrschen können. Dafür gibt es junge Leute, dafür gibt es Fachleute, Kinder, Enkel etc. Wir sollen uns auf die Sachen konzentrieren, die wir gut können. Klar, wir Alten wissen, alles besser, aber das Einbeziehen von Jungen ist befruchtend und beide Seiten profitieren davon.
Eine Grunddigitalisierung ist heute allerdings notwendig, aber die muss nicht besonders hoch sein.
Ich bin über einen anderen Satz gestolpert: “Du musst nur dran glauben“. Du nennst als Beispiel einen BestAger, der sich einfach einen Wald kauft und seine Erfüllung jetzt mit der Hege, dem Schlägern von Holz und seiner Vermarktung findet. Ist es wirklich so easy? Nicht jeder kann sich einfach einen Wald kaufen.
Nein, natürlich, das ist simplifiziert. Ich habe diesen Spruch vom Rallye-Weltmeister Manfred Stohl übernommen und da war es wirklich wörtlich gemeint: wenn du zu schnell in eine Kurve hineinfährst und du glaubst daran, dass du rausfliegst, fliegst du raus. Und wenn du tiefst überzeugt bist, du kommst durch, kommst du durch, obwohl du viel zu schnell bist. Weil du in deinem Unterbewusstsein so viele Dinge abgespeichert hast. In dieser Situation hast du keine Zeit mehr zum Denken. Da funktionierst du reflexartig, wenn du das entsprechend übst, dann hast du hoffentlich die nötigen Reflexe.
Aber dieses Du-musst-dran-Glauben halte ich grundsätzlich immer für richtig. Geh positiv auf die Sachen zu und sag dir, das schaffe ich jetzt. Wenn du aber sagst, ich kann nicht, ich will nicht, greifst du viel zu schnell nach Hilfe und wirst selber weniger weit kommen im Leben.
Danke. Eine abschließende Frage noch, weil es zu den L’s gehört. Lachen, Humor ist das Öl in unserer Lebenslampe. Wie geht es Richard Kahn und seiner Frau damit?
Also ich glaube, wir wären nicht 40 Jahre verheiratet, wenn wir nicht beide Humor hätten. Wir haben beide einen Orden verdient, dass wir so lange zusammengeblieben sind – wir zählen dabei ja eher zu den Ausnahmen.
Lachen ist körperlich wichtig, Lachen ist für die Psyche wichtig, Lachen ist wichtig, weil es ansteckend ist. Also wenn wir nichts mehr zum Lachen habe …schrecklich.
Vielleicht noch ein Beispiel aus der Wirtschaft. Ich kenne Unternehmen, in die ich seit 40 Jahren hineingehe, mit wechselndem Management, unterschiedlichen Eigentümern etc. Ich gehe in das Unternehmen und kann dir in zwei Minuten sagen, wie der wirtschaftliche Erfolg dieses Unternehmens aussieht. Wenn sie nämlich nicht lachen, macht es bestimmt Miese. Und wenn sie lächeln, wenn sie einen Umgang haben, einen freundschaftlichen, offenen, lächelnden Umgang, kannst du ziemlich sicher sein, es geht dieser Firma wirtschaftlich gut.
Also Lachen ist auch ein ganz, ganz wichtiges L. Lieben ist noch wichtiger. Aber wir müssen durchs Leben lachen. Auch die traurigen Dinge sind nicht so traurig, wenn wir sie ein bisschen weglächeln.
Lieben und lachen passt ja gut zusammen.
Ich würde sagen, situativ. Nicht immer alles zugleich.
Ich denke, das ist ein guter, positiver Abschluss unseres Gesprächs. Vielen herzlichen Dank, Richard – wir wünschen dir weiterhin so viel Energie, Ideen und Esprit und viel Erfolg für dein drittes, neues Buch.
Quelle: https://wir-bestager.jetzt/bestager-interview-richard-kaan/