
08 May Chef der Wiener Börse: „Wer Risiko ausschließt, verzichtet auf Rendite“
Last Updated on 2025-05-09
diepresse.com / Susanne Bickel, 06.05.2025
Die Wiener Börse hat Rekordzahlen für das vergangene Geschäftsjahr vorgelegt. Um Altersarmut vorzubeugen, solle auch bei den Pensionen mehr auf den Kapitalmarkt gesetzt werden.
Die Finanzmärkte haben eine turbulente Zeit hinter sich, Anlegerinnen und Anleger haben zuletzt starke Nerven gebraucht. Aber nicht für alle waren die unberechenbare Zollpolitik von Donald Trump und die damit ausgelösten Turbulenzen auf den Finanzmärkten schlecht: Für Börsenbetreiber etwa hatten die Ausschläge durchaus positive Seiten, schließlich sorgte der Trubel für kräftige Handelsumsätze. „An Tagen mit großen Kursbewegungen sehen wir beinahe den dreifachen Umsatz“, sagte Christoph Boschan, Vorstandsvorsitzender der Wiener Börse, kürzlich vor Journalisten.
Dort präsentierte er die Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2024. Im Vorjahr lief es an der Wiener Börse prächtig: Der Umsatz stieg um 3,7 Prozent auf 81,8 Millionen Euro, der Gewinn vor Steuern um 4,6 Prozent auf 50,1 Millionen Euro – ein Rekordwert. 92 Prozent des Umsatzes wurden im Ausland erzielt. Das liegt vor allem an zwei Faktoren: Einerseits ist die Börse stark von internationalen Investoren besetzt, andererseits betreibt sie die Börseninfrastruktur in mehreren osteuropäischen Ländern.
Aktienumsätze steigen an
Auch bei den Aktienumsätzen ging es bergauf: 2024 wurden insgesamt 74 Milliarden Euro umgesetzt, davon 63 Milliarden in Wien und elf Milliarden in Prag. Der positive Trend ist vor allem auf verstärkte M&A-Aktivitäten im Immobiliensektor zurückzuführen. Trotz der großen Kursbewegungen hängt die Wiener Börse nicht mehr ausschließlich vom Handelsgeschäft ab: Dieses macht mittlerweile nur noch 38 Prozent der Erträge aus. Weitere 28 Prozent stammen aus dem Verwahrgeschäft, 25 Prozent aus dem Verkauf von Marktdaten. IT-Dienstleistungen tragen 7,9 Prozent zum Gesamtumsatz bei.
Aber wer sind die großen Investoren an der Wiener Börse? US-amerikanische Investoren bauen ihre führende Position weiter aus und halten mittlerweile 34 Prozent des institutionellen Streubesitzes. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 waren es noch knapp 33 Prozent. Auf Platz zwei folgt Großbritannien mit rund 21 Prozent, gefolgt von Frankreich mit 7,8 Prozent. Dabei ist die Zahl der Großinvestoren aus Frankreich aber leicht gesunken, im Jahr 2022 lag sie noch bei 8,4 Prozent. Österreichische institutionelle Investoren halten nur noch 7,7 Prozent – ein Rückgang, denn im Jahr 2022 lag die Zahl noch bei 9,1 Prozent. Norwegen schiebt sich mit fünf Prozent neu in die Top Five vor, während Deutschland mit 4,5 Prozent auf Rang sechs abrutscht.
Auch bei Privatpersonen steigt der Wertpapierbesitz, wie das Aktienbarometer – eine Studie von Industriellenvereinigung, Aktienforum und Wiener Börse – zeigt: 30 Prozent der österreichischen Erwachsenen besitzen demnach Wertpapiere, dieser Wert hat im Vergleich zur Erhebung aus dem Jahr 2023 um fünf Prozentpunkte zugelegt.
Regierung interessiert sich nur wenig für den Kapitalmarkt
Wenig erfreut zeigte sich Boschan über das Regierungsprogramm der Koalition: Dort finde sich nicht einmal die Absicht, die Kapitalertragsteuer durch eine Behaltefrist oder andere Maßnahmen zu reduzieren. Entscheidend sei jedoch, dass Veränderungen nicht nur in Österreich, sondern auf EU-Ebene passieren. So brauche es etwa ein Moratorium für Regulierungen im Finanzdienstleitungsbereich, denn diese würden exponentiell anwachsen. „Wenn eine neue Regel eingeführt wird, sollten drei alte gestrichen werden“, sagt Boschan.
Auch auf europäischer Ebene wird das Umdenken aber einmal mehr angestoßen: Die EZB plant unter dem Schlagwort Deregulierung eine Taskforce, um eine Vereinfachung des Regelwerks zu erarbeiten. Den Vorsitz übernimmt EZB-Vizepräsident Luis de Guindos, wie er im Interview mit der „Presse“ bestätigt hat. Bis Ende des Jahres sollen konkrete Deregulierungsvorschläge vorgelegt werden. Der Initiative vorausgegangen war ein Schreiben mehrerer Zentralbank-Chefs an die EU-Kommission mit dem Appell, die strengen Vorschriften zu entschlacken.
Spardruck bei den Pensionen
Neben der Deregulierung fordern Boschan und Wifo-Chef Gabriel Felbermayr auch eine strategische staatliche Ausrichtung auf den Kapitalmarkt. Angesichts der demografischen Entwicklung und der steigenden Pensionsausgaben sei das notwendig, so Felbermayr. Länder wie Schweden, Dänemark und die Niederlande könnten hier als Vorbilder dienen. In Österreich hingegen ist die „zweite Säule der Altersversorgung“ deutlich unterentwickelt. Während in Österreich rund 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Pensionen aufgewendet wird, sind es in Schweden etwa 7,5 Prozent und in den Niederlanden rund sieben Prozent.
In Österreich halte man an einem ökonomischen Missverständnis fest, sagt Boschan. „Eine nominelle Kapitalgarantie suggeriert Sicherheit. Doch wer Risiken ausschließt, verzichtet zwangsläufig auch auf Rendite.“
Ein erster Schritt in diese Richtung findet sich dazu immerhin im Regierungsprogramm: Künftig sollen die Sozialpartner einen Generalpensionskassenvertrag ausarbeiten. Ziel ist es, dass alle unselbstständig Beschäftigten Zugang zu einer kapitalgedeckten Betriebspension erhalten. Derzeit ist das nur bei etwa einem Viertel der Arbeitnehmer der Fall – ein Ungleichgewicht, das laut Wifo-Studie zu sozialen Schieflagen bei der Pensionshöhe führt.
Quelle: https://www.diepresse.com/19651940/chef-der-wiener-boerse-wer-risiko-ausschliesst-verzichtet-auf-rendite