Ein Plädoyer für den Dialog

Ein Plädoyer für den Dialog

Last Updated on 2022-07-18
Dr. Christine Domforth

Wie die INARA-LeserInnen über die gepflegte „Streitkultur“ denken und warum es gut wäre, wieder mehr miteinander zu diskutieren.

Vor einigen Wochen hatte ich Sie, liebe LeserInnen gefragt, wie Sie persönlich es mit dem Dialog halten. Ausgangspunkt war folgendes Zitat von Sir Karl Popper, dem österreich-britischen Philosophen und Wissenschaftstheoretiker: „Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.“ Meiner Meinung nach wird es leider zunehmend schwierig, Partner für eine Diskussion, einen engagierten Austausch der Meinungen, Argumente und Standpunkte zu finden.

Beim Dialog – das Wort stammt aus dem Altgriechischen – geht es vorrangig um den Austausch. Bei der Debatte (französisch débattre bedeutet schlagen oder niederschlagen) will man den anderen mit den eigenen Argumenten schlagen. Diskussion (lateinisch discutere heißt wörtlich in Stücke schlagen) werden Fakten ausgetauscht, Standpunkte abgeglichen und man versucht, sich in den jeweils anderen hineinzuversetzen. Die Grenzen zwischen den drei Formen des Austausches sind natürlich fließend. Wenn man sich darauf einlässt, können sie aber alle zu intensiven Gesprächen führen und für die Beteiligten bereichernd sein.

Wichtig für die Demokratie

Das Feedback auf meine Frage war enorm, es langten zahlreiche spannende Stellungnahmen und Antworten ein. Was mich besonders freut: Die meisten Leser und Leserinnen finden ebenso wie ich, dass der Dialog in unserer Gesellschaft heute zu kurz kommt und bedauern dies. Hier eine kleine Auswahl aus den Leserreaktionen:

Martin Kreutner verweist auf die Bedeutung des Dialogs und zitiert in diesem Zusammenhang den deutschen Philosophen Peter Sloterdijk: „…weil alle Kultur mit dem dritten Wert beginnt: Alle höhere Reflexionsfähigkeit besteht darin, dass der Verstand sich gegen sich selber wendet und seine Vereinfachungen auch wieder aufhebt. Man kann zunächst nur zweiwertig denken, muss aber den Schritt in die Mehrwertigkeit nachholen.“ Dies ist eine Einsicht, ein Wert, die uns immer mehr abhanden zu kommen scheinen. Letztlich sind damit aber auch die Demokratie und das friedliche Zusammenleben gefährdet, meint Kreutner.

Mag. Dr. Kira Freigassner sieht in unserer Gesellschaft ebenfalls eine schwindende Dialogbereitschaft. Oft ist es aus ihrer Sicht auch eine Frage der Erziehung schon bei den Kindern, ob sie es dann können oder nicht. Und wenn es die Eltern nicht können, wie dann die Kinder? Das Diskutieren des alten Roms ist halt auch eine Bildungsfrage – leider. Unser Schulsystem sei nicht auf Dialog mit und Wertschätzung der Jugend aufgebaut. Es komme sehr oft vor, dass Menschen unfassbar beleidigt sind, wenn ihrer Meinung nicht gefolgt wird. Freigassner führt das auch darauf zurück, dass viele Menschen über zu wenig Selbstwertgefühl verfügen und sich deshalb leicht „aushebeln“ lassen.

Zu anstrengend?

Beata Mangelberger hat ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass es nicht mehr so einfach ist zu diskutieren. Als sie selbst noch Studentin war, sei ihr der Diskurs viel mehr gelegen und sie fragt sich, warum das heute anders ist. Wird man im Alter gelassener? Oder einfach nur faul, weil gepflegtes Streiten zwar sehr bereichernd sein kann, aber auch Anstrengung bedeutet?

Das eigene Ego hintanstellen

Für Claudia Kloihofer-Haupt bedeutet Dialog, sich von seinem Ego zu verabschieden und zu lernen, die Ansicht des anderen in seinem Herzen wirken zu lassen. Dazu muss man aber auch lernen, mit dem Herzen zu hören. So entsteht ein erforschender und gelassener Austausch, man kann auf die Frage fokussiert bleiben. Nötig sind weiters das wertschätzende Erlernen, Gedanken und Gefühle auszusprechen. Kloihofer-Haupt beschäftigt sich seit drei Jahren intensiv mit Dialog und all dem was dazugehört. All das sei nicht immer einfach, aber eine Form, die zukünftig unabdingbar ist, wenn wir friedvoll miteinander umgehen möchten.

Mag. Sabine Fünck meint, dass viele Menschen den Unterschied zwischen einer kontroversen Diskussion und einem Streitgespräch nicht mehr erkennen. Deshalb sei für sie der Spaß einer kritischen Debatte nicht nachvollziehbar. Wir praktizieren nicht mehr die Kunst der Debatte, die schon von den alten Griechen hochgehalten wurde, sondern feilen an leichter und einfacher Sprache. Fünck beschäftigt sich gerade intensiv mit dem Thema barrierefreies Denken und Handeln. Dabei geht es um Barrieren, die wir uns selbst aufbauen und die uns daran hindern, ein erfülltes, gesundes und spannendes Leben zu führen und zu genießen – lustvolles Debattieren inklusive.