
20 Feb EU will mit Wettbewerbskompass Bürokratie abbauen und Industrien helfen
Last Updated on 2025-02-21
standard.at / Bettina Pfluger, 29.01.2025
Europa müsse traditionelle Sektoren absichern und Zukunftstechnologien den Weg ebnen, sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Dem Green Deal will die EU dennoch treu bleiben
Brüssel – Die EU hinkt im Wettbewerb mit den USA oder China hinterher. Das soll sich ändern. Mit dem Wettbewerbskompass, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor kurzem vorgestellt hat, soll vor allem die Bürokratie abgebaut werden. Ein Versprechen, von dem in Brüssel allerdings schon lange geredet wird. Künftig wolle die EU aber bei strategischen Ressourcen gemeinsam einkaufen und Vorgaben vereinfachen, so wie das bei Impfstoffen oder zuletzt bei Gas während der Energiekrise passiert sei. “Wir müssen in Summe schneller agieren”, sagt von der Leyen. Europa müsse seine Schwächen abbauen, um wettbewerbsfähiger zu werden. Das sei auch der Grund gewesen, warum der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi gebeten wurde, einen Bericht zur Lage der EU zu verfassen.
Dieser Bericht ist nun die Grundlage für den Wettbewerbskompass, der drei große Bereiche enthält:
Punkt 1: Innovation
Europas Industriestruktur sei zu statisch. Es gebe zu wenige Start-ups, die hier für neue Ideen sorgten. Andererseits kämen viele Ideen nicht in die Umsetzung. Daher brauche es klare Vorgaben, um den Markt für Venture-Capital (VC) zu verbessern. Nur fünf Prozent des weltweiten VC-Geldes werden laut von der Leyen in der EU aufgestellt, 25 Prozent hingegen in den USA. Es brauche daher einen effizienteren Kapitalmarkt. Neue Spar- und Investmentprodukte sollen dafür sorgen, dass die enormen Ersparnisse der Europäer nicht nur auf ihren Konten liegen, sondern auch dabei helfen, die Wirtschaft weiterzuentwickeln.
Hinzu kommt laut von der Leyen, dass europäische Unternehmen in Bezug auf die Nutzung von KI zu zurückhaltend agierten. Nur eines von sieben Unternehmen setze KI bereits ein. Damit sich das ändert, wird die Kommission eine AI-Strategie vorlegen. KI-Factorys, in denen Unternehmen ihre KI-Modelle trainieren werden können, sollen helfen.
Punkt 2: Dekarbonisierung
“Bei all unseren Vorhaben ist aber eines klar: Wir bleiben bei der Dekarbonisierung auf Kurs”, sagt von der Leyen. Am Ziel, dass die EU bis 2050 klimaneutral sein will, werde nicht gerüttelt. Bei der Technologie für Windenergie oder bei kohlenstoffarmen Brennstoffen sei die EU führend. Traditions- und energieintensive Unternehmen sollen beim grünen Wandel unterstützt werden. Mit dem Autosektor wurden bereits Gespräche aufgenommen. Ende Februar soll der Clean Industrial Deal zeigen, wie die Industrie unterstützt werden soll. Klar sei, dass die Energiepreise noch immer viel zu hoch seien. Ein Energieplan soll zeigen, wie die Energiekosten für die Industrie gesenkt werden können.
Punkt 3: Ökonomische Sicherheit
Damit Unternehmen in der EU besser wirtschaften könnten, müsse sich der Aufwand – sprich die Bürokratie – verringern. Berichtspflichten, vor allem im Bereich der Nachhaltigkeit, sollen vereinheitlicht und vereinfacht werden. Der administrative Aufwand soll um 25 Prozent sinken, kündigt von der Leyen an. Zahllose Gesetze und Vorschriften sollen aufgeweicht werden. Welche genau das sind, wurde noch nicht bekannt. Meldepflichten für kleine und mittlere Unternehmen sollen um 35 Prozent sinken. Rund 37 Milliarden Euro soll die Wirtschaft so einsparen können. “Wir haben einen Plan, wir haben eine Roadmap, jetzt müssen wir schnell sein, denn die Welt wird auf uns nicht warten”, so von der Leyen.
Europäische Firmen sollen in Zukunft bei öffentlichen Ausschreibungen in kritischen Wirtschaftssektoren bevorzugt behandelt werden. Dies kann als Reaktion auf die Vorwürfe der Kommission an China verstanden werden, chinesischen Unternehmen gegenüber europäischen Vorteile zu verschaffen.
Gemischte Reaktionen
“Die Kompassnadel des EU-Wettbewerbskompasses zeigt leider in Richtung einer unfairen Wettbewerbsordnung. Der Fokus liegt auf Deregulierung und der Senkung von Standards statt auf politischen Zielen. Der Green Deal wird nicht einmal erwähnt, und es entsteht der Eindruck, dass die EU-Kommission bereit ist, ihr eigenes Flaggschiffprojekt über Bord zu werfen und soziale Gerechtigkeit und den Umweltschutz zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu opfern”, kritisiert SPÖ-EU-Abgeordnete Evelyn Regner, Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss, in einer Aussendung. Auch die grüne EU-Parlamentarierin Lena Schilling warnt: “Einfacher machen ja, abschwächen auf keinen Fall! Die Europäische Volkspartei versucht schon lange, den Green Deal unter dem Deckmantel der ‘Vereinfachung’ auszuhöhlen. Ursula von der Leyen darf hier nicht einknicken und den europäischen ‘Kompass’ Richtung Kinderarbeit ausrichten. Jede Änderung der Standards wäre eine Bankrotterklärung der Kommission und allem, was unter dem Green Deal erreicht wurde.”
“Zahlreiche Unternehmen haben sich für das EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen. Sie zeigen, dass Wirtschaften im Einklang mit Menschenrechten und der Umwelt möglich ist”, so Bettina Rosenberger, Geschäftsführerin des Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe). “Unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung wollen Wirtschaftsverbände und Konservative enorm wichtige Schutzmechanismen für alle jene sabotieren, die unsere Kleidung nähen und für unsere Produkte auf Plantagen schuften. Die EU und die österreichischen Regierungsverhandler müssen jetzt für eine starke Umsetzung des Lieferkettengesetzes zusammenarbeiten”, ergänzt Stefan Grasgruber-Kerl, Lieferkettenexperte bei Südwind, in einer gemeinsamen Aussendung.
Kurswechsel ist überfällig
“Der Kurswechsel hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit ist überfällig und längst notwendig. Entscheidend wird jedoch sein, ob die angekündigten Maßnahmen tatsächlich konsequent umgesetzt werden. Vor allem bei der Deregulierung und Entbürokratisierung besteht akuter Handlungsbedarf. Wir arbeiten bereits an konkreten Maßnahmen zur Vereinfachung, etwa bei den überbordenden Nachhaltigkeitsberichtspflichten, dem verfehlten Lieferkettengesetz und der Taxonomie und setzen uns dafür ein, dass diese Vorschläge auch berücksichtigt werden”, sagt Angelika Winzig, Wirtschaftssprecherin der ÖVP im Europaparlament, in einer Mitteilung.