Hat sich der Kapitalismus überlebt?

Hat sich der Kapitalismus überlebt?

Last Updated on 2024-05-21
Mag. Manfred Kainz

„Das Streben nach dauerndem Wirtschaftswachstum durch das System des Kapitalismus ist schuld.“ Das hört man –  nicht nur – im Zusammenhang mit dem Klimawandel von Gesellschaftskritikern sowie Öko- & Sozialaktivisten. „Wir brauchen statt Wachstumsstreben vielmehr De-Growth“, so deren Forderung. Ein Dilemma für Unternehmen und Wirtschafts-, Umwelt- & Sozialpolitik: „Ent-Wachsen” zwecks Emissionsvermeidung, auf Kosten von weniger Wohlstand?

Hat sich der Kapitalismus also überlebt? Dieser Frage widmete sich Univ.-Prof. Monika Köppl-Turyna in ihrer Keynote beim Finanzplaner Forum, das unter der Schirmherrschaft des Verbandes Financial Planners stattfand. Köppl-Turyna ist Direktorin vom EcoAustria Institut für Wirtschaftsforschung sowie Professorin an den Universitäten Warschau und Seeburg.

Hand in Hand

Die Ökonomin zeigte anhand der Daten für die Zunahme des weltweiten BIP (Bruttoinlandsprodukt = Maß für die volkswirtschaftliche Leistung), des weltweiten BIP pro Kopf und des weltweiten Handels, dass Wachstum und Handel Hand in Hand gehen, gleiches gilt auch für Wohlstand und Globalisierung“. Und das bringe nachweislich sozio-ökonomisch Positives: Wachstum sei notwendig, damit extreme Armut und das Nord-Süd-Wohlstandsgefälle minimiert werden können. Das zeige sich beispielsweise deutlich bei den Kindersterblichkeitsraten (als ein Indikator für die öffentliche Gesundheit): Das BIP korreliert stark mit öffentlicher Gesundheit; je höher das BIP, desto geringer die Kindersterblichkeitsrate.

Sozio-ökonomisch ebenfalls relevant: Unsere Lebenserwartung bei der Geburt korreliert ebenso stark positiv mit dem BIP pro Kopf. Und die Forschung zeige, dass diese Korrelation auf dem kausalen Zusammenhang zwischen (staatlichen) Investments in Gesundheit und Infrastruktur beruht. Der Human Development Index misst die lange und gesunde Lebenserwartung von Bevölkerungen, deren Schuljahre und deren Lebensstandard, gemessen am Einkommen. Kein Wunder, dass bei diesem Index die Länder mit hohem BIP pro Kopf vorne liegen.

De-Growth?

„De-Growth“ hält Köppl-Turyna daher für keine gute Strategie. Denn Wachstum wirke durch viele Kanäle: Es ist essentiell für die Armutsbekämpfung und damit allgemein wohlstandsfördernd für die gesamte Gesellschaft, Wachstum schafft Gestaltungsspielraum für den Staat in seiner Ausgabentätigkeit, verringert Armut durch höhere Staatstransfers und ermöglicht Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur – was ebenfalls wohlstandsfördernd ist. Ohne Wachstum seien all diese Tätigkeiten des Staates begrenzt.

Aber brauchen wir „De-Growth“ zum Klimaschutz und zur CO2-Emissionssenkung? Laut Köppl-Turyna zeigen Wirtschaftsleistung und CO2-Emissionen eine negative (also gewünschte) Korrelation im Zeitverlauf: Die Treibhausgasemissionen in Österreich sind bei einem realen BIP-Wachstum von mehr als 25 Prozent seit 2005 heute um 22 Prozent geringer als damals. Ähnliches gilt für alle vergleichbaren Volkswirtschaften inklusive der USA. In der EU ist die reale Wirtschaftsleistung seit 1990 um rund 65 Prozent gestiegen, die Emissionen sind hingegen um rund 27 Prozent gesunken. Eine „Entkopplung“ ist also möglich, so die Wirtschaftsforscherin. Außerdem würden komplexe weltwirtschaftliche Berechnungen zeigen, dass De-Growth auf globaler Ebene zwar die Emissionen drastisch senkt, aber gleichzeitig die extreme Armut noch drastischer erhöhen würde, während sie derzeit zurückgeht.