Image, Hürden, Potenziale: Die Rechtsschutzsparte unter der Lupe

Image, Hürden, Potenziale: Die Rechtsschutzsparte unter der Lupe

Last Updated on 2019-08-23
Emanuel Lampert in VersicherungsJournal.at – VJ spezial, Ausgabe 1 /Sommer 2019

Verzerrtes Image, ein Zuviel an Modulen, hohe Beratungsintensität, Problemfaktor Wissensmangel, „selektive“ Individualisierung, digitale Perspektiven – fünf Fachleute aus der Branche über neue Risiken und neue Lösungen für den Rechtsschutz


@Clemens Perger
Unter der Moderation von Marius Perger (3. von links) diskutierten zuletzt im WIFI Wien die Experten (v.l.n.r.)
Martin Moshammer (Roland Rechtsschutz), Birgit Eder (ARAG), die Versicherungsmaklerin Brigitta Schwarzer,
Günther Weiß (HDI) und Johannes Loinger (D.A.S. Rechtsschutz)

 

Rechtsschutz ist eine der kleineren Versicherungssparten – und doch für jeden fünften Versicherungsrechtsstreit vor dem Obersten Gerichtshof verantwortlich, schickte Herausgeber Marius Perger beim jüngsten „2. Round Table“ des VersicherungsJournals voraus. Warum ist das so? Erwarten die Kunden zu viel? Machen die Versicherer etwas falsch?

Die Hauptbevollmächtigte der ARAG in Österreich, Birgit Eder, sieht eine Ursache darin, dass Kunden mitunter selbst dann eine Leistung fordern, wenn das Risiko im konkreten Fall nicht versichert war. Ein Hauptfaktor sei aber die besonders starke juristische Prägung der Sparte: „Das Thema ‚Recht‘ ist per se schwierig.“ Bei Kunden ohne Fachkenntnisse könne das natürlich zu Verständnisproblemen führen. Im Vorfeld sei daher Beratung „wesentlich und wichtig“, bei einer Ablehnung im Schadenfall eine entsprechende Begründung – und zumindest eine gewisse Hilfestellung.

Verständnis setzt Transparenz voraus. Günther Weiß, Vorstandsvorsitzender der HDI in Österreich, sieht diese durchaus gegeben, „sofern der Kunde gut beraten wurde“. Die Beratung werde aber nie alle Fallkonstellationen voraussehen können. Beispiel: die Finanzkrise 2008. Zu bedenken gibt Weiß auch, „dass Rechtsschutz eben doch sehr komplex ist“. Unter einer Feuer- oder Unfallversicherung könne sich der Kunde etwas vorstellen, beim Rechtsschutz sei das schon anders. Den „optimalen“ Rechtsschutz im Sinne einer „allumfassenden“ Deckung werde es nicht geben, „das Wesentliche“ müsse aber abgedeckt sein. Und da scheint man nicht so schlecht aufgestellt zu sein, wenn es nach den Ausführungen von Martin Moshammer, dem Hauptbevollmächtigten von Roland Rechtsschutz in Österreich, geht. Im standardisierten Privat- und Kleingewerbegeschäft decke das Marktangebot „die maßgeblichen Bedürfnisse von zumindest 95 Prozent der Kunden ab“. Sehr wohl ortet er aber noch Erweiterungsbedarf bei Individuallösungen, etwa im Strafrechtsschutz. Moshammer findet aber auch, dass der Rechtsschutz „oft zu Unrecht als Prügelknabe“ herhalten muss, wenn kritisiert werde, dass Deckungen „heruntergefahren“ würden. „Ist es nicht auch schwieriger geworden, ein Einfamilienhaus in einer Hora-Zone 1 zu versichern, als es vielleicht noch vor zehn Jahren der Fall war?“

Die Juristin und Versicherungsmaklerin Brigitta Schwarzer möchte dabei gar nicht davon sprechen, dass Deckungen „generell“ zurückgefahren würden. Sie denkt vielmehr, dass es ein Überangebot an Deckungen gibt. Die Vielzahl an Punkten in den Rechtsschutzbedingungen überfordere den Kunden. Sie würde sich ein strafferes Wording wünschen: alles, was gedeckt ist, in „einfache, verständliche, nachvollziehbare Worte“ fassen und alles andere weglassen. „Ich glaube, dass dem Markt damit gedient wäre.“

Kritische Blicke auf die Sparte führt Moshammer auch auf frühere OGH-Judikate zurück, die durchaus ungewöhnlich und nicht immer vorhersehbar gewesen seien. Das habe auch den Drang verstärkt, Verfahren durch die Instanzen bis zum OGH zu tragen. Daran knüpft Johannes Loinger, CEO der D.A.S. Rechtsschutz, an: Viele der heutigen Rechtsgrundlagen seien aus OGH-Urteilen abgeleitet worden.

Es ist oft ein Irrglaube, dass man meint, man tut dem Vermittler dahingehend etwas Gutes, dass man ihm möglichst viele Fallvarianten an die Hand gibt (Martin Moshammer, Roland Rechtsschutz).

Die Übernahme des Kostenrisikos durch Rechtsschutzversicherer habe ermöglicht, dass unklare oder ungeregelte Rechtsfragen erst durch Gerichtsentscheidungen geklärt wurden, „von denen wir alle profitieren“. Aus deren Anzahl zu schließen, die Sparte wäre „krank“, wäre daher „eine völlig falsche Wahrnehmung“. Eder fügt hinzu, die hohe Anzahl resultiere daraus, dass der OGH vielfach über inhaltlich gleichgelagerte Fälle von Massenschäden rund um Themen wie Vermögensveranlagung, aber auch Rücktritt von Lebensversicherungen entscheide. Es sei „leider keine gute Entwicklung“, dass viele gleichzeitig in derselben Sache klagen, statt den Ausgang eines Musterverfahrens abzuwarten.

Wie spezialisiert und individualisiert soll Rechtsschutz sein?

Dauerbrenner im Versicherungssektor sind die Schlagwörter Spezialisierung und Individualisierung. Wie individuell und speziell kann, soll, muss Rechtsschutz sein? Aus Moshammers Sicht tut man Vermittlern mit möglichst vielen Produktvarianten nicht zwangsläufig etwas Gutes. Modularität bringe zwar Flexibilität, aber auch höhere Beratungsintensität und damit eine größere Gefahr von Missverständnissen. Auch aus dem Blickwinkel des Kunden gelte: Tut man ihm etwas Gutes, wenn man ihm „die Qual der Wahl“ aufbürdet? „Wir sollten uns nicht mit noch mehr Modularität übertrumpfen“, folgert Moshammer. Die Vielfalt potenzieller Streitigkeiten in der Beratung zu besprechen, sei schwierig, auch wegen des Zeitaufwands, fügt Eder hinzu. Modularität werde aber nicht zuletzt aus Kostengründen gefordert – zumal es auch um Leistbarkeit geht.

Spezialisierung spielt auch bei der Anwaltswahl eine Rolle, unterstreicht Loinger. Es nütze ja nichts, wenn ein Kunde einen Anwalt kennt, der ihm in einem Verkehrsstreit helfen konnte, aber auf einem anderen Gebiet womöglich „nicht der Richtige“ ist. Was die freie Anwaltswahl angeht, verweist Loinger auf eine D.A.S.-Untersuchung: Der durchschnittliche Privatkunde kenne keinen Anwalt und sei daher über eine Empfehlung froh. Das komme auch bei Firmenkunden vor, wenngleich der Wunsch nach einem bestimmten Anwalt dort häufiger anzutreffen sei.

In Zukunft erwartet Loinger in erster Linie bei Service und Beratung weitergehende Individualisierung. Dass sich diesbezüglich auf Produktseite noch viel Essenzielles tun wird, glaubt er zumindest im Privatsegment nicht. Anders schätzt er den Firmenbereich ein, „weil das Unternehmertum spezieller, individueller wird“, Stichwort „Startups“. Eder bestätigt: Im Segment der Klein- und Mittelunternehmen „reichen Standardprodukte nicht mehr“.

Eignet sich Rechtsschutz für den Onlinevertrieb?

Apropos Trends: Eignet sich die Rechtsschutzversicherung für den Onlinevertrieb? Teils, teils, meint Eder. Ein Nachteil des Internetverkaufs sei, dass der Versicherer nicht sicher sein kann, ob der Kunde auch wirklich alles gelesen und verstanden hat. Online biete die ARAG ihre Produkte daher „eher in eingeschränktem Maß“ an. Eder betont aber auch, dass es in Gestalt von Rechtsdienstleistungsplattformen neue Player gebe. „Da müssen wir am Ball bleiben.“

Schwarzer ist der Ansicht, dass sich Rechtsschutz nicht für eine gänzliche Onlineberatung aufdrängt. Um es Nicht-Fachkundigen leichter zu machen, rät sie zum Einsatz von Kurzvideos. „Dann könnte die Beratung dort aufsetzen und gezielter erfolgen.“ Sie hielte es ohnehin für geboten, bei der Finanzbildung anzusetzen. Denn wenn das Basiswissen fehle, falle auch der Umgang mit Versicherungsfachbegriffen schwer.

Für Moshammer kommt es darauf an, ob es technisch gelingt, den Kunden „so abzuholen, dass er den gleichen Informationsgehalt erhält als wäre er bei einem Vermittler“. Er selbst schätzt, dass das nur bei sehr standardisierten Produkten geht und eher das Muster „online informieren und dann zum Vermittler gehen“ greifen wird. Wie Moshammer glaubt auch Loinger, dass Rechtsschutz nicht zum Onlineturbo werden wird. Der seit rund zehn Jahren bestehende D.A.S.-Internetvertrieb trage „ziemlich stabil“ knapp zwei Prozent zum Neugeschäft bei.

Weiß hält den Onlineverkauf etwa von Kfz-Rechtsschutz für „gut vertretbar“. Wenn es jedoch um umfassenden Rechtsschutz geht, „ist der Kunde gut bedient, wenn er sich entweder beim Versicherer oder beim Vermittler beraten lässt“.

Was erwartet uns in Zukunft?

Und wo liegen die Themen der Zukunft? Loinger vermutet, „dass wir mit mehr – bekannten, vielleicht auch unbekannten – Themen konfrontiert werden“, weil das Anspruchsbewusstsein zugenommen habe und auch weil es sich viele schlicht nicht leisten könnten, selbst auf kleine Forderungen zu verzichten. Weiß denkt zum einen wegen Urbanisierung und Wohnkostenentwicklung ans Mietrecht, zum anderen an Auswirkungen des autonomen und teilautonomen Fahrens auf das Rechtsfeld im Kfz-Bereich.

Schwarzer rechnet mit einer Zunahme der Erb- und Familienrechtsstreitigkeiten, weil in nicht allzu ferner Zukunft die Eltern der Babyboomer-Generation Vermögen hinterlassen werden. Ihre weiteren Prognosen: ein Trend zu höheren Versicherungssummen, weil die Streitkosten steigen; eine „gewisse Vereinheitlichung“ der Bedingungswerke, weil es immer mehr Vergleichsportale gibt; und eine qualifizierte Schadenbearbeitung, die nicht nur über Anwälte erfolgt.

Eder nennt Datenschutz, Internet, soziale Medien und Onlinehandel als neue Risikofelder. Sie geht außerdem davon aus, dass das Strafrecht an Bedeutung gewinnen wird, besonders für Manager. Moshammer sieht ebenfalls „ganz klar im Strafrechtsschutz“ Potenzial. Managerrechtsschutz sei im Markt noch immer kein „geläufiges“ Thema, obwohl sich immer häufiger Verantwortungsträger, etwa auch Bürgermeister, in Verfahren wiederfänden. Und: Da Kunden nicht zwingend vor Gericht ziehen wollen, stelle sich die Frage, welche neuen außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen es in den kommenden Jahren geben könnte. „Ich glaube, wir sind da noch nicht am Ende unseres Lateins.“

 

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