INARA Doppelinterview mit den bankerfahrenen Rechtsanwälten Dr. Peter Kunz und Dr. Thomas Seeber von KSW

INARA Doppelinterview mit den bankerfahrenen Rechtsanwälten Dr. Peter Kunz und Dr. Thomas Seeber von KSW

Last Updated on 2018-01-26

Dr. Peter Kunz und Dr. Thomas Seeber von KSW

INARA: Durch die zunehmende Regulierung der letzten Jahre unterliegen die Banken auch strengeren Vorgaben bei der Kreditvergabe. Müssen Vorstand und Aufsichtsrat jetzt noch vorsichtiger sein?
Dr. Peter Kunz/Dr. Thomas Seeber:  Insbesondere die Vorgaben des Hypothekar- und Immobilienkreditgesetzes (HIKrG) aber auch die allgemein höheren Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen im Rahmen des Basel-Regelwerks machen für die Banken u.a. auch verschärfte Kreditvergaberichtlinien notwendig. Bemerkenswert ist, dass bereits darüber diskutiert wird, die geltenden Basel-Vorgaben zu verschärfen. Jedenfalls muss die Bonität des Kreditnehmers im Vorfeld noch genauer geprüft werden als früher, um das Risiko von Zahlungsausfällen vermeintlich noch besser reduzieren zu können. Da geht es nicht um die genauere Einschätzung der Zahlungsfähigkeit, sondern auch um eine detailliertere Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner zahlungswillig ist und es auch bleibt. Zahlen, Daten und Fakten zu evaluieren ist das Eine, die individuelle Vorhersage, wie sich der Schuldner während der Kreditlaufzeit verhält, das Andere.

Alle Vorgaben sollten aber berücksichtigen, dass der Kreditvergabe grundsätzlich ein Risiko immanent ist. Insbesondere weil dieser Umstand scheinbar nicht immer „bedacht wird“ werden die handelnden Personen unsicher. Diese Unsicherheit ergibt sich auch, weil ihre Beurteilung ex ante erfolgt, die des Richters jedoch immer ex post. Während also Vorstand und Aufsichtsrat auch eine Prognose über künftige unbekannte Vorgänge abgeben müssen, bewertet der Richter in der Rückschau, ob die nachträglich zum Vorschein gekommenen – die Kundenbonität beeinträchtigenden – Fakten (seiner Meinung nach) für die Organe erkennbar waren. Dass es hier häufig zu gravierenden Auffassungsunterschieden kommen kann, ist klar.

Der Vorstand einer Bank hat das Geschäft in der Hand und immer einen Informationsvorsprung gegenüber dem Aufsichtsrat. Bei Letzterem geht es daher primär darum, die Inputs, die er vom Vorstand erhält, auf den Prüfstand zu stellen, indem er sie hinterfragt und verlangt, dass die Angaben plausibel sind. Weil das zwar leicht gesagt, aber in der Praxis oft gar nicht so einfach ist, sind wir überzeugt, dass der Sorgfaltsmaßstab nicht überspannt werden darf.

INARA: Wofür ist denn der Aufsichtsrat bei der Kreditvergabe konkret zuständig?
Kunz/Seeber: Es ist eine weitverbreitete Meinung, dass dieses Gremium nur für die Genehmigung bei den sogenannten, in der Kapitaladäquanzverordnung (CRR) definierten Großkreditvergaben zuständig ist. Großkredite sind Kredite an einen Kreditnehmer oder eine Gruppe verbundener Kreditnehmer, deren Wert 10% der anrechenbaren Eigenmittel des Instituts erreicht oder überschreitet. Richtigerweise präzisieren die Geschäftsordnungen für den Aufsichtsrat aber in der Praxis, ab welcher Kredithöhe im Einzelfall oder auf ein Bankgeschäftsjahr gerechnet eine Genehmigungspflicht besteht. Das wird von Finanzinstitut zu Finanzinstitut unterschiedlich gehandhabt und hängt in der Regel von dessen Geschäftsmodell und der Erfahrung mit einem Geschäft/Geschäftszweig ab. So werden die Wertgrenzen in einer auf Immobilienkredite spezialisierten Bank für das langjährige inländische Geschäft anders aussehen als für das kürzlich in Angriff genommene Auslandsgeschäft.

Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass der Aufsichtsrat über die genehmigungspflichtigen Einzelgeschäfte hinaus auch eine allgemeine kontrollierende und beratende Funktion hat, die die gesamte Geschäftstätigkeit eines Kreditinstituts betrifft. Das inkludiert auch eine Befassungspflicht mit kleineren Kreditvergaben, zwar nicht auf Einzelfallbasis, aber von der Entwicklung in einer Betrachtungsperiode (Stichwort Organisationsverschulden). Das wird leider oft übersehen.

INARA: Empfehlen Sie Aufsichtsräten, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben tendenziell eher niedrigere oder eher höhere Wertgrenzen für Kreditvergabegenehmigungen?
Kunz/Seeber: Das ist ein zweischneidiges Schwert: Legt der Aufsichtsrat für den Genehmigungsvorbehalt niedrige Limite fest, ladet er sich Arbeit und Verantwortung auf und vergrößert sein Risiko, etwas falsch zu machen. Auch setzt er sich gegebenenfalls dem Vorwurf aus, damit in die operative Geschäftsführung, die dem Vorstand vorbehalten ist, einzugreifen. Sind die Schwellen jedoch hoch, kommt er möglicherweise seiner Überwachungsaufgabe nicht in ausreichendem Ausmaß nach und macht sich dadurch angreifbar. Vernunft und Augenmaß sind daher immer ein guter Gradmesser für diese Entscheidung.

Die Aufsichtsratsmitglieder sollten eine Diskussion im Gremium dazu führen und nach Abwägung aller Für und Wider eine nachvollziehbare und begründbare Entscheidung treffen. Das gilt natürlich in gleicher Weise für die Genehmigung einzelner Kredite. Der Aufsichtsrat muss besonders hier jeden Anschein vermeiden, einen Genehmigungsantrag ungeprüft „durchgewunken“ zu haben.

INARA: Wieweit darf sich der Aufsichtsrat bei der Genehmigung von Kreditanträgen auf den Vorstand verlassen?
Kunz/Seeber: Wer sich auf andere verlässt, ist schon verlassen – heißt es schon im Sprichwort. Daraus ergibt sich, dass der Aufsichtsrat auf die der Arbeit des Vorstandes aufbauen kann und muss, sich aber nicht (blind) darauf verlassen darf. Dazu ist zu beachten, dass ein Kreditantrag, bevor er in den Aufsichtsrat bzw. in den Risiko- oder Kreditausschuss kommt, in der Bank schon durch mehrere Instanzen gegangen ist und die Zustimmung des Vorstands bekommen hat. Hat nun der Aufsichtsrat mit der Kompetenz und Erfahrung des Vorstands gute Erfahrungen gemacht, kann er darauf aufbauen, dass der Antrag den Vergaberichtlinien entspricht, verlassen darf er sich darauf aber nicht. Der Aufsichtsrat sollte immer kritische Fragen stellen, z.B. zur Werthaltigkeit von Sicherheiten und dem Vorstand signalisieren, dass nicht alles „automatisch durchgeht“. Auch ein schriftliches Schätzgutachten ist nicht sakrosankt und „darf“ vom Aufsichtsrat kritisch analysiert werden. Hat der Aufsichtsrat einen begründeten Zweifel, kann es auch sinnvoll sein, einen zusätzlichen Experten von seiner Seite zuzuziehen.

Besonders schwierig sind Entscheidungen zu Folgekrediten, obwohl der Erstkredit „wackelt“. Da können auch Fachleute zu unterschiedlichen Meinungen kommen.

INARA: Woran kann man festmachen, ob der Bankenaufsichtsrat bei der Genehmigung von Großkreditvergaben versagt, also seine Pflichten verletzt hat?
Kunz/Seeber: Hier müssen wir differenzieren. Fällt ein Kredit aus, weil die Kreditvergabe in Abstimmung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu leichtsinnig erfolgt ist (also die Vergabe des Kredites bei gehöriger Prüfung nicht hätte erfolgen dürfen) – das kann z.B. dann der Fall sein, wenn die Bonitätsüberprüfung des Kreditnehmers zu oberflächlich war – steht zunächst der Vorstand in der ersten Reihe der Verantwortungskette. Aber auch der Aufsichtsrat kann zur Verantwortung gezogen werden, wenn dieser seiner Überwachungs- und Befassungspflicht nicht entsprechend nachgekommen ist, also einen schuldhaften Sorgfaltspflichtverstoß begangen hat. Ein besonders plastisches Beispiel einer Haftungssituation für Aufsichtsräte ist gegeben, wenn dem Aufsichtsrat offensichtlich unzureichende Kreditunterlagen vorgelegt wurden und er dennoch aufgrund dieser Unterlagen entscheidet, obwohl die Angelegenheit offensichtlich nicht entscheidungsreif war.

Wird ein im Rahmen des Vorstandspouvoirs gewährter Kredit vom Kunden nicht bedient, ist die Frage zu stellen, ob den Aufsichtsrat eine Pflichtwidrigkeit trifft, weil er die Genehmigungsgrenze nicht niedriger gesetzt hat. Bis dato gibt es dazu jedoch keine uns bekannten straf- bzw. zivilrechtlichen Urteile.

INARA: Wie beurteilen Sie summa summarum die Kompetenz von Bankenaufsichtsräten?
Kunz: In den letzten Jahren hat sich diesbezüglich viel getan. Dies auch getrieben durch die bei der FMA abzulegenden Fit & Proper-Tests, deren praktische Umsetzung zwar verbesserungsfähig ist, die aber auch dazu geführt haben, dass noch mehr Aufwand getrieben wird und es zu einer Qualitätsverbesserung gekommen ist. Viel wichtiger als umfangreiche Fachkenntnisse sind immer noch das praktische Verständnis (ich nenne das gerne „Hausverstand auf hohem Niveau“), die Fähigkeit und Bereitschaft, „über den Tellerrand zu schauen“ und das Fingerspitzengefühl im Umgang mit sensiblen Situationen. Generell stelle ich Bankenaufsichtsräten aber ein gutes Zeugnis aus. Die Funktion und Aufgaben werden ernster genommen als früher, die Diskussion ist intensiver und das Verantwortungsbewusstsein höher geworden.

Seeber: Nicht immer sind aber im Aufsichtsrat alle für einzelne Geschäfte erforderlichen Qualifikationen abgebildet. Vergibt z.B. eine Bank viele Großkredite an tschechische Kunden, dann wird es gut sein, wenn ein Mitglied des Kreditausschusses den tschechischen Markt und dessen Rahmenbedingungen kennt, lokale Kontakte hat und die tschechische Sprache beherrscht. Aber auch hier sehe ich work in progress, auch in Anbetracht des Haftungsrisikos. Darüber hinaus empfiehlt es sich, gerade in solch schwierigen Situationen auch externes Know-how zuzukaufen; dies gilt auch, wenn es in einem Einzelfall geboten scheint

INARA: Wollen Sie Bankenaufsichtsräten einen Tipp mitgeben?
Kunz: Aus meiner Sicht wird dem Aufsichtsratsprotokoll noch viel zu wenig Bedeutung beigemessen. Meist sind es Mitarbeiter der Bank, die für die Protokollführung verantwortlich sind und unter der Weisungshoheit des Vorstands stehen. Hier wünsche ich mir eine bessere Protokollkultur. So wie sich Aufsichtsräte mittlerweile auf die Sitzungen intensiv vorbereiten, so sollten sie auch den vorgelegten Protokollen Zeit und Aufmerksamkeit widmen bzw. schon in der Sitzung ersuchen, dass gewisse Wortmeldungen zu Protokoll genommen werden. Im Gerichtsverfahren hat das geschriebene Wort immer einen höheren Stellenwert als das mündliche. Auch schriftliche Aktenvermerke erhöhen die Glaubwürdigkeit erheblich. Das ist noch nicht überall angekommen.

Seeber: Ich halte Auslandskredite – auch um das eigene Bankportfolio zu diversifizieren – grundsätzlich für sinnvoll und glaube, dass das damit verbundenen Risiko kalkulierbar ist. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang gute Kenntnisse der Rechtsordnung, in der Auslandskredite vergeben werden. Zudem müssen auch Veränderungen laufend geprüft werden, dazu sollte es einen verlässlichen Monitoringprozess geben.

Dr. Peter Kunz ist Gründungspartner von Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte (KSW) und selbst aktiver Aufsichtsrat und Vorstand von Privatstiftungen. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten gehören Bank-, Finanzierungs- und Kapitalmarktrecht, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Vorstands- und Aufsichtsratsangelegenheiten sowie Wirtschaftsstrafrecht und Compliance.

Dr. Thomas Seeber MASCI (Padova), LL.M. (Krems) ist Partner bei KSW. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Banken- und Kapitalmarkt- sowie im Immobilien- und Gesellschaftsrecht. Thomas Seeber ist Mitglied des international besetzen Runden Tisches Grundpfandrechte, Autor zahlreicher Fachpublikationen und auch laufend als Vortragender tätig.

Das Interview führte Brigitta Schwarzer

Mehr zu KSW: www.ksw.at
KSW ist Kooperationspartner von INARA.

Peter Kunz@2x1 Fotocredit: KSW
Thomas Seeber Fotocredit: KSW