Interview: „Aufsichtsgremien sind die obersten Überwacher der Corporate Governance“

Interview: „Aufsichtsgremien sind die obersten Überwacher der Corporate Governance“

Last Updated on 2021-11-08
ESV-Redaktion Management und Wirtschaft

Ein Engagement in einem Beirat oder Aufsichtsrat sehen viele als Höhepunkt einer beruflichen Karriere. Wer sich für ein Mandat ins Gespräch bringen will, sollte sich aber aller Konsequenzen bewusst sein, die ein solcher Posten mit sich bringt. Beiratsexperte Rudolf X. Ruter spricht im Interview mit ESV-Redakteur Wolfhart Fabarius über die wichtigsten Erfolgsfaktoren.

„Es gibt drei Berufe, die man nicht erlernen muss: Den des Ehemannes, den des Politikers und den des Aufsichtsrats. Zumindest letzteres sollte sich ändern.“ Das Zitat stammt von Manager Thomas Middelhoff und er sagte dies zur Eröffnung des Instituts für Corporate Governance. Was hat sich seitdem, also innerhalb der vergangenen 15 Jahre, verändert?

Rudolf X. Ruter: Mir fällt vor allem auf, dass der Begriff Corporate Governance, der seit einigen Jahrzehnten für eine ordnungsgemäße und erfolgreiche Unternehmensführung steht, bei allfälligen Wirtschaftsskandalen und Zusammenbrüchen strapaziert wird. Das trifft nicht nur auf die Wirtschaft selbst zu, sondern insbesondere auf die Wissenschaft und immer mehr auch auf die öffentliche Diskussion. Tatsächlich haben Skandale wie zuletzt bei Wirecard eklatante Schwächen in gelebter Corporate Governance aufgedeckt. Gehalts- und Abfindungsexzesse werden in der Öffentlichkeit immer stärker thematisiert. Investoren fordern kürzere Amtszeiten, der Gesetzgeber mehr Expertise und eine sofortige Verschärfung der Gesetze. Manche verlangen sogar, das deutsche Corporate-Governance-System von Grund auf umzuarbeiten.

Für alle, die sich auf das Abenteuer einlassen wollen: Wie wird man denn nun Aufsichtsrat?

Rudolf X. Ruter: Durch Berufung und Bestellung aufgrund fachlicher und persönlicher Kompetenzen. Dazu zählen die individuelle Positionierung, der USP (Unique Selling Point), der Mehrwert für das Aufsichtsgremium und die bisherigen unternehmerischen Erfolge.

Welche Verantwortung trägt ein Aufsichtsrat?

Rudolf X. Ruter: Aufsichtsgremien wie Beirat, Aufsichtsrat, Stiftungsrat und Verwaltungsrat sind die obersten Überwacher und Hüter der Corporate Governance. Sie fordern die Leitlinien und Grundsätze einer langfristig und nachhaltig orientierten Unternehmensführung ein und sind der Garant einer Verankerung im Tagesgeschäft. Jedes Aufsichtsratsmitglied ist persönlich für die effektive und effiziente Unternehmensüberwachung verantwortlich. Nur so kann der Aufsichtsrat seinem doppelten Auftrag als Kontrolleur und Ratgeber gerecht werden.

Sind sich speziell Aufsichtsräte ihrer Verantwortung in der Regel bewusst?

Rudolf X. Ruter: Die meisten sind sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst.

Aufgrund laufender Gesetzesinitiativen wachsen mit den Aufgaben aber auch die Anforderungen. Der geänderte Prüfungsstandard IDW PS 340 zur Prüfung des Risikofrüherkennungssystems führt beispielsweise dazu, dass Aufsichtsräte zu beurteilen haben, ob alle eingerichteten Strukturen und Prozesse des Risikomanagements wirksam sind. Sind Aufsichtsräte insgesamt betrachtet hinreichend auf ihre Rolle als Überwacher vorbereitet?

Rudolf X. Ruter: Hier gibt es noch erhebliches Potenzial für Verbesserungen. Viele Mitglieder von Aufsichtsgremien verstehen weder das Risikofrüherkennungssystem noch das eigentliche Geschäftsmodell. Also können sie die Abläufe auch nicht überwachen.

Sind neue Aufsichtsräte also oft nicht hinreichend auf ihre Aufgaben vorbereitet? Woran hapert es?

Rudolf X. Ruter: Aufsichtswissen unterscheidet sich von Vorstandswissen. Fachliche Kompetenz veraltet schnell und viele Neulinge unterschätzen den persönlichen Fort- und Weiterbildungsbedarf als Aufsichtsrat oder Beirat. Wie eine Studie der Director‘s Academy gezeigt hat, bilden sich lediglich 3,7 Prozent der Aufsichtsräte regelmäßig fort. Aufgrund der steigenden Anforderungen an den Aufsichtsrat sind jedoch regelmäßige Fortbildungen unerlässlich.

Wo finden Aufsichtsräte die beste Unterstützung bei der Bewältigung ihres wachsenden Aufgabenspektrums?

Rudolf X. Ruter: Ganz klar in den zahlreichen Berufs- und Interessensverbänden für Aufsichtsräte und Beiräte und in den umfangreichen Fort- und Weiterbildungsangeboten, die ich auch in meinem Buch aufführe.

Aufsichtsräte haften bereits bei einfacher Fahrlässigkeit unbegrenzt. Schreckt das potenzielle Kandidaten ab? Oder sehen das die meisten entspannt, weil sie sich problemlos an die Regeln halten?

Rudolf X. Ruter: Wer Verantwortung trägt, muss auch für die Ergebnisse seines Handelns und Nichthandelns die Konsequenzen übernehmen. Ein ehrbarer Aufsichtsrat akzeptiert grundsätzlich seine persönliche Haftung für Pflichtverletzungen im Rahmen seiner Verantwortung und seines Handelns. Sowohl ein Aufsichtsrat als auch ein Beirat muss sich bewusst sein, dass das Amt Extrementscheidungen mit sich bringen kann. Diese gilt es im Rahmen der Business Judgement Rule zu treffen und dafür müssen sie persönlich einstehen. Eine D&O-Versicherung kann allenfalls den Schmerz etwas abmildern.

Rudolf X. Ruter: Als Experte für Nachhaltigkeit und Corporate Governance beschäftigt sich Rudolf X. Ruter seit knapp vier Jahrzehnten verstärkt mit Ethik und Ehrbarkeit in der Wirtschaft. Nach seiner Tätigkeit als Gesellschafter und Geschäftsführer bei Arthur Andersen baute er als Partner bei Ernst & Young den Geschäftsbereich Nachhaltigkeit in Deutschland auf. Er hat zahlreiche Fachartikel u. a. zum Thema Nachhaltigkeit, Corporate Governance, Compliance, AR/Beiräte und Unternehmensführung veröffentlicht.

Quelle und Teil 2 des Interviews: Aktuell – Erich Schmidt Verlag (ESV)

www.ruter.de