Interview Elektrounternehmer: “Sie derschlagen die Jungen mit Geld und nehmen uns die Leute weg”

Interview Elektrounternehmer: “Sie derschlagen die Jungen mit Geld und nehmen uns die Leute weg”

Last Updated on 2025-05-09
standard.at / Regina Bruckner, 04.05.2025

Zettelwirtschaft treibt Andreas Wirth um – und er ärgert sich über Betriebe, die seine Leute abwerben. Beim Nachwuchs beginne man oft von vorn, mit “Guten Morgen”, “bitte”, “danke”

Mit der Idee einer Ablöse für Lehrlinge ließ Andreas Wirth jüngst aufhorchen. Die Großen werben den Kleinen den ausgebildeten Nachwuchs ab, sagt der Unternehmer und Chef der Wirtschaftskammer im Burgenland.

STANDARD: Sie sind Chef eines Elektrounternehmens, vertreten im Burgenland viele kleinere Unternehmen. Bei Betrieben heißt es oft, es macht keinen Spaß mehr. Wieso?

Wirth: In den letzten Jahren ist viel passiert, von der Corona-Krise bis zur Energiekrise, die Kriegssituation, all das wirkt sich aus. Das eine ist die Lohnsituation. In meinem Betrieb gilt der Metaller-KV. Wir haben innerhalb von drei Jahren knapp 20 Prozent Lohn- und Gehaltserhöhungen gehabt. Nicht, dass ich das meinen Mitarbeiterinnen nicht gönne. Aber es steigen parallel alle Abgaben, Krankenkasse, Finanzamt, Gemeinde, du musst aber dieses Geld erwirtschaften. Das wird immer schwieriger.

STANDARD: Obwohl alles teurer ist?

Wirth: Als es 2021 losgegangen ist, hatten wir unsere Preise für die Aufträge festgelegt. Dann sind die Krisen gekommen, man hat auf der Ausgabenseite die Erhöhungen gespürt. Die Unternehmen sind sehr stark unter Druck gesetzt worden. Man spürt wirklich, dass das vielen keine Freude mehr macht. Auch die Energiepreise sind komplett instabil. Keiner weiß, was passiert, wenn Putin keine Ruhe gibt und wieder jemand angreift.

STANDARD: Sie sind ja kein energieintensiver Betrieb.

Wirth: Ich habe neben der Elektrik zwei Gastrobetriebe, dort haben wir die Energie ordentlich gespürt. Dann die Bürokratie – die wächst uns über die Ohrwascheln hinaus. Wir machen gerade einen Kindergarten. Wenn wir eine Baustelle anfangen, hab ich ein Prüfprotokoll vom Elektrotechniker, in dieser Dokumentation ist alles drinnen, was man braucht, wenn es Probleme gibt. Zusätzlich fordert der Auftraggeber, das Land, eine Tabelle und von jedem Produkt ein Datenblatt. Das hab ich aber alles schon im Anlagenbuch drinnen. Muss ich noch einmal machen, in siebenfacher Ausführung. Warum?

STANDARD: Können Sie nicht einfach zum Telefonhörer greifen und Landeshauptmann Doskozil anrufen?

Wirth: Habe ich. Wir werden jetzt im Burgenland einen eigenen Ausschuss machen, wo wir Betroffene aus der Wirtschaft und die Politik zusammenbringen, damit wir solche Fälle nicht wachsen lassen.

STANDARD: Klingt, als wüsste die eine Hand nicht, was die andere tut.

Wirth: Ja, aber das haben wir in ganz Österreich. Ich muss in meinem Betrieb den Kollektivvertrag aushängen. Tschuldigung, in welchem Zeitalter leben wir? Jeder, der seinen KV wissen will, geht auf ChatGPT oder sucht am Handy.

STANDARD: Eine Kleinigkeit, oder?

Wirth: Aber viele Kleinigkeiten ergeben einen großen Mist.

STANDARD: Stimmt wohl. Wechseln wir die Seite: Egal ob Elektriker, Installateur, Fliesenleger, bei allen gibt es wochenlange Wartezeiten. Das macht auch für Kunden keinen Spaß mehr.

Wirth: Hat sich jeder Konsument auch schon selbst gefragt, welchen Beruf seine Kinder gelernt haben? Wir haben einen Facharbeitermangel. Nach wie vor. Elektriker, Baumeister, Fliesenleger, Tischler, Maler haben ganz große Probleme mit Nachwuchs. Wir brauchen dringend mehr Lehrlinge.

STANDARD: Wollen die jungen Leute nicht?

Wirth: Mein Sohn möchte Fleischhacker lernen, der hört auch in der Schule von vielen Leuten: Du machst eine Lehre, bist du zu blöd für die Schule? Es ist nach wie vor bei uns in den Köpfen drinnen, wenn du nix kannst, gehst du in die Lehre. Die Unternehmen sind auch schon ziemlich angefressen. Da bilden fleißige Betriebe junge Leute aus, und dann kommen Betriebe, zum Teil auch staatliche, und derschlagen die jungen Leute mit Geld und nehmen uns die Leute weg, die wir ausgebildet haben. Viele Betriebe bilden dann nicht mehr aus und sagen, ich werbe dann auch ab.

STANDARD: Sie fordern eine Ablöse für Lehrlinge. Wie war die Resonanz?

Wirth: Extrem hoch, weil mir sehr viele handwerkliche Betriebe recht geben. Wir haben die schwierigste Zeit, die Jugendlichen sind in der Pubertät. Wir spielen zum Teil nicht nur Ausbildner, sondern auch Erzieher – vermitteln die ganz einfachen Sachen: “Guten Morgen”, “bitte”, “danke”. Jeder Lehrer weiß, wovon ich rede. Da gibt es Verschlafen, Nichtkommen, regelmäßige Krankenstände. Ich sag’s ganz offen, wenn ein Lehrling zwölfmal im Jahr krank ist, mache ich mir meine Gedanken. Wir müssen das alles in den laufenden Betriebskosten unterkriegen. Früher war das kein Problem, in den heutigen Kalkulationen ist das nicht drinnen. Würden wir auf regionaler Ebene unseren Monteuren das zahlen, was die großen Betriebe zahlen, würde die Monteurstunde 150 Euro kosten, doppelt so viel wie jetzt.

STANDARD: Andererseits rufen Gewerbebetriebe nicht zurück, antworten nicht auf Kundenanfragen. Auch nicht die feine Art oder?

Wirth: Wenn die Bücher voll sind, ist es auch für den Betrieb schwer, alle Aufträge auf einmal abzuwickeln. Und die Gesellschaft hat sich auch geändert. Früher hat man einen Elektriker oder Installateur angerufen und ein bisschen Geduld gezeigt. Die Geduld gibt es heute nicht mehr. Wir haben Kunden, die rufen am Tag 20-mal an, weil sie jetzt jemand brauchen. Wir wissen aber, dass es jetzt nicht drin ist. Wir könnten den Spieß umdrehen und sagen: Wenn so viel Nachfrage ist, hauen wir den Preis in die Höhe, dass es nur so pascht. Aber der Kunde soll sich das ja auch leisten können.

STANDARD: Der Preis ist oft ein Grund dafür, dass die Leute sich einen Pfuscher holen. Wann schaut man hin, wann weg?

Wirth: Schwarzarbeit ist sicher ein Thema bei uns in Grenznähe, aber ich glaube nicht, dass uns die jetzt den großen Kuchen wegnimmt.

STANDARD: Und Sie können Mitarbeiter aus Ungarn engagieren.

Wirth: In meinem Betrieb habe ich genauso Mitarbeiter aus Ungarn. Aber das ist nicht mehr so, wie es früher war. Die ungarischen Mitarbeiter bekommen komplett den gleichen Lohn wie die österreichischen. Früher war das wohl zumindest in den Anmeldungen das eine oder andere Mal – sagen wir einmal: flexibel. Ich traue mich wetten, dass ohne ungarische Fachkräfte einige Operationen, einige Pflegedienste, einige Röntgendienste gar nicht machbar wären. Die Gastronomie würde wahrscheinlich stillstehen. Darum müssen wir immer aufpassen, wie wir mit ihnen umgehen.

STANDARD: Apropos Aufpassen. Manche Sanierungsmaßnahmen wurden gestoppt. Schlecht für Kunden und Geschäft?

Wirth: Die Investitionsförderung gibt es wie früher. Die Mehrwertsteuerbefreiung galt nur für ein Jahr, war für Elektrobetriebe und Kunden relativ einfach, für Häuslbauer war es super. Aber ich habe eben eine Photovoltaikanlage mit Stromspeicher verkauft, wir beantragen die Förderung beim aktuell offenen Call. Der Kunde bekommt seine 3200 Euro Förderung, bei der Mehrwertsteuerbefreiung hätte er 3400 gehabt.

STANDARD: Es hat viel darauf hingedeutet, dass die erwartete Förderung in den Angeboten auf die Listenpreise aufgeschlagen worden.

Wirth: Ausschlaggebend für den Photovoltaik-Boom war, dass die Strompreise auf über 50 Cent hinaufgeschnalzt sind, nicht die Förderung von Frau Gewessler. Da sind die Nachfragen hinaufgegangen, das war wirklich krank. In meinem Betrieb hatten wir zig Anrufe pro Tag, aber wir haben kein Material bekommen. Die Ware wurde international so hoch gehandelt, dass der Preis im Verkauf hoch war, aber bei uns ist minimal übergeblieben. Das war keine schöne Zeit als Unternehmer, und ich bin seit 18 Jahren in der Photovoltaik-Branche. Es war viel Stress, weil sich die Kunden beschwert haben: Zu uns kommst nicht, zu uns kommst nicht.

STANDARD: Bei PV-Anlagen kommt viel Ware aus China. Jetzt haben wir einen Made-in-Europe-Bonus. Gut?

Wirth: Das hätte vor zehn Jahren in der Förderung eingebaut gehört. Jetzt ist der Hype großteils vorbei. Die Chinesen haben die Werke so hochgefahren, dass man wahrscheinlich mit dem Preis gar nicht hinkommen wird. Der Wechselrichter allein ist es ja nicht, ich habe auch Montagematerial und die PV-Paneele. Ich kenne da kein Werk mehr in Europa. Die sind weg. Und der chinesische Markt lässt uns ein bisschen verhungern. In der schwierigen Zeit hat man nie eine ganze Anlage bauen können, die haben immer irgendwelche Teile zurückgehalten. Da hat man uns schon stark in der Hand.

STANDARD: Ist made in Europa für Ihre Kunden wichtig?

Wirth: Ich habe so viel geworben mit made in Europa, mit made in Austria. Vielleicht fünf Prozent sagen, sie wollen die bessere Qualität. Wissen Sie, was die Kunden interessiert? Der Preis.

STANDARD: Dann bleibt es wohl schwierig. Die Leute geben ihr Geld nicht aus, wir erwarten das dritte Rezessionsjahr.

Wirth: Es wird nicht mehr günstiger. Von dem muss man sich verabschieden. Es wäre jetzt langsam an der Zeit, dass man dieses Schlechtreden ablegt. Ich muss ja ein bisserl ein Kämpferherz haben und sagen: So, wir wollen etwas erreichen, müssen positiv in die Zukunft schauen.

 

ZUR PERSON: Andreas Wirth (41) ist in einem Gastronomiebetrieb aufgewachsen, hat eine Lehre gemacht und seinen eigenen Betrieb gegründet. Als Landes- und Bundesinnungsmeister war er der oberste Elektrotechniker im Land. Mit seiner Frau hat er einen Dorfladen und Gastronomie eröffnet. Regionalität werde von vielen Kommunalpolitikern hochgelobt, es bleibe aber meist bei Sonntagsreden.

ZUM UNTERNEHMEN: Den Grundstein für seinen Elektrotechnikbetrieb Elektro Wirth in Steinbrunn hat Andreas Wirth 2008 zunächst im Haus seiner Eltern gelegt. Mit dem Kauf der ehemaligen Billa-Filiale kam der Dorfladen dazu, den seine Frau samt Gastro betreibt. Der Betrieb erwirtschaftete zuletzt mit 65 Beschäftigten sieben Millionen Euro Umsatz, rund ein Fünftel im Bereich Photovoltaik.

Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000268091/elektrounternehmer-sie-derschlagen-die-jungen-mit-geld-und-nehmen-uns-die-leute-weg