Interview: „Frauen ergreifen eher in Erbschaftsfragen die Initiative, Männer bei der Altersvorsorge.“

Interview: „Frauen ergreifen eher in Erbschaftsfragen die Initiative, Männer bei der Altersvorsorge.“

Last Updated on 2020-05-28
credit-suisse.com / Mariska Beirne

Fragen rund um Erbschaft und Altersvorsorge sind Gegenstand des Arbeitsalltags von Désirée von Michaelis, Leiterin Wealth Planning bei der Credit Suisse – Themen, denen viele Menschen lieber aus dem Weg gehen, die aber gerade unter dem Einfluss von Covid-19 näher rücken. Im Interview erzählt sie aus der Sicht einer Frau, weshalb im Vorteil ist, wer sich möglichst früh damit beschäftigt.

Sie befassen sich beruflich unter anderem mit Themen rund um die Altersvorsorge und das Vererben. Wann beginnen sich Menschen mit dem Alter und der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen?

Es gibt die sogenannten „Magic Moments“: Das sind einschneidende Lebensereignisse wie eine Heirat, die Geburt von Kindern, ein Hauskauf. Manchmal sind sie auch überhaupt nicht „magisch“, eine Scheidung etwa oder der Todesfall einer gleichaltrigen Person. Aber es sind immer Momente der Veränderung, in denen man sich Gedanken zu machen beginnt, wie man seine Zukunft gestalten und seine Familie absichern möchte.

Vorsorgen – jetzt erst recht

Die Corona-Pandemie schränkt nicht nur die Bewegungsfreiheit ein, sondern schürt unter Umständen auch die Angst vor dem Tod. Deshalb kann es sinnvoll sein, sich gerade jetzt mit der Erbschaftsplanung auseinander zu setzen.

Welcher Zeitpunkt wäre in Ihren Augen ein idealer Moment, um das Thema Altersvorsorge anzugehen?

Bei Pensionierungsfragen empfehlen wir, sich spätestens mit 50 Jahren damit auseinanderzusetzen, wie man sein Alter gestalten möchte, sich zu fragen, was einem wichtig ist – und ob das Geld dafür reicht. Allerdings muss ich diese Antwort gleich relativieren: Mit Einzahlungen in die Säule 3a (freiwillige, individuelle, steuerlich begünstigte private Selbstvorsorge) sollte man beginnen, sobald man regulär arbeitet. Wer erst ab 50 Jahren regelmäßig in ein Säule-3a-Konto einzahlt, verpasst nicht nur die Möglichkeit, sich einen wertvollen Finanzpolster aufzubauen, sondern versäumt auch die Option, jährlich Steuern zu sparen. Es ist schade um jedes Jahr, in dem man dies ungenutzt verstreichen lässt. Dass neben der dritten Säule auch das private, ungebundene Sparen in Hinblick auf einen komfortablen dritten Lebensabschnitt immer bedeutender wird, zeigt unsere aktuelle Pensionskassenstudie – wir müssen alle mit sinkenden Renten rechnen.

Und ab wann sollte ich mich mit der Absicherung meiner Liebsten beschäftigen?

Der Zeitpunkt, zu dem Erbschaftsfragen relevant werden, ist individuell sehr unterschiedlich. Ein typischer Moment ist der Kauf eines Eigenheims. Etwa, damit im Fall des Todes eines Elternteils die Entscheidungsbefugnisse klar geregelt sind. Wir empfehlen unseren Kunden, alle fünf bis zehn Jahre zu prüfen, ob ihre Nachlassregelung weiterhin mit der persönlichen Situation übereinstimmt. Bei bedeutenden Veränderungen der Lebensumstände sollte man eine solche Überprüfung sofort vornehmen.

Ist Erbschaftsplanung eher etwas für Wohlhabende? Oder gibt es gute Gründe, mich damit zu beschäftigen, selbst wenn mein Besitz eher überschaubar ist?

Der Besitz muss gar nicht groß sein, ausschlaggebend sind eher die Komplexität und die Teilbarkeit. Über den Wert eines kleinen Hauses oder eines Unternehmens lässt sich leicht streiten. Sobald mehrere Erben involviert sind, ist eine Regelung sinnvoll. Wir beobachten zudem, dass immer mehr Menschen jemanden außerhalb der gesetzlichen Erbfolge begünstigen möchten. Das kann ein Lebensgefährte oder eine Lebensgefährtin sein. Viele möchten auch Sinn stiften und ihr Erbe oder einen Teil davon einer gemeinnützigen Organisation vermachen.

Angenommen, jemand entscheidet, sich und seine Liebsten abzusichern und das Erbe zu regeln. Wo beginnt man am besten?

Zunächst einmal empfehlen wir, die Zuständigkeiten im Falle der eigenen Urteilsunfähigkeit oder des eigenen Todes mit einer Vorsorgevollmacht zu regeln. Damit bestimme ich, wer bei einer Urteilsunfähigkeit die Entscheidungen über meine Versorgung und Unterbringung trifft und mich in allen anderen Bereichen vertritt, etwa wenn es um Vermögensverwaltung geht. In der Patientenverfügung halte ich fest, welchen medizinischen Behandlungen ich zustimme und was ich ablehne. Das Beispiel von Michael Schuhmacher zeigt, dass solche Themen nicht ans Alter gebunden sind. Sie können jede Person treffen. Wenn minderjährige Kinder vorhanden sind, ist auch eine Sorgerechtsverfügung sinnvoll. In ihr wird vermerkt, wer die Eltern vertreten soll, falls diese nicht mehr für ihre Kinder sorgen können.

Wenn ich eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht erstellt habe, wie fahre ich in Bezug auf die erbrechtlichen Regelungen fort?

Die persönliche Situation kann sich stetig verändern. Deshalb sollte man alle paar Jahre überlegen: Was habe ich? Wen möchte ich berücksichtigen? Wer braucht eine Absicherung? Und was ist mir wichtig? Falls ich zu dem Schluss komme, dass mir die gesetzliche Regelung nicht ausreicht, setze ich ein Testament auf. Auf unserer Website findet sich dazu viel Wissenswertes, unter anderem eine Anleitung, wie man ein Testament verfasst.

Oft hört man, Frauen würden sich weniger als Männer für Vorsorge- und Erbschaftsthemen interessieren. Deckt sich dies mit Ihrer Erfahrung?

Nur teilweise. Wenn es um Erbschaftsfragen geht, ergreifen eher die Frauen die Initiative und möchten sich organisieren, indem sie etwa eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung aufsetzen. Die Männer tun sich mit diesen emotionalen Themen tendenziell schwerer. Dafür sind sie bei der Altersvorsorge eher die Schrittmacher. Insbesondere verheiratete Frauen überlassen diese Themen gerne dem Ehemann. Sie sind sich oft zu wenig im Klaren darüber, welche Konsequenzen eine Babypause oder Teilzeitarbeit für die Altersvorsorge hat. Wir stellten kürzlich in einer Studie fest, dass viele Frauen das Potenzial der 3. Säule nicht nutzen, auch wenn sie die finanziellen Möglichkeiten dazu hätten.

Wie kann man das ändern?

Indem wir über diese Themen sprechen, immer wieder. Aber das Thema „Frauen und Banking“ fristet generell noch zu sehr ein Nischendasein. Ich möchte meine Geschlechtsgenossinnen anregen, sich mit Finanzen und Altersvorsorge auseinanderzusetzen. Anfangs mögen diese Themen etwas trocken anmuten, aber wenn man einmal merkt, wie sie die künftige Lebensqualität beeinflussen, wird es auf einmal spannend.

Zum Schluss: Dürfen wir um einen Tipp bitten, wie man diese doch schwierigen Aufgaben auch wirklich anpackt?

Ich kann nur sagen, was für mich funktioniert: Ich schreibe Dinge, die mich Überwindung kosten, in die Agenda. Gleichzeitig erzähle ich meinem Umfeld, was ich vorhabe. Das erhöht den Druck auf mich selbst und hat zugleich den Vorteil, dass diese mir lieben Menschen die Aufgaben dann vielleicht auch gleich angehen. Das Schöne, wenn man es geschafft hat: Man ist erleichtert und zu Recht auch ein bisschen stolz – erfüllt von diesem berühmten „Peace of mind“, wie es auf Englisch so schön heißt.

 

Désirée von Michaelis (45) ist Leiterin Wealth Planning bei der Credit Suisse. Seit 18 Jahren arbeitet sie im Finanzbereich. Mit ihrer eigenen Erbschaftsregelung setzte sie sich erstmals vor einigen Jahren auseinander, als sie und ihr Mann ein Haus kauften.

Quelle: https://www.credit-suisse.com/ch/de/articles/private-banking/frauen-ergreifen-eher-in-erbschaftsfragen-die-initiative-maenner-bei-der-altersvorsorge-201912.html


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