28 May „Kumulereignisse werden noch stärker gemieden werden“
Last Updated on 2020-05-28
versicherungsjournal.at / Manfred Kainz, 13.05.2020
Im Interview mit dem VersicherungsJournal geht Reinhold Mitterlehner, Aufsichtsratsvorsitzender der Oberösterreichischen Versicherung, auf die Coronakrise aber auch andere Herausforderungen für die Versicherungswirtschaft ein. Betriebsunterbrechung bräuchte aus aktuellem Anlass wohl ein Neudenken; Pflege- und Cybercrime-Vorsorge werden wohl oder übel die Zukunft sein; Insurtechs bereiten ihm keine Sorgen.
Reinhold Mitterlehner, ehemaliger ÖVP-Obmann, Bundesminister für Wirtschaft und Wissenschaft sowie Vizekanzler, ist seit Juni 2019 Vorsitzender des Aufsichtsrates der Oberösterreichischen Versicherung AG.
VersicherungsJournal: Gemäß der „Gesellschaftsrechtlichen Covid-19-Verordnung“ können ja heuer „Versammlungen von Gesellschaftern und Organmitgliedern einer Kapitalgesellschaft, (…), eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (…) auch ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer durchgeführt und Beschlüsse auch auf andere Weise gefasst werden“. Wie handhaben Sie Ihre Versammlungen?
Reinhold Mitterlehner: Wir nehmen wie andere in der Situation auch die Sonderbestimmungen für die Mitgliederversammlung in Anspruch. Eine Aufsichtsratssitzung im März haben wir ohne physische Anwesenheit elektronisch durchgeführt, die Sitzung im Juni wollen wir unter Beachtung der Sicherheitsvorschriften wieder „normal“ abhalten. Generell ist die Videokonferenz in diesen Wochen zu einem wichtigen Werkzeug geworden.
VersicherungsJournal: „Umgang mit einer Pandemie“ war bis März wohl in keiner Unternehmensstrategie, auch nicht von Versicherungs-AGs, explizit enthalten – und wohl auch kein Thema von normalen Aufsichtsratssitzungen. Wie behandeln Sie das Thema im Aufsichtsrat?
Mitterlehner: In der Versicherungstechnik und in den Risikoberechnungen nach Solvency ll ist Pandemie ein eigenes Modul in der Lebensversicherung. Für den Versicherungsbetrieb selbst gab es auch vor Corona Notfallpläne, deren Umsetzung gut funktioniert hat.
In den besonders heiklen Anfangswochen des Lockdowns waren nur fünf Prozent der Mitarbeiter im Haus anwesend, weil die Umstellung auf Homeoffice schnell und problemlos funktioniert hat. Wir sind generell solide aufgestellt und bis jetzt auch ohne Kurzarbeit durch die Krise gekommen.
VersicherungsJournal: Kommt es zu einer Veränderung bzw. Ergänzung Ihrer Unternehmensstrategie, Außendienstorganisation, Produktpolitik?
Mitterlehner: Wir hatten schon vor der Coronakrise eine ausgerollte elektronische Kundenkommunikation, die sich jetzt besonders bewährt hat. Unmittelbare Auswirkungen auf die Produktpolitik sehen wir nicht.
Versicherungsdeckungen für Pandemie und ähnliche große Kumulereignisse werden nach Corona von der Versicherungswirtschaft noch stärker gemieden werden und auch kaum Rückversicherer finden. Die Oberösterreichische Versicherung hat schon bisher keine Seuchenklauseln geführt, was nun ein klarer Vorteil ist. Generell erwarten wir eine schwierige und lang dauernde Erholung mit einer strukturellen Veränderung der Wirtschaft.
VersicherungsJournal: Kundennähe als Markenzeichen ist ja – mit und ohne Coronabeschränkungen – heute und in Zukunft mehr als persönliche Beratung. Kunden werden immer informierter, vergleichender, verwöhnter, kritischer, mobiler. Wie fließen die Konsumenten- und Marktveränderungen in Ihre Geschäftsstrategie als „starker Regionalversicherer“ ein?
Mitterlehner: Die Wirtschaft wird regionaler werden, da ist es unsere Stärke, Online-Know-how mit besonderer Nähe zum Kunden und persönlichem Service zu verbinden.
VersicherungsJournal: Wie gehen Sie mit der wachsenden Konkurrenz durch Insurtechs um?
Mitterlehner: Wir registrieren am Markt nach wie vor großes Interesse vor allem für direkte Betreuung. Über alle Insurtechs, Online-Vertriebe und ähnliches wird viel mehr geschrieben und diskutiert als in der Praxis versichert.
VersicherungsJournal: Welche Versicherungsarten müssten mehr an Bedeutung gewinnen und warum? Cybercrime, Betriebsunterbrechung, Pflege, Berufsunfähigkeit?
Mitterlehner: Von der Zukunft und prinzipiellen Notwendigkeit eines Schutzes gegen Cybercrime sind wir überzeugt. Wir haben hier ein sehr gutes Produkt speziell für KMUs entwickelt. Das tatsächliche Kundeninteresse ist aber (noch) geringer als die mediale Präsenz des Themas.
Die Oberösterreichische Versicherung war die erste, die ein eigenes Pflegeprodukt angeboten hat. Wegen der gewaltigen finanziellen Dimension und der öffentlichen Bedeutung ist diese Vorsorge aber eine Staatsaufgabe mit zunehmender Bedeutung. Wegen der öffentlichen Kostentragung wird eine private Pflegevorsorge am Markt kaum Chancen haben.
VersicherungsJournal: Braucht es aus aktuellem Anlass nicht ein Neudenken des Themenkomplexes Betriebsunterbrechung(sversicherung)?
Mitterlehner: An sich ja, wenn sich das Thema auf individuelle Ereignisse abgrenzen lässt. Als Abdeckung der Kosten einer Pandemie ist das Instrument ungeeignet. Das große Risiko deckt auch kein Rückversicherer ab. Nicht zufällig war schon bis zu Corona die Kostentragung für Betriebssperrungen im Zuge einer Epidemie gesetzlich beim Staat.
VersicherungsJournal: Die Niedrigstzinswelt dauert wohl noch Jahre. Wie gehen Sie im Deckungsstock bzw. in der Veranlagungsstrategie damit um?
Mitterlehner: Die niedrigen Zinsen werden uns noch lange begleiten und die Lebensversicherung oder den Verkauf von Lebensversicherungen mit Ansparverträgen noch langfristig erschweren.
Die Veranlagungsstrategie ist und bleibt vorsichtig, was immer noch den langfristigen durchschnittlichen Garantiezins absichert. Das Modell des österreichischen Deckungsstocks bewährt sich auch jetzt und ist alternativlos.