Studie: Aufsichtsratsarbeit in Zeiten hoher Unsicherheit

Studie: Aufsichtsratsarbeit in Zeiten hoher Unsicherheit

Last Updated on 2021-11-23
industriemagazin.at / Daniela Hamberger, 05.11.2021

INDUSTRIEMAGAZIN hat mit Studienautor Werner Hoffmann über die Ergebnisse der aktuellen Studie zur Aufsichtsratsarbeit in Krisenzeiten und andere Themen wie Diversität und Professionalität gesprochen.

Der Studienautor Werner Hoffmann, Professor der Wirtschaftsuniversität Wien (Institut für Strategisches Management) und Senior Partner bei EY-Parthenon, hat sich in seiner aktuellen Studie unter anderem mit der Aufsichtsratsarbeit in Krisenzeiten beschäftigt. „Auslöser war eine vergleichbare Studie von vor zehn Jahren, die sich mit dem Stand der Unternehmensaufsicht in Österreich beschäftigte. Nach dieser langen Zeit war eine erneute Standortbestimmung angebracht, um neue Herausforderungen zu erkennen und zu analysieren, welche Themen geblieben sind und was sich in der Praxis verändert oder auch verbessert hat. Die aktuelle Studie wurde ähnlich durchgeführt, nur um ein paar Punkte optimiert, die vor zehn Jahren einfach noch nicht relevant waren”, so Studienautor Werner Hofmann im Gespräch mit dem INDUSTRIEMAGAZIN. Das Thema Corona sei nicht der Mittelpunkt der Studie gewesen, so der Studienautor, es wurde aber in die Befragung aufgenommen, da es auch in der Aufsichtsratsarbeit eine nicht alltägliche Situation darstellt. „Wir konnten feststellen, dass sich Aufsichtsräte in Krisenzeiten stärker in das operative Geschäft einschalten, sich mehr informieren und die Themen Resilienz und Krisenmanagement mehr Beachtung gefunden haben.”  Die Studienergebnisse sollen der Österreichischen Aufsichtsrats-Community als Orientierungshilfe und Impulsgeber dienen, um die Arbeit in den Gremien weiterzuentwickeln.

Österreichs 500 umsatzstärkste Unternehmen

Es liegt eine Befragung zugrunde, die an die Aufsichtsratsvorsitzenden der 500 umsatzstärksten Unternehmen in Österreich zwischen Jänner und Mai 2021 ausgeschickt wurde und einen Rücklauf von 108 Unternehmen erzielte (ca. 22 Prozent der Unternehmen), darunter zahlreiche Multimandatsträger. „Die Zielgruppe dieser Befragung ist sehr spitz und wir freuen uns über diese beachtliche Rücklaufquote von 22 Prozent. Damit konnten wir eine sehr aussagekräftige Studie erstellen”, so Hoffmann.

Um zu vergleichen, wodurch sich die Aufsichtsratskonfiguration und -aktivität von Top-Unternehmen besonders auszeichnet und von wirtschaftlich weniger erfolgreichen Unternehmen unterscheidet, erfolgte eine zusätzliche Erhebung von Performancedaten für die Jahre 2016 bis 2018.

Etwa die Hälfte der Studienteilnehmer haben als Rechtsform eine AG. In einem Drittel der Fälle gibt es einen dominanten Eigentümer. Der Anteil der Familienunternehmen beträgt ca. 50 Prozent und knapp 30 Prozent der Unternehmen sind börsenotiert bzw. über den Kapitalmarkt finanziert, eine Beteiligung der öffentlichen Hand ist eher selten. Fast die Hälfte der Unternehmen erwirtschaften einen Umsatz von über 500 Mio. Euro.

Die Zusammensetzung der Aufsichtsräte

Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ist diverser und anforderungsgerechter geworden. „Man merkt, dass in die Auswahl der richtigen Personen für die Aufsichtsratstätigkeit viel mehr Zeit, Energie und auch professionelles Vorgehen fließen als es noch vor zehn Jahren der Fall war. Der Kompetenzmix spielt mittlerweile, im Gegensatz zu persönlichen Bekanntschaften, eine wesentlich höhere Rolle”, so Hoffmann.

Die Vielfalt des Aufsichtsrats hat sich im Vergleich zu 2011 erhöht; insbesondere der Frauenanteil im Gremium konnte in den letzten zehn Jahren im Schnitt erheblich gesteigert werden. Doch Diversität ist nicht nur hinsichtlich des Frauenanteils, sondern auch hinsichtlich der Internationalität der Mandatsträger und des beruflichen Hintergrunds immer wichtiger geworden”, so Hoffmann. Die Mehrheit der Aufsichtsräte befürwortet eine höhere Diversität in der Zusammensetzung der Mitglieder.

Professionalität und Anforderungen sind gestiegen

Insgesamt ist die Aufsichtsrats-Tätigkeit in den vergangenen Jahren auch anspruchsvoller und professioneller geworden. „Das resultiert aus den gestiegenen Anforderungen an die Aufsichtsräte: sowohl die rechtlichen Anforderungen und das Haftungsrisiko, als auch die gesellschaftlichen Erwartungen an Aufsichtsräte sind deutlich gestiegen. Zumindest in dieser Zielgruppe, denn wir reden hier von den größten österreichischen Unternehmen”, so der Studienautor. Im Schnitt hat sich der jährliche Zeitaufwand sowohl von Aufsichtsratsvorsitzenden als auch von einfachen Aufsichtsratsmitgliedern um ca. zehn Prozent erhöht. Außerdem wurde die Arbeitsorganisation des Aufsichtsrats deutlich verbessert.

Was die Einbindung in die Strategiearbeit angeht, haben wir ein ganz deutliches Ergebnis. Die besonders erfolgreichen Unternehmen handeln in diesem Fall nach Lehrbuch. Denn der Vorstand erarbeitet die Strategien und Vorschläge und bindet den Aufsichtsrat so früh wie möglich ein, um sich mit ihm abzustimmen. Sobald die fertige Strategie vorliegt, hinterfragt der Aufsichtsrat die Vorlage. Mittlerweile werden auch sehr innovative Formate angewandt, um die strategische Einbindung bestmöglich zu gestalten. In diesem Fall gibt es zum Beispiel jährliche strategische Klausuren, Strategy Retreats, wo Vorstand und Aufsichtsratsmitglieder ein bis zwei Tage lang die Herausforderungen gemeinsam diskutieren. Und diese Formate finden wir mittlerweile bereits bei der Hälfte aller untersuchten und besonders erfolgreichen, Unternehmen”, erklärt Hoffmann.  Das vom Aktiengesetz vorgegebene Maß der Einschaltung des Aufsichtsrats in den Strategiefindungsprozess wird als Sollzustand gewünscht, der teilweise überschritten, aber auch unterschritten wird.

Eine regelmäßige Evaluierung wird stärker genützt und von der Mehrheit der Aufsichtsratsvorsitzenden befürwortet, aber noch nicht von allen Unternehmen für die systematische Weiterentwicklung der Aufsichtsrats-Arbeit angewendet. Sowohl Selbstevaluierung als auch Fremdevaluierung werden derzeit noch zu wenig durchgeführt und bieten daher Raum für Professionalisierung.

Digitale Technologien werden mehrheitlich zur Unterstützung der Aufsichtsrats-Arbeit verwendet. Dies zeigt sich durch einen starken Anstieg der Nutzung elektronischer Medien zur Beschlussfassung im Vergleich zu 2011 (plus 69 Prozent). Digitalisierung wird von den verschiedenen Unternehmen sehr heterogen im Aufsichtsrat gesondert behandelt.

Vergütung relativ gering

Die Vergütung der Aufsichtsrats-Tätigkeit ist im internationalen Vergleich (EU oder OECD-Staaten) auch nach zehn Jahren noch immer gering. „Österreich rangiert traditionell unter den Schlusslichtern der Vergleichsstaaten, oft auch auf dem letzten Platz. Für Aufsichtsratsmandate wird hierzulande zu wenig bezahlt, was ein weiteres Problem mit sich bringt, denn für internationale Interessent*innen wäre es finanziell absolut nicht lukrativ, ein Mandat in Österreich anzunehmen. Hier findet sich das Haupthindernis, warum die internationale Diversität der Aufsichtsräte nur schwer umzusetzen ist. Es gibt Unternehmen in Österreich, die ca. 90 Prozent ihres Gewinns im Ausland machen. Somit wäre es auch angebracht, den Aufsichtsrat mit unterschiedlichen Mitgliedern zu besetzen. Ein weiteres großes Problem in Österreich ist die Neidgesellschaft und die mediale Diskussion dieses Themas. Denn wenn zum Beispiel ein Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung seinen Aufsichtsräten mehr bezahlen möchte, dann führt das meist sogar zu Debatten im Nationalrat”, erklärt der Studienautor.

Risikomanagement spielt wichtigere Rolle

Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen sieht sich gut vorbereitet auf exogene Krisen. Dabei ist das Risikomanagement gerade in der Covid-19 Krise wichtiger geworden, wird aber auch professioneller durch den Aufsichtsrat begleitet. „Die Unternehmen haben sich speziell mit der Frage beschäftigt, wie in akuten Krisen, wie der Coronakrise, reagiert werden soll und wie krisenfest das eigene Unternehmen denn eigentlich ist”, so Hoffmann. Der Aufsichtsrat muss gleichermaßen für Resilienz und Agilität im Unternehmen sorgen. Nachhaltigkeit ist stärker in der Unternehmensstrategie verankert (in 83 Prozent der Unternehmen integriert in die Gesamtunternehmensstrategie) und ist zu einer relevanten Komponente der Aufsichtsrats-Arbeit geworden. Das NaDiVeG wird teilweise kritisch beurteilt.

Auffallend ist auch, dass der Großteil der Aufsichtsräte über kein eigenes Board Office verfügt. Die Mehrheit wünscht sich, dass das Board Office inhaltliche Unterstützung leistet, in einem Großteil der Unternehmen mit Board Office wird das auch so gelebt. Ein Board Office steigert die Effizienz des Aufsichtsrats; dennoch gibt es bei den Unternehmen weniger Aktivität bzgl. dessen Einführung.

Top & Flop Unternehmen

Obwohl sich Top & Flop Unternehmen (nach Branchen sortiert) nicht hinsichtlich ihrer Diversität unterscheiden, haben Top-Unternehmen hinsichtlich der Wichtigkeit von Diversität in der Zusammensetzung des Aufsichtsrats ein höheres Problembewusstsein. ,Top Unternehmen‘ gehen deutlich bewusster und systematischer mit der Zusammensetzung der Aufsichtsräte um und gestalten diese anforderungsgerecht und divers. Auch liegt die Vergütung hier deutliche höher, als bei den ‘Flop Unternehmen’, es scheint also, dass ‘Top Unternehmen’ die Arbeit mehr Geld wert ist.  Auch wird die Einbindung in die Strategiearbeit so betrieben wie der Sollzustand beschrieben. Und ein weiterer wichtiger Punkt ist die regelmäßige, kritische Reflexion der Aufsichtsratsarbeit”, so Hoffmann. Schließlich besteht auch ein professionelleres und bewussteres Krisenmanagement unter den Top-Performern, wo das Risikomanagement während Covid-19 stärker akzentuiert wurde.

Die Top-Performer zeichnen sich dadurch aus, dass es unter diesen keine Beteiligung der öffentlichen Hand gibt. Die persönliche Bekanntschaft zum Eigentümer als Auswahlkriterium ist weniger wichtig, um Aufsichtsratsvorsitzender zu werden. Des Weiteren gibt es unter den Top-Performern mehr hauptberufliche Aufsichtsrats-Mitglieder. Außerdem besteht eine ausdifferenziertere Arbeitsorganisation.

„Nach Auswertung der Ergebnisse legen wir den Unternehmen nahe: Professionalisieren Sie Ihre Aufsichtsratsarbeit”, schlussfolgert der Studienautor Werner Hoffmann.

Quelle: https://industriemagazin.at/a/aufsichtsratsarbeit-in-zeiten-hoher-unsicherheit