14 Nov Teilzeitland Österreich? Warum immer mehr Menschen kürzer arbeiten
Last Updated on 2024-11-14
standard.at / Philip Pramer, 12.11.2024
Das Hauptproblem liege an einem System, das ungewollt weniger Arbeitsstunden belohne – zu diesem Schluss kommt eine neue Studie
Die Teilzeitquote erreicht hierzulande neue Höchststände – bei gleichzeitig steigendem Arbeitskräftemangel. Die Gründe für den Trend zu weniger Wochenstunden sind vielschichtig, die wirtschaftlichen Folgen beträchtlich. Das zeigt eine neue Studie zur Erwerbsarbeitszeit der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung, die das Wirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat.
„Die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung lässt sich nicht durch einen Mangel an Vollzeitstellen erklären”, heißt es in der Studie. Tatsächlich geben nur etwa sieben Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen und zehn Prozent der Männer an, keine Vollzeitstelle gefunden zu haben. Weitaus häufiger – bei etwa einem Viertel der Frauen und einem Drittel der Männer – ist der ausdrückliche Wunsch nach Teilzeitarbeit der Grund.
Bei Frauen spielt die Kinderbetreuung eine zentrale Rolle. Besonders deutlich wird dies bei Müttern von Kindern im Kindergartenalter: Ihre Teilzeitquote liegt bei fast 80 Prozent. Allerdings zeigt die Studie auch überraschende Muster: Frauen ohne Kinder wünschen sich häufiger explizit keine Vollzeitstelle als Mütter.
Ein weiterer wichtiger Faktor sind laut der Studie finanzielle Fehlanreize im österreichischen Steuer- und Transfersystem. Besonders problematisch ist die Möglichkeit, Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe mit einer geringfügigen Beschäftigung zu kombinieren. „Diese Kombination wird von vielen als attraktive Alternative zu einer regulären Beschäftigung gesehen”, erklären die Studienautoren in dem Bericht.
Mehr Arbeit, weniger Geld
Die Zahlen bestätigen das: Bei Beziehern von Notstandshilfe stockt etwa jeder Sechste mit einer geringfügigen Beschäftigung auf. Wer hingegen mehr als geringfügig arbeitet, verliert die komplette Unterstützung. Deshalb komme es zu „absurden Situationen”, in denen mehr Arbeit zu weniger Einkommen führt.
Die Autoren rechnen vor: Bei einem Stundenlohn von 15,90 Euro hat jemand mit sieben bis acht Wochenstunden (Kombination aus Notstandshilfe und Geringfügigkeit) ein Nettoeinkommen von etwa 1600 Euro. Erhöht diese Person die Arbeitszeit auf zehn Stunden, sinkt das Einkommen um rund 600 Euro – und erreicht erst bei etwa 25 Wochenstunden wieder das ursprüngliche Niveau.
Als weiteres grundlegendes Problem identifiziert die Studie, dass das derzeitige System geringe Einkommen pauschal unterstützt – egal, ob diese durch niedrige Stundenlöhne oder geringe Arbeitszeit zustande kommen. Oder anders gesagt: Die Programmiererin, die freiwillig nur wenige Wochenstunden arbeitet, profitiert ebenso von Negativsteuer und Sozialversicherungsbonus wie ein Angestellter im Niedriglohnsektor, der ein Vielfaches an Stunden leistet.
Die Studie untersucht auch drei mögliche Reformszenarien. Das weitreichendste davon könnte zusätzlich 44.000 Vollzeitarbeitsplätze schaffen. Kernpunkte wären die Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sowie die Wiedereinführung der Anrechnung des Partnereinkommens bei der Notstandshilfe. Allerdings hätte diese Reform auch Schattenseiten: Langzeitarbeitslose müssten mit Einkommensverlusten von bis zu 2,5 Prozent rechnen. Laut den Autoren eine „Abwägung zwischen höherer Beschäftigung und sozialer Absicherung”.
Teilzeitquote ist nicht alles
Es sei wichtig, die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden im Blick zu behalten, sagt Ökonom Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS), der nicht an der Studie beteiligt war, dem STANDARD. Alarmierend sei, dass Österreich das einzige OECD-Land ist, in dem die Arbeitszeit pro Beschäftigten immer noch unter dem Niveau von 2019 liegt. „Diesen Trend müssen wir irgendwann durchbrechen.”
Dennoch sollte man sich dabei nicht zu sehr auf das Ziel der Vollzeitarbeit versteifen. Aus seiner Sicht wäre es bereits ein großer Erfolg, wenn mehr Teilzeitbeschäftigte ihre Stunden etwa von 20 auf 30 aufstocken würden. „Es geht darum, die effektive Arbeitszeit zu erhöhen. Teilzeit ist nichts Einheitliches.” Wenn Menschen etwa in Teilzeit gehen, um sich weiterzubilden, sei das durchaus positiv zu bewerten.
Skeptisch sieht der Arbeitsmarktexperte den Vorschlag, die Geringfügigkeitsgrenze abzuschaffen: „Gerade für junge Menschen kann ein geringfügiger Job als Sprungbrett in den Arbeitsmarkt dienen.” Auch bei der vorgeschlagenen Abschaffung der Negativsteuer mahnt er zur Vorsicht. „Solche Maßnahmen haben zwar negative Anreizwirkungen, aber wie stark diese tatsächlich sind, ist fraglich. Wichtiger ist, die Menschen überhaupt erst in Beschäftigung zu bringen.”
Die hohe Teilzeitquote habe auch historische Wurzeln, erklärt Hofer. Während in Skandinavien Frauen schon lange selbstverständlich erwerbstätig sind und nach der Geburt eines Kindes rasch in den Job zurückkehren, dominierte in Österreich jahrzehntelang das klassische Modell des männlichen Alleinverdieners. Diese kulturellen Muster wirken bis heute nach. „Man braucht einen Sozialstaat, der Care-Arbeit übernimmt, damit die Menschen wieder arbeiten können. Auch das machen die skandinavischen Staaten sehr gut.”
Was heute die Kinderbetreuung ist, könnte schon bald die Pflege sein – schon heute gibt es in Österreich rund eine Million Menschen, die mit der Pflege ihrer Angehörigen beschäftigt sind. Ohne Betreuungsangebote könnten in Zukunft immer mehr von ihnen ihre Stunden im Job reduzieren – oder ganz aus dem Erwerbsleben aussteigen. (Philip Pramer, 12.11.2024)