Warum innere Distanz heilsam ist

Warum innere Distanz heilsam ist

Last Updated on 2020-04-21

Die Versuchung ist groß, wenn die Nerven angespannt sind: gleich zurückschlagen und sich Luft machen. Innerlich einen Schritt zurückzutreten ist aber die bessere Idee
Hartmut Volk,

Im Spanien des 17. Jahrhunderts lebte ein Jesuitenpater namens Balthasar Gracián. Sein Dasein wäre vermutlich im Rauschen der Geschichte verweht, hätte dieser Gracián nicht ein kleines Buch mit 300 lebensklugen Sentenzen hinterlassen: Handorakel und Kunst der Weltklugheit. Bis zum heutigen Tag wird es gedruckt. Es steht im Ruf, ein Geheimtipp für den inneren Umgang mit dem Äußeren zu sein. Gleich zu Anfang der kleinen Schrift findet sich der nur zu oft erst hinterher in seiner Bedeutung erkannte Hinweis: Behutsames Schweigen ist das Heiligtum der Klugheit.

Natürlich ist der Impuls da, auf den berühmten groben Klotz einen ebensolchen verbalen Keil zu setzen, nur klug ist das eben nicht. Schnell ist damit oft irreparabler Schaden angerichtet. Das Wissen um die bedenkliche Wirkung eilig-unbedachter Worte ist uralt. So mahnt bereits ein Hinweis aus dem alten China: Habe ich bei einem kleinen Ärger Geduld, kann ich mir Kummer für ein ganzes Leben ersparen.

“Machen Sie sich bewusst, was Sie senden, denn das empfangen Sie!”, legt der Schweizer Outplacementberater Riet Grass seinen Klienten immer wieder ans Herz. Das zu beherzigen ist nicht allein zur Erleichterung des beruflichen Neustarts in mancherlei Hinsicht bedeutungsvoll. Gilt doch grundsätzlich: Mit dem, was gesendet wird, lassen sich Chancen eröffnen oder verschließen, lassen sich Menschen zu- oder abgeneigt machen, kann gewonnen oder verloren werden. Um das zu erkennen und im Alltag praktisch umsetzen zu können, gäbe es allerdings eine Voraussetzung: Dazu müsse man zunächst Abstand zu sich selbst gewinnen. Und dabei sei Humor ein großer Helfer: “Humor ist ein wunderbares Mittel, um Abstand zu sich selber zu gewinnen. Und diesen Abstand brauchen wir, um anders, um neu zu denken. Humor als Haltung macht es aus, dass man die Dinge relativiert. Wer relativiert, ist locker. Wer verbissen ist, rennt hingegen immer wieder gegen die gleiche Wand.”

Humor entspannt die Situation

Seit vielen Jahren hat Alfred Kirchmayr in Wien seine Praxis für Psychotherapie und Lebenskunst. Sein großes Steckenpferd ist der Humor. “Betrachten Sie Humor als Ihren persönlichen Schutzengel, der Sie vor manchem Ungemach bewahren kann”, sagt er. Auch sein Rat: “Schenken Sie es sich, in Gesprächen nach dem ‚Wie du mir, so ich dir‘-Muster zu verfahren.” Mit dem Mund fix zurückzukeilen, das sei durchaus ein verständlicher Impuls, leider aber meist auch ein selbstschädigender und deshalb besser zu lassender. Der Versuch, behutsam und unaufdringlich mit humorvollen Tönen eine angespannte Situation zu entspannen, sei die klügere Reaktion. Das entkrampfe die Gemüter und die Atmosphäre und lotse das Miteinander aus dem Gefahrenbereich des Konfrontativen. Nicht immer, aber doch in aller Regel. Immerhin gäbe es ja auch total humorlose Menschen, die in ihrer Verbissenheit selbst eine humorvolle Reaktion noch als Angriff einstuften.

Für Kirchmayr zeigen gerade diese Menschen, wie wichtig die innere Distanz zu dem Äußeren für das Zusammenleben ist. Erkannte Sigmund Freud doch schon: Das Wesen des Humors besteht darin, sich die Affekte – = das impulsiv ärgerlich aufbrausende Aufflammen – zu ersparen, zu denen die Situation eigentlich Anlass gäbe. Humor bremst das Unmutspotenzial aus, was den Umgang miteinander im Handumdrehen zu einer kriegerischen Angelegenheit zu machen vermag. Das ist zu einer sprichwörtlichen Weisheit geworden: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Nicht unbedingt laut, nach außen hin, besser leise, nach innen. “Dieser leise Humor, der die inneren Wogen glättet und es dadurch ermöglicht, auch die äußeren Wogen zu beruhigen, wird dann im Miteinander zu einer ungeahnten Kraftquelle”, sagt Kirchmayr.

Humor ist nicht Witzemachen

Deshalb dürfe Humor, soll er helfen und unterstützen, nicht Anlass zu weiterer Erregung geben und mit Witzemachen gleichgesetzt werden. In einer unterschwellig ohnehin schon angespannten Begegnung könne eine als witzig gedachte Bemerkung die Glut der Erregung erst so richtig anfachen. Die Kunst humorvollen Verhaltens sei, mit feinem, hintergründigem Witz auf die Situation zu zielen und nicht auf das Gegenüber.

Natürlich ließe sich auch mit einer pointiert witzigen Bemerkung oder einem direkten Witz eine heikle Situation trefflich charakterisieren und bewusstmachen. Nur in spürbar kritischen Momenten, wenn die Nerven ohnehin schon angespannt seien, sei es hilfreicher, sich der Zweischneidigkeit dessen bewusst zu sein und es mit Witzchen eher vorsichtig angehen zu lassen. Denn Humor als Ausdruck innerer Distanz zu dem Äußeren, sagt Kirchmayr, “zeigt sich gerade auch darin, den Mund halten zu können”. (Hartmut Volk, 18. 4.2020)

Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000116936649/warum-innere-distanz-heilsam-ist