„Derzeit wäre das Umfeld für einen IPO sehr gut“

„Derzeit wäre das Umfeld für einen IPO sehr gut“

Last Updated on 2017-03-15

Mag. Henriette Lininger, Head of Issuers & Market Data Services, im Gespräch mit Peter Heinrich, Vorstand der Börsen Radio-Network AG.

Lininger erläutert zunächst ihr Aufgabengebiet: Einerseits führt sie potentielle Emittenten an die Wiener Börse heran, andererseits ist sie für das Marktdaten-Business verantwortlich. Dabei geht es um die Verteilung von Kursdaten an sogenannte Informationsanbieter wie Bloomberg, Reuters usw. Um neue Emittenten zu gewinnen, versucht die Wiener Börse, jene Firmen zu identifizieren, die Interesse an einem Börsengang oder einer Anleiheemission haben könnten. Dabei geht es immer auch um financial literacy, also um Wissensvermittlung zum Thema Kapitalmarktfinanzierung.

2016 gab es weltweit nur wenige Börsengänge. Von Heinrich nach den Gründen befragt, verweist Lininger auf hohe Volatilitäten aufgrund diverser Ereignisse wie Zinsdiskussion, Brexit usw. So etwas sei „Gift“ für Neuemissionen. In Österreich hatten aufgrund der Konjunkturentwicklung die Firmen keinen hohen Kapitalbedarf für Investitionen oder Expansionen. Für einen IPO (Initial Public Offering) muss auch die Marktphase passen. Die aktuelle Nullzinsphase bremst natürlich die Aufnahme von Eigenkapital, weil Fremdkapital derzeit so günstig ist. Im Segment Fremdkapital ist die Wiener Börse sehr erfolgreich unterwegs, allein im Vorjahr gab es hier mehr als 40 Bond-Emissionen.

Niedrigzinsphase bremst IPOs, wird aber nicht ewig andauern

Heinrich will wissen, ob Börsengänge in einer Niedrigzinsphase überhaupt Sinn machen. Lininger verweist darauf, dass niemand sagen kann, wie lang die Zinsen so niedrig bleiben werden, und dass es Fälle gibt, wo ein Unternehmen tatsächlich neues Eigenkapital braucht.

Derzeit wäre laut Lininger das Umfeld für einen Börsengang durchaus positiv. Das Momentum sei sehr gut, die Bewertung am Markt ansprechend, die Volatilitäten zurückgegangen. Der Wiener Leitindex ATX, der bereits im Vorjahr um mehr als neun Prozent zugelegt hat, performe sehr gut – vor allem im europäischen Vergleich. Und mit Ausnahme von ein oder zwei Wahlen gebe es auch kaum Verunsicherung. Insgesamt sei also ein sehr günstiger Zeitpunkt, um an die Börse zu gehen.

Dass manchmal ein Börsengang im letzten Moment scheitert, ist laut Lininger natürlich bedauerlich. So etwas passiert dann, wenn sich der Markt knapp vor dem Börsenstart dreht, sich Investoren zurückziehen bzw. das Unternehmen und die Investoren sich nicht über die Bewertung einigen können.

An der Wiener Börse gab es 2016 keinen IPO, wohl aber Listings. Dabei geht ein Unternehmen an die Börse, ohne frisches Geld aufzunehmen. Dass die Rahmenbedingungen für Börsengänge in Wien derzeit gut wären, beweisen laut Lininger auch einige erfolgreich durchgeführte Kapitalerhöhungen. Diese seien oft „Vorboten“ und zeigen, dass der Markt für die Aufnahme von Eigenkapital bereit ist.

Mindestvolumen 30 Millionen Euro

Heinrich fragt nach dem Mindestvolumen für einen IPO. Laut Lininger sollten es mindestens 30 Millionen Euro sein. Für kleinere Beträge macht ein Börsengang keinen Sinn, da sei eine Finanzierung durch Business Angels oder über Private Equity vernünftiger.

Für einen erfolgreichen Börsengang braucht ein Unternehmen eine Reihe von Partnern: vor allem eine Investmentbank, weiters einen Anwalt, eine Kommunikationsagentur sowie einen Wirtschaftsprüfer. Weil man mit diesen Partnern mehrere Monate lang sehr intensiv zusammenarbeiten muss, sollte man sie sorgsam auswählen. Empfehlenswert wäre laut Lininger ein „Beauty Contest“, bei dem man mehrere Bewerber antreten lässt und so auch preislich vergleichen kann, oder die Beiziehung eines IPO-Beraters. Dieser hilft bei der Auswahl von Investmentbank, Anwalt & Co. und muss Erfahrung mit IPOs sowie entsprechende Kontakte haben.

Die Wiener Börse veranstaltet regelmäßig IPO-Workshops, zuletzt ging ein solcher am 8. März über die Bühne. Bei diesen Workshops – so erläutert Lininger – sollen interessierte Firmen sich in vertraulichem Umfeld über die Kapitalmarktfinanzierung, also die Aufnahme von Eigen- und Fremdkapital, informieren und Gespräche mit Experten führen können. Dabei erfahren sie, wie ein Börsengang in der Praxis funktioniert.  Es gibt Erfahrungsberichte sowie ein best-practice-Beispiel. Behandelt werden auch mögliche „Fallstricke“ und lessons-learned, viel Raum wird den individuellen Fragen der Teilnehmer eingeräumt.

Die Kosten eines IPO hängen laut Lininger u.a. davon ab, wieviel Werbung – Rundfunk, Fernsehen etc. – man einplant. Bei einem IPO mit 30 Millionen Euro muss man mit Kosten von fünf bis acht Prozent des Emissionsvolumens rechnen.

Heimatmarkt bietet das beste Umfeld

Gleich drei Gründe sprechen laut Lininger dafür, dass ein österreichisches Unternehmen für einen IPO die Wiener Börse, also seinen Heimatmarkt, wählt: Visibilität, Liquidität und Internationalität. Visibilität bedeutet, dass heimische Unternehmen hier eine größere Aufmerksamkeit bekommen als an einem internationalen Börseplatz, wo sie unter ferner liefen rangieren. Man wird hier auch leichter in einen Index aufgenommen, wenn es passt sogar in den Leitindex. Dann sei man in der richtigen Peer-Gruppe. Eine Börsenotierung in Wien bringt auch Spill-over-Effekte, weil man von Öffentlichkeit, Medien und Kunden stärker wahrgenommen wird.

Zur Liquidität verweist Lininger auf eine Analyse, wonach Wien den Unternehmen im Vergleich zu anderen Marktplätzen den größten Marktanteil, den besten Preis und den kleinsten Spread, in Summe also das beste Handelsangebot bietet. Und – so Lininger weiter – die Wiener Börse sei schon aufgrund des kleinen Heimmarktes zutiefst international: 80 Prozent der Investoren und Handelsteilnehmen sind international verankert. Cross-border-Börsengänge sind zwar möglich und kommen auch immer wieder vor, werden aber von Investoren oft kritisch hinterfragt. Sie stellen deshalb mit nur sechs Prozent aller IPOs nur ein Minderheitenprogramm dar.

Das kürzlich geführte Toninterview finden Sie auf: https://www.wienerborse.at/news/boersenradio/eigenkapitalbedarf-planen-sie-mit-ihrer-firma-einen-boersengang-dann-ist-das-ein-fall-fuer-henriette-lininger/

Mehr zur Wiener Börse: www.wienerborse.at

Die Wiener Börse ist Kooperationspartner von INARA.

Lininger Henriette Fotocredit: Wiener Börse