„Die Digitalisierung muss die Menschen erreichen und abholen“

„Die Digitalisierung muss die Menschen erreichen und abholen“

Last Updated on 2018-03-01

INARA: Auf der Website des Fachverbands der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI) ist dem Logo der Zusatz „100 Jahre Zukunft“ beigefügt. Denken Sie – wie Stiftungen – besonders langfristig?
Dr. Lothar Roitner: Der FEEI ist mit 102 Jahren im fortgeschrittenen Alter, während Privatstiftungen mit unter 25 Jahren noch vergleichsweise jugendlich sind. Aber im Ernst: Nicht nur, dass mehrere unserer rund 300 Mitgliedsunternehmen direkt oder indirekt zu einer Stiftung gehören, verbindet uns der gleiche Grundgedanke, nämlich die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich und die Stärkung der internationalen Wettbewerbsposition.

In unserer Festschrift anlässlich des 100-jährigen Firmenjubiläums im Jahr 2014 wollten wir nicht nur Rückschau halten, sondern vor allem den Blick nach vorne richten, daher der Name „100 Jahre Zukunft“. Aber lassen Sie mich doch einen ganz kurzen Ausflug in die Vergangenheit machen: Haben Sie gewusst, dass es 1914 in der Österreich-Ungarischen Monarchie bereits eine einheitliche Kommunikationsinfrastruktur mit 180.000 Telefonteilnehmern gab? Gerade die Telekommunikation ist ein besonders dynamischer Bereich, der 100 spannende Jahre hinter sich und sicher ebenso viele vor sich hat.

Ich möchte Ihre Frage so beantworten: Die Elektro- und Elektronikindustrie ist mit über 60.000 Beschäftigten der zweitgrößte industrielle Arbeitgeber Österreichs (nach der Maschinen- und Metallwarenindustrie) und mit mehr als 20.000 Euro Forschungsausgaben pro Mitarbeiter und Jahr die Branche mit der höchsten Forschungsintensität. Gerade in einer Branche, die sich so dynamisch entwickelt, ist eine Interessenvertretung, die auf Verlässlichkeit, Langfristigkeit und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, besonders wichtig. Unsere Mitgliedsunternehmen schätzen das sehr.

INARA: Dass IKS für internes Kontrollsystem steht, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. IKT klingt zwar sehr ähnlich, ist aber ganz etwas anderes. Um was geht es dabei?
Roitner: IKT ist die Abkürzung für Informations- und Kommunikationstechnologien und gehört zu unseren Kernbereichen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Unternehmen, die auf IKT in ihrer Wertschöpfungskette setzen, Mehrwert generieren. Österreichische Firmen werden hinsichtlich Innovation und Fortschrittlichkeit oft unterschätzt. Gerade was die Entwicklung und Produktion sowie die Anwendung von IKT betrifft – denken Sie z.B. an mikroelektronische Systeme für Computer, Maschinen, Fahrzeuge und ganze Energiesysteme – liegt Österreich aber im internationalen Vergleich ganz weit vorne. Darauf können wir zu Recht stolz sein. „IKT Made in Austria“ wird weltweit eingesetzt und einige unserer sogenannten „Hidden Champions“ sind Weltmarktführer in ihrer jeweiligen Nische.

INARA: Ist IKT ein anderes Wort für Industrie 4.0?
Roitner: Für uns bedeutet Industrie 4.0 die Digitalisierung des Produktionsprozesses vom Produktdesign über die Einbindung der Vorlieferanten und die eigene Produktion bis zum Service, also die Digitalisierung entlang der Supply Chain. Ziel ist die Herstellung intelligenter Produkte mit einem Wettbewerbs-USP. Leistungsfähige IKT, etwa Breitbandnetze, spielen dabei eine wesentliche Rolle und sind die Grundlage für diese Entwicklungen.

Das zurzeit viel strapazierte Zitat „alles was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert werden“ gilt für österreichische Industrieunternehmen – auch für kleine und mittelständische – in ganz besonderem Maß.

Wir waren daher Mitbegründer der im Jahr 2015 unter Führung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie ins Leben gerufenen Initiative „Industrie 4.0 Österreich – die Plattform für intelligente Produktion“. Es gibt bei uns noch immer viel zu viele Unternehmen, die die Digitalisierung für einen vorübergehenden Hype halten, mit dem man sich nicht näher auseinandersetzen muss. Sie erkennen leider nicht, dass die Digitalisierung keine Revolution ist sondern eine Evolution, der sich niemand entziehen kann. Die Plattform dient daher über Einzelprojekte und –initiativen primär der Sensibilisierung und Kommunikation der auf die Firmen zukommenden Themen, die da sind: Anhebung der Wettbewerbsstärke, flexible Fertigung, individuelle Produktion, innovative Geschäftsmodelle, neues Arbeiten und andere mehr. Für die einen wird bei 3.8 Schluss sein, andere werden bis 4.2 gehen.

INARA: Compliance hat bei Ihnen einen besonders hohen Stellenwert, sowohl im Haus als auch im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Mitgliedsfirmen und deren Vertretern. Inwieweit kann damit Kartellrechtsverstößen wirksam vorgebeugt werden?
Roitner: Die Einhaltung des österreichischen und europäischen Kartellrechts hat für den FEEI allergrößte Bedeutung und oberste Priorität. Es ist daher unsere Aufgabe und Verantwortung, die Verbandsarbeit „kartellrechtssicher“ zu gestalten und unseren Mitgliedern eine praktische Hilfestellung zu integrem und gesetzeskonformem Verhalten bei Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit zu geben. In diesem Sinne haben wir für sie die relevanten kartellrechtlichen Compliance-Themen übersichtlich und verständlich in Form eines Leitfadens (Compliance Leitfaden Kartellrecht) und eines Merkblattes (Merkblatt zur Einhaltung kartellrechtlicher Bestimmungen im Rahmen von FEEI-Sitzungen) aufbereitet. Auch ist das Bekenntnis zur Einhaltung der kartellrechtlichen Vorschriften ein wesentlicher Teil der Mitgliedschaft im FEEI.

Allgemein gesehen sind die rechtlichen Regulierungen überbordend, was unseren Mitgliedern sehr zu schaffen macht. Eine unserer Kernaufgaben ist es daher, unsere Mitgliedsfirmen über die sie betreffende Neuerungen informiert zu halten, etwa im Unternehmens- und Gewerberecht. Als Jurist bin ich kein grundsätzlicher Gegner von überarbeiteten Gesetzen. Aber es gibt davon in Österreich viel zu viele. Der FEEI ist eine Servicestelle und wir stehen den Mitgliedern mit Rat und Tat zur Seite, so gut wir das können.

Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass alle Mitarbeiter des Fachverbands compliancemäßig entsprechend geschult sind und laufend nachgeschult werden, sodass wir in all diesen Belangen mit gutem Beispiel vorangehen können.

INARA: Stichwort Regulierung: Die neue Datenschutz-Grundsatzverordnung betrifft viele Ihrer Mitgliedsfirmen. Gibt es da auch ein Serviceangebot des FEEI?
Roitner: Das ist ein Riesenthema, auch für uns selbst, und es wird viel Wirbel darum gemacht. Wir überlegen zurzeit, wie man das von unserer Seite vernünftig abdecken kann, um die Unternehmen zu unterstützen und nicht weiter zu verunsichern. Wir werden unseren Mitgliedern zeitnah etwas dazu anbieten.

INARA: Ein paar Worte zu Datenschutz und Datensicherheit …
Roitner: Auch hier versuchen wir, Vorbild zu sein. Dass unsere Mitarbeiter ihre Passwörter ändern müssen ist eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die laufende Sicherung der Daten und die Einrichtung von Firewalls. Wir wurden selbst Opfer einer Hackerattacke mit Verschlüsselungsviren. Das war die Probe aufs Exempel – innerhalb von weniger als zwei Tagen konnten wir die verseuchten Daten aus den Sicherungskopien vollständig wieder herstellen.

Gerne geben wir Mitgliedsunternehmen diese Erfahrungen weiter.

INARA: Ihre Kernbotschaft in a nutshell?
Roitner: Die Welt entwickelt sich sehr rasch weiter und wird digitaler. Daraus werden sich Möglichkeiten ergeben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Berufe werden sich verändern, wegfallen und neue werden entstehen. Ich glaube nicht, dass à la longue die Maschine den Menschen ersetzen wird. Diese Angst blockiert den rationellen Blick auf die neuen Möglichkeiten, die entstehen und die wir nützen müssen.

Wichtig ist mir, dass wir bei allem, was wir dabei tun, mit Maß, Ziel und Hausverstand vorgehen. Wir müssen die Menschen erreichen und abholen.

feei_2_by_steve_haider_2016_101 Fotocredit: FEEI / Steve Haider

Das Interview führte Brigitta Schwarzer

Mehr zum FEEI: www.feei.at
Der FEEI ist Kooperationspartner von INARA.