Interview Barbara Sommerer: „Die Wiederkehr des ehrbaren Managers“

Interview Barbara Sommerer: „Die Wiederkehr des ehrbaren Managers“

Last Updated on 2017-05-09

Fotocredit: Garfield Trummer

Mag. Barbara Sommerer ist eine vielseitige Person. Sie studierte Kunst, Astronomie und Kultur-Management, ist Gerichtssachverständige für Projektmanagement und Medien des 20. und 21. Jahrhunderts, Vortragende und Lehrbeauftragte u.a.m. Im Jahr 2010 bündelte sie ihre verschiedenen Tätigkeiten als Gestalterin, Museumstechnikerin und Kulturmanagerin in der Gründung der Projektform AG, deren Vorstand sie heute ist. Der angewandte Brückenschlag zwischen Wirtschaft und Kunst wurde ihr Geschäftsmodell. Industrieunternehmen, öffentliche Organisationen und KMUs beauftragen sie mit der Entwicklung und Ausgestaltung von Firmenmuseen, Wissens- und Weiterbildungsprojekten, Showrooms und corporate spaces. Warum ihre Arbeit auch eine Auswirkung auf Unternehmensentscheidungen hat, erläutert sie im Gespräch mit INARA.

INARA: Was dürfen wir uns unter einem Industrie-Showroom vorstellen?
Mag. Barbara Sommerer: Das erkläre ich gerne anhand eines unserer Projekte, dem „Rundgang Retznei“. Das Werk Retznei in der Steiermark ist eines von rund 170 Werken des Zementherstellers Lafarge. Jeder von uns kennt Zement, aber kaum jemand weiß aber, wie er hergestellt wird. Die Idee war, anlässlich des hundertjährigen Bestehens das Betriebsgelände Retznei der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Unser Auftrag war es, mit künstlerischen Elementen eine Art von begehbarer Bühne zu schaffen und damit für die Besucher die Entstehung des Produktes lebendig und begreifbar zu machen. Auf einer Strecke von 1,5 km mit neun Stationen vermitteln Grafiken, Bildmaterialien, Hand-On-Modelle, begehbare Aufbauten sowie der Blick in die Produktionsanlagen anschaulich, mit welchen Rohstoffen und in welchen Schritten die Herstellung erfolgt. Denn Zement ist nach Wasser der zweithäufigst gebrauchte Stoff auf der Erde und ermöglicht maßgeblich das Leben, das wir heute führen.

INARA: Ihre Projekte wollen Emotionen wecken und neugierig machen. Was möchten sie noch erreichen?
Sommerer: Mit „Kunst“ assoziieren wir das schöpferische Gestalten von Werken, während wir die Wirtschaft mit dem Zweck der materiellen Bedürfnisbefriedigung des Menschen verbinden. Dennoch haben diese beiden Welten vieles gemeinsam. Beide sind nicht statisch, sondern unterliegen einer ständigen Entwicklung. Intuition, Kreativität, Innovation und die immerwährende Suche nach dem Neuen sind sowohl der Kunst als auch der Wirtschaft inhärent. Disruption ist nicht nur ein Begriff der Wirtschaft, sondern prägte auch den Kunstbereich ganz entscheidend. In der Kunst ist es die Avantgarde, in der Wirtschaft sind es heute die Startups, die neue Wege gehen. Seit Jahrhunderten werden in der künstlerischen Praxis Methoden entwickelt und genutzt, die diese Umbrüche erst möglich machen. Wir arbeiten mit diesen Mitteln und Methoden und machen sie für die Wirtschaft, für Manager wie für Mitarbeiter in neuer Weise nutzbar.

Die von uns realisierten Projekte nutzen diese Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Kunst. Sie möchten auch inspirieren und motivieren. Nicht nur die Besucher, sondern auch die Stakeholder der Firmen – die Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter und Investoren. Das geht weit über „Marketing“ hinaus, denn es geht um Sinnfindung. Ich höre auch oft vom Management, dass der Blick auf das Unternehmen, auf Produktionsprozesse oder Organisationsstrukturen aus einem künstlerisch orientierten Winkel ihren Horizont erweitert und damit auch eine Auswirkung auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise hat. Mein Anliegen ist es, die Menschen zu erreichen. Wenn Sie neugierig sind, dann öffnen sie sich – auch für Änderungen ihrer Denkmuster.

INARA: Können Sie uns dafür ein Beispiel geben?
Sommerer: Als ich unternehmerisch tätig wurde, in „die Wirtschaft gegangen war“, hatte ich mich über sehr viele  Dinge gewundert. Ich sah, dass für mich vertraute Methoden wie Selbstreflektion, Intervention und Gestaltung zwar als Begriffe bekannt waren, aber nicht wirklich angewandt wurden. Als ich dann mit LEAN- und CHANGE-Prozessen zu tun hatte wurde mir klar warum: der vielbeschworene Perspektivenwechsel funktioniert nicht indem ich mich hinstelle und sage: ich wechsle jetzt die Perspektive! Sondern ich muss auch wissen welche Perspektiven es überhaupt gibt, wie sie konstruiert werden, welchen Betrachtungspunkt ich einnehme, und wo mein Horizont ist. Da können wir mit Methoden aus der künstlerischen Praxis eine Vielzahl von Lösungen anbieten. Wir helfen dabei das Bild zu entwickeln, wohin wir in Veränderungsprozessen, im CHANGE eigentlich wollen.

INARA: Meinen Sie, dass Ästhetik in der Kunst etwas mit Ethik in der Wirtschaft zu tun hat?
Sommerer: Auf jeden Fall. Ästhetik in der Kunst umfasst ja nicht nur das Schöne, sondern auch Proportion und Verhältnisse, Wahrnehmung und auch die Erkenntnis. Und Proportionen und Verhältnisse müssen auch in der Wirtschaft stimmen, bzw. zwischen Eigenkapitalrentabilität und Fremdkapitalquote. Um ethisch – also gut und gerecht – zu handeln, braucht es genau diese Fähigkeiten Dinge zu erkennen. In Zeiten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels, die wir zurzeit erleben, stehen „alte Werte“ wie Ethik und Moral wieder höher im Kurs. Dass das Leitbild des „ehrbare Kaufmanns“ mit den Attributen Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Integrität sich jetzt sogar im deutschen Corporate Governance Kodex wiederfindet, spricht für sich. Ich würde heute ja gerne die Fragen nach dem „Ehrbaren Manager“ stellen.

INARA: Wie definieren Sie gutes unternehmerisches Handeln?
Sommerer: Sie wissen, dass ich nicht nur Schauräume gestalte, sondern auch Firmen bei ihrer Neuausrichtung und in Veränderungsprozessen begleite. Nach meiner Erfahrung sind Entscheidungsträger in Firmen darauf trainiert, primär nach ökonomischen Gesichtspunkten vorzugehen. Also wie erreiche ich mit dem geringstmöglichen Einsatz den größtmöglichen Output. Wohin uns das gebracht hat, sehen wir heute.  Mir geht es darum Sinnfragen in die Wirtschaft zu bringen und Dinge zu optimieren und nicht nur zu maximieren. Auch wenn Corporate Social Responsibility und Nachhaltigkeit in den letzten Jahren Einzug in viele Firmen gehalten haben, sehe ich oft mehr „Schein als Sein“. Hier gibt es also noch viel zu tun!

INARA: Kommen wir abschließend zu einem Ihrer Leitbegriffe, nämlich „Schöner Wirtschaften 4.0“. Bitte erläutern Sie uns, was Sie darunter verstehen.
Sommerer: Ich komme wieder zurück zu den Unterschieden zwischen Kunst und Wirtschaft. Nicht immer, aber oftmals vermittelt Kunst die Freude Dinge wahrzunehmen, zu reflektieren, zu interagieren und zu verändern, das ist Gestaltung. Das bringt Lebenslust und Spaß. In der Wirtschaft vermisse ich das weitgehend. Wir sind alle in unserem Hamsterrad gefangen. Aus meiner Sicht fokussieren wir uns viel zu stark auf die Weiterentwicklung und eine gewaltsame Veränderung im Hier und Jetzt. Wir fragen uns, was wir machen müssen, um unsere Produkte kostengünstiger und effizienter herstellen zu können. Auch das Change Management selbst hat kompakt und kurzfristig wirksam zu sein. Die Sinnfrage stellt dabei niemand.

Wer aber denkt jetzt darüber nach, was in 20 oder 25 Jahren sein wird? Werden unsere Waren und Dienstleistungen dann überhaupt noch gebraucht werden? Welche Bedürfnisse werden die Menschen im Jahr 2040 haben? In welcher Welt wollen wir dann leben? Ich sehe, dass diese Fragen vor allem in kleineren Unternehmen noch nicht auf der Agenda stehen. Ich will dabei helfen die Bilder der Zukunft zu gestalten.

Schöner Wirtschaften 4.0 ist für mich die Herausforderung Gestaltungsprozesse bewusst zu machen und die teilweise Jahrtausende alten Methoden der Kunst in der Wirtschaft zu nutzen. Der Begriff steht für die Frage „wohin geht meine Reise“ und zwar nicht in den nächsten Wochen und Quartalen, sondern in den nächsten Dekaden. Welche Ressourcen brauche ich heute, damit ich meine Firma für die übernächste Generation fit machen kann? An den Methoden der Kunst orientierte Tools und Impulse erleichtern es, in diesen Denk-Flow zu kommen.

Für mich ist es jedesmal eine irre Freude, wenn ich sehe, dass die Menschen, die ich bei unseren Projekten in Unternehmen treffe, Teilnehmer meiner Seminare und Trainings, Manager wie Mitarbeiter, diesen meinen Gedankenansätzen folgen und sie in der Praxis auch wirklich anwenden.

Autorin: Brigitta Schwarzer

Mehr zu Mag. Barbara Sommerer und der Projektform AG: www.projektform.cc/