Interview: „Börsenrückzug, Marktmissbrauchsverordnung, Kapitalmarktunion, MiFID II, PRIIPs – Was Kapitalmarktanwälte derzeit bewegt“

Interview: „Börsenrückzug, Marktmissbrauchsverordnung, Kapitalmarktunion, MiFID II, PRIIPs – Was Kapitalmarktanwälte derzeit bewegt“

Last Updated on 2018-01-12

INARA: Herr Mag. Wilfling, Sie leiten bei Müller Partner Rechtsanwälte die Praxisgruppe Kapitalmarktrecht. Womit beschäftigt sich der Kapitalmarktrechtler in Österreich gerade?
Mag. Gernot Wilfling: Auf der Transaktionsseite steht – leider – der Rückzug von der Börse, das sogenannte „Delisting“, im Vordergrund. Dazu kommt, getrieben durch diverse Gesetzesänderungen, die Compliance-Arbeit. Erwähnenswert sind etwa die EU-Marktmissbrauchsverordnung, die neue Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und die PRIIPs-Verordnung. Zudem beraten wir unsere Kapitalmarkt-Mandanten häufig auch zu angrenzenden, eher gesellschaftsrechtlichen Fragen, etwa beim Erwerben oder Veräußern eigener Aktien und im Bereich Corporate Governance.

INARA: Worauf sollten Vorstände und Aufsichtsräte dieser Tage besonders achten?
Wilfling: Betreffend den Rückzug von der Börse könnte sich in den nächsten Monaten aufgrund einer bevorstehenden richtungsweisenden OGH-Entscheidung ein günstiges Zeitfenster auftun. Generell sollte vermehrt auf Insiderprävention und das genaue Einhalten von Meldepflichten (etwa im Bereich Directors‘ Dealings und Ad hoc-Publizität) geachtet werden. Es gab hier kürzlich nicht nur inhaltliche Verschärfungen. Im Zuge der Anwendbarkeit der EU-Marktmissbrauchsverordnung wurden auch nie da gewesene Verwaltungsstrafen im BörseG verankert. Bis zu 15% des jährlichen Konzernumsatzes oder bis zu 15 Millionen Euro (je nachdem, was höher ist) als Maximalstrafen für Unternehmen sind nicht zu verachten. Auch Organmitglieder selbst können theoretisch mit bis zu 5 Millionen Euro Verwaltungsstrafe bedacht werden, was eine gewisse Unruhe verursacht. All dies noch dazu im Vollzugsbereich der FMA, die in erster Instanz sowohl ermittelnde, als auch strafende Behörde ist.

INARA: Welche Lichtblicke gibt es?
Wilfling: Derart hohe Strafdrohungen könnten im Verwaltungsstrafrecht – zumindest in der derzeitigen Ausgestaltung – verfassungswidrig sein. Zu einer vergleichbaren bankrechtlichen Verwaltungsstrafbestimmung hat kürzlich das Bundesverwaltungsgericht den Verfassungsgerichtshof angerufen. Die drakonischen Verwaltungsstrafen wackeln also. Außerdem bringt der europäische Gesetzgeber derzeit zumindest die eine oder andere Erleichterung auf den Weg.

INARA: Was kann man diesbezüglich von der geplanten Kapitalmarktunion erwarten?
Wilfling:  Unter diesem Schlagwort versteht man eine Vielzahl an geplanten Änderungen in der Kapitalmarktregulierung, die insgesamt zu tieferen und stärker integrierten Kapitalmärkten in der Union führen sollen. Für Kapitalmarkttransaktionen relevant ist etwa die geplante neue EU-Prospektverordnung. Signifikante Erleichterungen dürfen sich dabei insbesondere KMU und regelmäßige Emittenten erwarten. Welche Chancen die angedachte Möglichkeit, Prospekte und Regelfinanzberichterstattung zu verschränken, letztlich bringen wird, ist noch nicht gänzlich abschätzbar. Weitere Maßnahmen betreffen etwa die Förderung von Risikokapitalfinanzierungen und Crowdfunding, einen angemessenen Rechtsrahmen für Investitionen und Finanzierung der europäischen Infrastruktur und die Wiederbelebung einfacher, transparenter und standardisierter europäischer Verbriefungen, um die Kreditvergabekapazitäten der Banken zu erhöhen.

INARA: Ihr Praxishandbuch Börserecht ist kürzlich erschienen. Wieso sollten es Board Members lesen?
Wilfling: Wer eine Organfunktion in einem börsenotierten Unternehmen ausübt, kommt regelmäßig mit börserechtlichen Themen in Berührung, angefangen bei der Insiderprävention inklusive Ad hoc-Pflicht über Directors‘ Dealings, Beteiligungspublizität und Übernahmerecht bis hin zu verfahrensrechtlichen Themen, wenn die FMA Verfolgungshandlungen setzt. Das Praxishandbuch Börserecht bietet eine kompakte und praxisnahe Erläuterung der wesentlichen Bestimmungen. Die vielen Beispiele, Muster und Vorlagen stammen fast ausschließlich aus der Beraterpraxis.

INARA: Und ab wann zahlt es sich aus, zum Rechtsanwalt zu gehen?
Wilfling: Im Transaktionsbereich, seien es Börsegänge, Kapitalerhöhungen, Anleiheemissionen oder Delistings, sind so gut wie immer spezialisierte Rechtsberater mit an Bord. Darüber hinaus ist Vieles davon abhängig, wie viel kapitalmarktrechtliches Know-how im Unternehmen bereits vorhanden ist. Bei komplexeren Themen lohnt es sich meiner Meinung nach schon wegen der strengen Sanktionen, eher früher als später eine Absicherung von außen einzuholen. Und wenn einmal ein Strafbescheid von der FMA ins Haus flattert, wird der Rechtsanwalt in der Regel auch sofort beigezogen.

Das Interview führte Brigitta Schwarzer

Mehr zu Mag. Wilfling und Müller und Partner Rechtsanwälte: www.mplaw.at

Müller und Partner Rechtsanwälte sind Kooperationspartner von INARA.

201512_Gernot Wilfling Fotocredit: Müller Partner Rechtsanwälte GmbH