Interview: „Digital Spirit“

Interview: „Digital Spirit“

Last Updated on 2019-02-06
 

Peter Lieber ist Gründer mehrerer Softwareunternehmen, Präsident des Verbands der Österreichischen Software Industrie (VÖSI) und Berater von Unternehmern und Managern. Wohltuend an ihm ist seine Sprache. Er redet so, dass man ihn auch als Nichtfachmann gut versteht. Im Interview mit INARA war das sehr vorteilhaft.

Fotocredit: LieberLieber Software GmbH

INARA: Sie bezeichnen sich als „Software-Mensch“ und legen Wert darauf, nicht mit „IT-Menschen“ in einem Atemzug genannt zu werden. Warum?
Lieber: Ich bin ein Visionär, also jemand, der sich laufend neu erfinden möchte – ob das gut ist oder nicht sei dahingestellt. „IT-Menschen“ hingegen sind Beschützer, die auf Sicherheit aus sind und lieber auf Bewährtes setzen als auf neue Dinge einzusteigen. Das wird dann zum Problem, wenn Firmen IT-mäßig von solchen Leuten geführt werden. Für das Tagesgeschäft mag das ja durchaus passen, aber ein Unternehmen kann sich gerade im digitalen Bereich nur dann weiterentwickeln, wenn es ein Wunschbild hat, was es in der Zukunft sein und erreichen möchte und Mitarbeiter mit Kreativität und Fantasie hat, um das Ziel in die Tat umzusetzen.

Der IT-Techniker sorgt dafür, dass eine vorgegebene Lösung, wie z. B. ein neues Handy-Feature, anwenderfreundlich implementiert wird, das Feature selbst hat er aber nicht entwickelt. Das ist Aufgabe des Softwareentwicklers, der sich überlegen muss, welche zusätzlichen Applikationen dem Kunden Mehrwert bringen könnten. Nur mit einer Portion Innovationsgeist, einer Fülle an Ideen und dem dazugehörigen Mut, neue Wege auszuprobieren, wird es ihm gelingen, etwas Passendes herzustellen.

INARA: Start-ups zeichnen sich durch ihre innovativen Geschäftsideen – vor allem auch in Richtung Digitalisierung und den Mut zum Risiko – aus. Eine Ressource für große Firmen?
Lieber: Kooperationen zwischen großen Unternehmen und Jungunternehmen zur Beschleunigung der digitalen Transformation sind mittlerweile gang und gäbe. Da stoßen zwei Welten aufeinander, die einander gut ergänzen. Auf der einen Seite die Betriebe mit einem etablierten Geschäftsmodell, einer reifen Organisation und einer bewährten Mannschaft, auf der anderen Seite ein paar Leute, die zukunftsweisende Ideen haben, aber keine Umsetzungserfahrung und bei denen oft das kaufmännische Geschick zu wenig ausgeprägt ist. Mit Fantasie auf Wolke sieben zu schweben ist das eine, die schönen Ideen aber auf Schiene zu bringen das andere.

Dass lange am Markt befindliche Firmen und Start-ups zusammenfinden, ist oft ein Zufall. Es passt auch nicht immer. Wenn die beiden keine gemeinsame Sprache finden oder die Chemie nicht stimmt, dann funktioniert die Zusammenarbeit nicht. Gelegentlich missbrauchen Unternehmen auch Start-ups, um an Innovations-Know-how heranzukommen und dann ihr eigenes Geschäft daraus zu machen und die Jungunternehmer schauen durch die Finger. Da müssen letztere gut aufpassen und dürfen nicht naiv und blauäugig sein.

Ich komme auf Ihre Frage zurück. 95 % der Geschäftsideen von Start-ups haben direkt oder indirekt mit Innovation zu tun. Da liegt es auf der Hand, sie als Ressourcen für Großunternehmen zu nutzen.

INARA: Was raten Sie Vorständen und Aufsichtsräten für ihre Agenda „Kooperationen mit Start-ups“?
Lieber: Jeder vernünftige Mensch weiß vom Kopf her, dass im Geschäftsleben der Ausbau der Digitalisierung eine Überlebensfrage ist. Dass das ohne Innovation nicht geht, ist jedoch noch nicht im allgemeinen Bewusstsein. Es ist viel leichter und weniger risikoreich, Bestehendes auf Verbesserungspotenziale hin zu diagnostizieren als Neues zuzulassen. Weiters haben die zunehmende Regulierung und erhöhte Haftungsrisiken dazu beigetragen, dass Entscheidungsträger lieber den Kopf in den Sand stecken, als Mut zum Risiko zu zeigen.

Was aber nicht auf Ebene des obersten Managements vorgelebt wird, das wird im Unternehmen nicht Platz greifen. Damit meine ich, dass eine Firma zunächst einmal die Voraussetzungen im Unternehmen für eine spätere Kooperation mit Start-ups schaffen muss. Einige österreichische Unternehmen haben sich bereits externen „Innovationsgeist“ als Chief Information Officer – auf Ebene der Geschäftsleitung oder direkt darunter – ins Haus geholt und ein Mehrjahresbudget zur Verfügung gestellt. Je mehr die Person des CIO selbst an Wissen und Menschenkenntnis mitbringt und je besser sie im „digitalen Umfeld“ vernetzt ist, desto eher kann sich eine entsprechende Kultur im Unternehmen entwickeln. Vorstand und Aufsichtsrat tun gut daran, diesen Prozess aktiv zu begleiten und sich selbst mit dem Thema zu identifizieren.

Erst in einem nächsten Schritt sollten im Auftrag der Geschäftsleitung Optionen für eine Kooperation mit Start-ups ausgearbeitet werden. Das ist immer Chefaufgabe und nicht delegierbar.

Eine Anmerkung möchte ich an dieser Stelle noch anbringen: Bei allem, was Innovation & Digitalisierung anbelangt, geht es in Wahrheit nicht primär um die Technologien, sondern um die Menschen, die dahinterstehen. Wer das verstanden hat, ist auf einem guten Weg.

INARA: Es gibt auch den Begriff Chief Digital Officer (CDO). Was ist damit gemeint?
Lieber: Auch wenn die Job Description eines CIO impliziert, dass der Funktionsträger sich in Angelegenheiten der Innovation betätigt, so ist die Realität oft eine andere. Oft hat die Person keine entsprechende Kompetenz und/oder sie wird vorrangig dafür eingesetzt, die Firmenhandys zu konfigurieren oder den Führungskräften und Mitarbeitern zu erklären, wie ihre elektronischen Endgeräte funktionieren.

Für mich sind die beiden Begriffe grundsätzlich gleichbedeutend. Wichtig ist es zu verstehen, warum sowohl IT-Sicherheit als auch das Beschreiten neuer Wege im Unternehmen so wichtig sind. Es sollte auf keinen Fall zwei Parallelfunktionen geben.

INARA: Sind Projekte zur Realisierung digitaler Innovationen förderbar?
Lieber: Es gibt in Österreich mehrere F&E-Förderstellen. Da es sich bei Innovation ja immer um Forschung und Entwicklung handelt, sind auch solche Projekte förderbar. Woran es hakt ist, dass weder die Unternehmen den Förderstellen begreiflich machen können, was genau sie gefördert haben möchten, noch diese mit disruptiven digitalen Geschäftsideen derzeit etwas anzufangen wissen. Hier gibt es noch viel zu tun und es gilt, Leute zu finden, die mit beiden Seiten Erfahrungen haben.

INARA: Können die „Jungen“ der obersten Unternehmensetage digitale Bildung vermitteln?
Lieber: Unter gewissen Voraussetzungen ja. Zunächst ist es wichtig, dass jeder – egal, welcher Generation er angehört – versteht, wie die anderen Generationen ticken. Weiters müssen Respekt und Wertschätzung füreinander vorliegen. Niemand darf sich überlegen fühlen, weil er ein bestimmtes Alter oder bestimmte Fähigkeiten hat. Unabhängig vom Alter und dem hierarchischen Gefüge muss bei den Betroffenen wechselseitiges Wohlwollen vorhanden sein und die Bereitschaft, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Dann ist ein Wissenstransfer durchaus möglich.

Es wäre aber auch wichtig, dass Entscheidungsträgern mehr einschlägige externe Informations- und Schulungsangebote zur Verfügung gestellt werden. Dieses Segment steckt noch in den Kinderschuhen, entwickelt sich aber zurzeit. Ich rechne, dass es bald mehr Veranstaltungen für diese Zielgruppe geben wird.

INARA: Stichwort Digitaler Beirat …
Lieber: Sie meinen, dass ein Aufsichtsrat auf „digitales Know-how“ zugreifen kann, weil es bei uns noch nicht opportun ist, junge Köpfe ohne langjährige Managementerfahrung in ein Aufsichtsorgan zu holen. Eine Alternative – in Deutschland bei größeren Unternehmen schon verbreitet – ist, einen eigenen Beirat als Berater für den Aufsichtsrat zu installieren. Ich halte das für einen guten Ansatz und würde es sehr begrüßen, wenn sich diese Einrichtung auch in Österreich etabliert.

INARA: Ihr Schlusswort bitte.
Lieber: Wir dürfen die „digitale Welt“ nicht überstrapazieren. Mir sagen immer wieder Leute, dass ihnen die Industrie 4.0 schon zum Hals heraushängt und sie das Wort schon gar nicht mehr hören können. Es sei auch nichts Neues – seit es Geschäftsbetriebe gibt, werden die Prozesse laufend verbessert und optimiert. Leider sind mittlerweile auch viel zu viele Berater auf diesen Zug aufgesprungen und überschütten die Firmen mit ihren diversen Dienstleistungsangeboten, sodass sich die „Spreu vom Weizen“ kaum mehr trennen lässt.

Viel wichtiger als die Prozessberatung wäre es aus meiner Sicht, den Firmenlenkern zu vermitteln, dass die Neugierde auf Neues – das „Funkeln in den Augen“ und das Brennen für eine Sache – auch wenn der Ausgang ungewiss ist, immer mehr der Schlüssel zum Geschäftserfolg sein wird. Sich hier selbst zu motivieren, um die Mitarbeiter entsprechend zünden zu können, ist aus meiner Sicht notwendiger als über die höchstmögliche Sachkompetenz zu verfügen. Am Ende des Tages ist es immer noch der Mensch, der die Oberhoheit über die „digitale Welt“ hat.

Das Interview führte Dr. Brigitta Schwarzer, MBA
Mehr zum VÖSI: www.voesi.or.at