Interview mit Dr. Cornelia Bruell – Philosophie: trocken, verstaubt oder doch nicht?

Interview mit Dr. Cornelia Bruell – Philosophie: trocken, verstaubt oder doch nicht?

Last Updated on 2017-10-03

Fotocredit: David Visnjic

Sie ist akademische philosophische Praktikerin, hat aber auch Politikwissenschaft, Linguistik und Geschichte studiert. Seit 2016 leitet Dr. phil. Cornelia Bruell Philoskop, die von ihr gegründete Philosophische Praxis im Helenental in Baden bei Wien. Zu ihrem reichhaltigen Angebot, das sich sowohl an Erwachsene als auch an Kinder richtet, gehören auch Programme und Workshops für Unternehmen. Mit INARA sprach sie über Unternehmens-„Philosophie“ und den Homo digitalis.

INARA: Philosophie gilt als trocken, verstaubt und ohne jeglichen Bezug zum realen Leben. Was genau kann Philosophie den Menschen von heute geben?
Dr. Cornelia Bruell: Da möchte ich zuerst die Freiheit im Denken erwähnen, die man durch Philosophieren erlangen kann. Viele Menschen sind heute in gedanklichen Einbahnstraßen oder Sackgassen gefangen, da kann man durch Philosophieren herauskommen. Weiters lässt sich damit das Reflexions- und Abstraktionsvermögen steigern. Durch die gewonnene Selbsterkenntnis wird ein Wechsel der Perspektive möglich und der Horizont erweitert sich.

INARA: Wie sieht Ihr Angebot für Unternehmer bzw. Unternehmen konkret aus?
Bruell: Es geht dabei um den sokratischen Dialog, eine Methode der Reflexion. Sie soll es größeren Gruppen erlauben, gemeinsame Positionen zu ergründen und herauszuarbeiten. Gerade in Unternehmen, wo Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und Voraussetzungen zusammenkommen, braucht es ein „Werkzeug“, damit ein echter Dialog entstehen und die Unternehmens-Philosophie erfolgreich umgesetzt werden kann. Diese Form des Dialogs setzt dabei bei der Lebens- und Unternehmensrealität an – denn abstraktes Wissen und ein Metadiskurs ohne persönliche Betroffenheit führen zu keinen Handlungsverschiebungen. Wenn wir zum Beispiel ein anderes betriebliches Klima wollen, müssen zunächst alle die Erfahrungswelt der anderen nachempfinden können. Dann erst können gemeinsam neue Ziele und Visionen ins Auge gefasst werden. Der Dialog schraubt sich also von unten nach oben.

INARA: In welcher Form kann man hier auch die Mitarbeiter einbeziehen?
Bruell: Auf Wunsch biete ich Betriebsausflüge als philosophische Wanderungen an. Beim philosophischen Wandern werden themenspezifisch intensive Dialoge geführt. Es geht dabei um existenzielle Fragen, die alle betreffen. Dies trägt enorm zum Verstehen des anderen und zur gegenseitigen Verbundenheit bei. Die Themen werden dabei spezifisch auf das Unternehmen hin angepasst.

INARA: Die Digitalisierung ist das große Thema unserer Zeit. Sie beherrscht unser tägliches Leben, aber auch die Wirtschaft in immer stärkerem Maß. Wie sehen Sie als Philosophin diese Entwicklung, ist sie gut oder schlecht?
Bruell: Pauschalurteile sind hier nicht angebracht. Aber durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat sich viel verschoben – auch unser Denken. Einerseits können wir heute auch über große geographische Distanzen hinweg mit Menschen in Kontakt sein und so auch soziale Beziehungen über lange Zeit aufrechthalten. Andererseits ist die ständige Verfügbarkeit ein Zwang, vor allem in den Social Media sollte man dauernd aktiv sein. Wer nicht postet, ist ja praktisch nicht existent. Weil alles digital abläuft, verlernen wir die nonverbale Kommunikation, etwa Mimik, Gestik etc., was manchmal zu Missverständnissen führt. Und wir verlieren in der Anonymität der Social Media leider oft den Respekt vor dem anderen, weil wir ihm nicht mehr von Angesicht zu Angesicht  gegenüberstehen. Das geht bis hin zu Hass-Postings. Sagen würden wir derlei nie, schreiben tun es viele aber sehr wohl.

INARA: Bringen die neuen Technologien uns mehr oder weniger Freiheit?
Bruell: Die Freiheit war schon immer ein zentrales Thema für die Philosophie. Heute geht es in unserem kapitalistischen System vor allem um die Freiheit zu konsumieren. Im Netz ist ja scheinbar alles zu jeder Zeit verfügbar. Doch es gibt auch negative Seiten, das System legt uns quasi Ketten an. Dazu zähle ich beispielsweise den Zwang zur Perfektion, den permanenten Wettbewerb oder die Notwendigkeit zu ständiger Erneuerung und Innovation.

INARA: Wie sehr verändert der ständige Gebrauch von Smartphone, Laptop & Co. uns Menschen ganz real?
Bruell: Viele von uns scannen die Welt bereits mit einem digitalen Auge und jagen etwa einen schönen Ausblick geistig sofort durch den Instagram Filter. Wir wollen im Netz ja nichts verpassen und sofort reagieren, deshalb bleibt der Körper starr und unbeweglich, Augen und Sinne sind ganz auf einen Punkt, sprich den Bildschirm konzentriert. Im Gegenzug boomen Ergotherapie, Yogaübungen oder wir schreiben uns im Fitness-Studio ein, um einen Ausgleich zur Unbeweglichkeit zu schaffen. Mit der Digitalität, mit Human Enhancement, also der Optimierung der Menschen, und mit Transhumanismus – der Verschmelzung von Mensch und Technologie – werden wir in Zukunft umgehen lernen. Wichtig wäre es meiner Meinung nach vor allem, den Kindern sowohl zu Hause als auch in den Schulen die nötige Medienkompetenz zu vermitteln.

INARA: Halten es moderne Menschen noch aus, zumindest kurzfristig offline zu sein und was passiert dann?
Bruell: Wir haben im Philosophischen Salon – den veranstalte ich regelmäßig – vereinbart, zumindest einen Tag ohne Handy und Computer zu verbringen. Es war ein höchst spannendes Experiment. Natürlich wird einem dabei bewusst, wie abhängig man von diesen Geräten bzw. von all den Daten bereits ist. Es fühlt sich teilweise an wie der Phantomschmerz eines amputierten Körperteils. Manches ist auch mühsamer, wenn man offline ist. Doch im Gegenzug nimmt man die Dinge weit intensiver wahr, eigene Denkleistungen werden wieder wichtig und man ist viel stärker auf sich selbst gestellt.

Autorin: Dr. Brigitta Schwarzer

Mehr zu Dr. Cornelia Bruell und der Philosophischen Praxis: www.philoskop.org