Interview mit MMag. Dr. Judith Girschik: „Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung – Gender Diversity Management in der Praxis“

Interview mit MMag. Dr. Judith Girschik: „Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung – Gender Diversity Management in der Praxis“

Last Updated on 2019-07-23
INARA: Worum geht es bei Gender Diversity Management? Was ist dabei zu beachten?
MMag. Dr. Judith Girschik: Die jahrelange Arbeit mit Führungskräften, die bei mir Coachings in Anspruch nehmen, zeigt, dass Frauen und Männer tendenziell unterschiedliche Anliegen haben. Die Unterschiedlichkeit der Coaching-Anliegen zeigt sich dabei nicht auf intellektueller Ebene, sondern in Werthaltungen und den daraus resultierenden Verhaltensweisen. Während es Männern oftmals um Effizienzoptimierung geht, haben Frauen häufiger ethische und moralische Themen auf ihrer Agenda. Vereinfacht gesagt – ohne zu verallgemeinern – bei Männern steht eher die Maximierung des Shareholder Values im Vordergrund, Frauen wägen mehr ab. Auch sie sind ergebnisgetrieben und Unternehmenszielen verpflichtet, aber nicht um jeden Preis. Frauen sind risikoaverser und hinterfragen mehr; auch persönlichen Erfolg definieren sie mitunter anders.

Die unterschiedlichen Herangehensweisen von Männern und Frauen spiegeln sich auch in den Dynamiken von Managementteams wider. Davon profitieren Unternehmen. Aus Studien wissen wir, dass divers organisierte Führungsteams nicht nur kreativer sind, sondern auch bessere und nachhaltigere Ergebnisse erzielen.

Trotzdem sind divers organisierte Teams nicht immer die für alle Beteiligten angenehmsten Gruppen. Sich mit Einstellungen, die von den eigenen abweichen, auseinandersetzen zu müssen, ist ja nicht immer auch gleichzeitig der bequemste Weg. Das zeigt sich, wenn es etwa darum geht, Konsens zu erzielen.

Häufig beurteilen Frauen und Männer die Verhaltensweisen des jeweils anderen ja schnell recht kritisch. Das kann auch zu Konflikten führen. Wenn man in solchen Konstellationen als externer Berater hinzugezogen wird, hilft es, diese unterschiedlichen Auffassungen wertfrei ins Bewusstsein aller Beteiligten zu rücken. Ich muss erreichen, dass der bzw. die Einzelne nicht die Werthaltungen des jeweils anderen Geschlechts verurteilt. Wertvoll ist dabei das Wissen, dass die Bereitschaft, fremde Herangehensweisen in einer Diskussion zu akzeptieren und zu reflektieren, essentiell ist für neue, kreative Lösungsansätze. Das nennt man dann auch Innovation. Und davon profitiert am Ende des Tages das ganze Unternehmen.

INARA: Geht es bei Diversity Management eigentlich nur um die Geschlechterunterschiede beim Führungsverhalten oder steckt mehr dahinter?
Girschik: Es steckt viel mehr dahinter, Diversity meint ja auch kulturelle, soziale, nationale und sprachliche Vielfalt. Diese Aspekte spielen, selbst wenn wir nur von Gender Diversity sprechen – wie das in Österreich oft der Fall ist – aber immer eine Rolle und sollten nicht außer Acht gelassen werden.

Geschlechterspezifische Unterschiede können sich z.B. – auch hier möchte ich aber keineswegs verallgemeinern- im sprachlichen Ausdruck manifestieren. Beobachten Sie zwei Vortragende – eine Frau und einen Mann – zum gleichen Thema. Auch wenn beide Personen als rhetorisch brillant beurteilt werden und kompetent und professionell ihre Inhalte transportieren, werden sie doch feststellen, dass ihre Ausdrucksweisen vielfach unterschiedlich sind. Niemand kommt auf die Idee, hier Kritik zu üben. Das ist eben Diversität im positiven Sinn.

INARA: Gehen wir in die oberste Management-Etage. Wenn Diversitätsunterschiede summa summarum positiv sind, warum haben so viele Unternehmen noch nicht entsprechende Maßnahmen gesetzt?
Girschik: Wie schon gesagt, Diversität ist nicht immer angenehm. Trotzdem: Im öffentlichen Bereich wird seit einigen Jahren für die obersten Führungsfunktionen Geschlechter-Diversität ausdrücklich verlangt. Der Grad der Umsetzung ist hoch und die – zumindest von manchen – erwartete Turbulenzen und Kalamitäten sind ausgeblieben.

INARA: Häufig ist dabei die Rede von Fehlbesetzungen und Ungerechtigkeiten. Was sagen Sie dazu?
Girschik: So wie es Männer gibt, die nicht halten, was ihre Qualifikationen versprechen, gibt es natürlich auch Frauen, die den Funktionsanforderungen nicht gerecht werden. Das wird mittlerweile allgemein akzeptiert. Wenn in Einzelfällen Positionen mit Frauen besetzt werden, die im Auswahlprozess nicht erstgereiht waren, ist das zu bedauern. Aber Ungerechtigkeiten bei Besetzungen hat es auch schon in Zeiten gegeben, in denen sich ausschließlich Männer um Führungspositionen beworben haben.

INARA: Wie sehen Sie die bevorstehende Frauenquote für die Privatwirtschaft?
Girschik: Die Erfahrung zeigt, dass in börse- und nicht-börsenotierten Firmen mit Kernaktionären bzw. privaten Eigentümern Frauen in Organfunktionen noch immer deutlich unterrepräsentiert sind. Auch wenn der Anteil weiblicher Vorstände und Aufsichtsräte heute höher ist als vor zehn Jahren, ist der Handlungsbedarf immer noch groß. Es zeigt sich, dass die bisherigen freiwilligen Initiativen, Vorgaben und Empfehlungen nicht zur entsprechenden Vertretung beider Geschlechter – um es in der Sprache des Corporate Governance Kodex zu formulieren – geführt haben. Ich möchte nicht beurteilen, ob die bevorstehenden gesetzlichen Regelungen vielleicht da und dort überzogen sind, aber die Quotenregelung als solche halte ich für begrüßenswert. Meine Klientinnen freuen sich jedenfalls darüber.

Ich möchte aber noch einmal betonen, dass es bei der vielzitierten Diversity-Thematik nicht nur um die Geschlechter-Diversität geht, sondern auch um andere Aspekte. Dazu zählen z. B. Diversität in Bezug auf Alter, den kulturellen, sozialen, aber auch (inter)nationalen Hintergrund von Führungskräften. Wenn etwa ein Unternehmen mit einer Exportquote von annähernd 100 Prozent und Mitarbeitern aus über 30 Ländern ein Top Management hat, das sich ausschließlich aus Österreichern zusammensetzt, die noch dazu alle derselben Generation angehören, könnte man die Zukunftsfähigkeit einer solchen Konstellation schon hinterfragen. Gerade was die Internationalität betrifft, gibt es aber auch schon viele Beispiele von Unternehmen, die zeigen, dass es auch anders geht, und die ihre Führungskräfte-Teams mit großem Erfolg international besetzen. Meine Erfahrung zeigt übrigens, dass gerade international erfahrene Führungspersönlichkeiten mit großer Selbstverständlichkeit Coaching-Dienste in Anspruch nehmen.

INARA: Glauben Sie, dass sich durch die gesetzliche Verankerung der Frauenquote bei uns viel ändern wird?
Girschik: Ich höre, dass das Gesetz zwar strenger sein wird als in Deutschland, es aber einige Öffnungsklauseln gibt, wie z.B., dass Aufsichtsräte mit weniger als sechs Kapitalvertretern sowie Unternehmen mit einem Gesamtfrauenanteil von unter 20 %, gar nicht unter die neuen Regelungen fallen werden. Ich hoffe sehr, dass das Gesetz nicht totes Recht wird, weil Unternehmen – aus nachvollziehbaren Gründen –  solche Schlupflöcher ausnützen werden. Einige meiner Klientinnen befürchten eine solche Entwicklung, männliche Coachees sehen das naturgemäß differenzierter. Man wird also sehen.

Lassen Sie mich noch einen Satz anfügen. In den nordischen Ländern, allen voran Norwegen, hat sich das starke gesetzliche „Korsett“ der Frauenquote sehr bewährt. Auch Frankreich ist in dieser Hinsicht sehr fortschrittlich. Deutschland und Österreich ticken anders. In beiden Ländern hat es lange gebraucht, bis sich der entsprechende politische Wille formiert hat. Dass man bisher auf eine stufenweise Entwicklung gesetzt hat, war eine gute Methode, sich dem Thema nicht zu stellen.

INARA: Haben die Frauen auch einen Anteil daran, dass die Dinge so sind, wie sie sind?
Girschik: Ja natürlich. Da spielen kulturelle, aber auch persönliche Faktoren eine wesentliche Rolle. Ich sehe in meiner Praxis immer wieder, dass sich Frauen gewissermaßen selbst im Weg stehen. Sie trauen sich – im Vergleich zu Männern – weniger zu und bewerben sich deshalb für attraktive Positionen, deren Anforderungen sie nicht vollinhaltlich erfüllen, nicht. Auch in Gehaltsfragen sind sie zurückhaltender. Männer sind da tendenziell anders. Während Frauen über eine eher realistische Selbsteinschätzung verfügen, ist das Selbstbild von Männern meist viel großzügiger. In einer Wettbewerbssituation kann sich ein vergleichsweise ungünstiges Selbstbild dann natürlich negativ auswirken.

Aber auch die Lebensplanung und ganz persönliche Präferenzen spielen eine Rolle. Ältere Frauen meinen mitunter, eine Vorstands- oder Aufsichtsratsfunktion wäre schon interessant, aber jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind, möchten sie sich das eigentlich nicht mehr antun.

Und Zurückhaltung spielt natürlich auch eine Rolle. Frauen meinen oft, sie müssten warten, bis sie gefragt werden. Männer fragen und hinterfragen weniger, sie kommunizieren aktiv, was sie wollen. Und indem sie eben nicht warten, bis sie gefragt werden, sind sie im Ergebnis dann oft nicht nur schneller, sondern auch sichtbarer. Und Frauen, für die Perfektionismus das oberste Prinzip ist, sage ich häufig: „Weniger ist mehr“ und stelle die Frage in den Raum, ob die vielbeschworene 80:20-Regel nicht auch für weibliche Karrieren Gültigkeit besitzen könnte.

INARA: Verstehe ich Sie richtig, dass sie versuchen, jenen Frauen, die sich trotz Qualifikation nicht trauen, mehr Selbstbewusstsein zu geben?
Girschik: Ja. Frauen zu helfen, Selbstbild, Fremdbild und Realität in Beziehung zu setzen, macht einen guten Teil meiner Arbeit aus. Wie schon gesagt: Um erfolgreich zu sein, sehen sich Frauen im Vergleich zu Männern zu differenziert, zu kritisch.

Und nachdem Selbsteinschätzung und Selbstvertrauen korrelieren: Wie soll sich eine Person gut verkaufen, wenn nicht einmal sie selbst von sich überzeugt ist? Diesen potentiellen Karrierenachteil zu neutralisieren, kann zwar durchaus aufwändig sein, ist aber am Ende des Tages so gut wie immer lohnend.

Apropos: Natürlich gibt es auch Männer, die zwar nach außen Ausstrahlung haben, im Inneren aber auch von großen Unsicherheiten geplagt werden. Nur – Männer sind in diesem Bereich oft beratungsaffiner als Frauen, das ist ein Unterschied.

INARA: Kommen wir noch einmal auf die bevorstehende Frauenquote zu sprechen. Wie kann sich eine qualifizierte Frau, die ein Aufsichtsratsmandat anstrebt, für den Markt attraktiv machen?
Girschik: Ich gebe Ihnen drei Antworten.

Erstens: Das richtige strategisch-taktische Verhalten entscheidet. Ich sehe, dass Frauen tendenziell großen Wert auf ihre Authentizität legen. Authentizität ist zweifellos wertvoll und in vielen Situationen hilfreich, aber im Wirtschaftsleben nicht immer zielführend.

Zweitens: Tragfähige und auf Vertrauen basierende Netzwerke -und damit meine ich nicht reine Frauennetzwerke- sind unersetzbar. Denn erst, wenn eine Frau als vertrauenswürdig und kompetent wahrgenommen werden konnte, wird sie auch weiterempfohlen.

Drittens: Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung. Das ist das Um und Auf. Damit meine ich hauptsächlich die strategisch-praktische Vorbereitung, also das Üben von entscheidenden Situationen, denen man ausgesetzt sein wird –am Besten in einem Coaching. Denn noch wichtiger als die mitgebrachte Kompetenz bei einem Hearing ist, dass man bei seinen Antworten aus dem Vollen schöpft und nicht um Worte ringt. Damit kann man signalisieren, die richtige Person zur richtigen Zeit zu sein.

Autorin: Brigitta Schwarzer

MMag. Dr. Judith Girschik ist Führungskräfte-Coach, Wirtschaftsmediatorin und Gründerin des Leadership-Instituts. Sie verfügt über langjährige Beratungs- und Führungserfahrung in international tätigen Unternehmen.

Fotocredit: Foto Wilke

Website: www.leadership-institute.at