Komplexität, extreme Ereignisse und Resilienz: Prof. Dr. John Casti in der manager lounge

Komplexität, extreme Ereignisse und Resilienz: Prof. Dr. John Casti in der manager lounge

Last Updated on 2016-10-12

Bericht zur Veranstaltung der manager lounge Wien am 22. September 2016  in der Galerie KoKo, Wien mit Prof. Dr. John Casti zum Thema  “Exploration of the Unknown Unknowns – How to Manage Complexity in an Uncertain World”

Prof. DI Günter Koch, execupery/Galerie KoKo/Humboldt Cosmos Multiversity

Prof. Dr. John Casti ist Wissenschafter, Unternehmer und Bestsellerautor. Als einstiger Fellow des Internationalen Instituts für Angewandte System-Analyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien, des Santa Fé Instituts für Komplexitätsforschung in New Mexico und u. a. Professor an der TU Wien befasst er sich seit Jahrzehnten mit Fragen im Zusammenhang mit komplexen Systemen. Sein jüngstes, in sieben Sprachen übersetztes Werk hat den Titel „Der plötzliche Kollaps von allem: Wie extreme Ereignisse unsere Zukunft zerstören können“. Er befasst sich vor allem mit plötzlich auftretenden extremen Ereignissen, so vor allem Katastrophen, die sowohl unerwartet auftreten als auch in ihrer Entstehung nicht (rechtzeitig) wahrgenommen werden, und wie sie in unserer jüngeren Geschichte (Tschernobyl, Fukushima, Berliner Mauer, afrikanischer Frühling, Flüchtlingsexplosion …) gehäuft auftreten.
 
Casti ging auf drei Komplexe ein: Komplexität, extreme Ereignisse und Resilienz, allesamt Themen, die wissenschaftlich noch nicht (vollständig) durchdrungen wurden, die jedoch für Entscheidungsträger von hoher Bedeutung sind, kritische Situationen zu erkennen und zu beherrschen.

In die Diskussion zum Thema Komplexität (und daraus resultierend Komplexitätsmanagement) stieg Casti anhand des Beispiels von Städten und hier besonders der Stadt Wien ein, indem er die Mercer-Studie zitierte, die seit vielen Jahren Wien auf einem der vordersten beiden Plätzen im Städte-Ranking sieht. Casti vertritt die These, dass angesichts der Tatsache, dass die Mercer-Studien seriös angefertigt sind,  man von den dort zitierten zehn erstplatzierten Städte herausfiltern kann, dass es ein Optimum hinsichtlich Größe und Komplexität einer Urbanität gibt, nämlich „nicht zu groß und nicht zu klein“. Er hält diese These auch für Unternehmen für gültig. (Anm. des Autors: Diese Diskussion trifft aliquot auch auf die unentschiedene Frage der optimalen Betriebsgröße zu).

Von diesem Standpunkt aus lässt sich Komplexität auch analytisch ermitteln, wozu einerseits diverse algorithmische Maße in Informatik, Physik und Mathematik herangezogen werden können, wie auch in der neuen (in Wien prominent vertretenen) Disziplin der Komplexitätsforschung  solche Maße aktuell entwickelt werden. Für Manager wichtig ist neben dem Verständnis für Komplexitäten von Strukturen und Prozessen, sich auch mit der eigenen Fähigkeit auseinanderzusetzen, mit komplexen Situationen umzugehen. Grob gesagt, gehört es zu den Anforderungen an Entscheidungsträger, komplexe Situationen interpretieren zu können und persönliche Souveränität zu deren Bewältigung zu entwickeln.

Castis essentielle Aussage bezüglich der Fähigkeit einer Organisation, so z.B. einer Stadtverwaltung, mit Komplexität umzugehen: Es geht darum, dass  das „regierende“ System in seiner „Komplexitätskompetenz“ so hoch entwickelt sein muss, wie es die Komplexität des „zu regierenden“ Systems verlangt. Oder anders ausgedrückt, dass „unbewältigte“ Komplexität immer dann in Erscheinung tritt, wenn beide Systeme diesbezüglich einen zu großen Abstand zueinander haben.

Zum Thema Resilienz merkte Casti an, dass das Thema in der wissenschaftlichen Community schon vor mehr als vierzig Jahren thematisiert wurde und erst jetzt in die öffentliche Diskussion gedrungen ist. Er betrachtet das Thema hinsichtlich des Erkenntnisgewinns für durchgearbeitet und gibt Managern den Ratschlag, sich dazu mittels der gehäuft verfügbaren Literatur zu informieren.

Castis Impulsvortrag kulminierte in den Ausführungen über seine jüngsten Arbeiten zum Thema „Extreme Ereignisse“, deren Analyse auch Gegenstand seines aktuellen, an internationalen Standorten vertretenen Beratungsunternehmens ist. Die Annonce seines dazu publizierten Bestsellers gibt wieder, was in der manager lounge Gesprächsgegenstand war: „Extreme Ereignisse, unvorhersehbar und folgenschwer, lassen bestehende Systeme einstürzen wie ein Kartenhaus. Die Finanzkrisen, der 11. September und Fukushima waren nur der Anfang: Extreme Ereignisse können in Zukunft alles zerstören, woraus wir leben – über Nacht. Nur ein Element muss ausfallen und unser modernes Leben kollabiert – so eng sind Energie, Wasser, Lebensmittel, Verkehr, Kommunikation und Finanzen miteinander verflochten…: “Extreme Ereignisse, sogenannte »X-Events«, treffen uns völlig überraschend und haben dramatische Folgen. Wer rechnete mit einem Flugzeug, das ins World Trade Center fliegt? Wie hätte man sich in Japan auf ein Erdbeben mit solchen Ausmaßen vorbereiten können?“ John Casti lieferte Erkenntnisse darüber, in welchen Fällen man hinsichtlich einer sich anbahnenden Katastrophe frühzeitig „das Gras wachsen hören kann“ und, davon zu unterscheiden, Fälle, in denen eine plötzliche Katastrophe hingenommen, aber dennoch überstanden werden muss.

Die Diskussion verlief lebhaft, schweifte zu vielen Fragen zur eigenen Lebensrealität bei uns in Österreich und in Europa aus, fand aber immer wieder zum Punkt zurück, dass die Voraussetzung zur Katastrophenbewältigung auch die ist, Komplexität zu verstehen und damit umzugehen.