01 Mar “Man darf bei Sanierungen nicht kleinlich denken.”
Last Updated on 2018-03-01
Dr. Erhard Grossnigg im Exklusiv-Interview mit der Management Factory
Für die erste Ausgabe ihres Newsletters 23.02.2017 hat die Management Factory mit Dr. Erhard Grossnigg ein sehr persönliches Interview geführt. Der Doyen der heimischen Restrukturierungsszene gibt Tipps und Tricks für Turnarounds und spricht über Charaktereigenschaften erfolgreicher Sanierer. Und er verrät, warum er die Management Factory empfehlen würde und blickt auf das „letzte Lebensachterl“ mit Worten, wie sie nur ein Grossnigg sagen kann.
Gerhard Wüest: Herr Dr. Grossnigg: Sie und Ihr Team haben in den letzten 37 Jahren über 100 erfolgreiche Turnarounds geschafft. 2016 waren Sie in der Sparte “Unternehmertum” als “Österreicher des Jahres” nominiert. Was macht eine erfolgreiche Restrukturierung aus?
Ich habe einen sehr einfachen Zugang zu Sanierungen: Man muss mehr einnehmen als man ausgibt. Am Ende des Tages zählt nur das.
Eine Sanierung ist dann erfolgreich, wenn Sie nach längstens 18 Monaten den Turnaround objektiv erkennen können und sich die Grunddaten des Unternehmens verändert haben.
99 Prozent der Sanierungsfälle sind auf Managementfehler zurückzuführen. Ganz selten sind exogene Faktoren entscheidend. Nehmen Sie das Beispiel des Endlosdrucks. Der Markt bricht hier jährlich um 10 bis 20 Prozent ein. Das Management weiß das und reagiert immer zu spät.
In Wahrheit sind wir Sanierer Ärzte. Sanierungen funktionieren zwar nicht immer, aber auch die Verbesserung der Lebensqualität eines sterbenskranken Menschen ist in gewisser Hinsicht eine Sanierung.
Christian Kniescheck: Auf welche Turnarounds sind Sie stolz?
Stolz bin ich beispielhaft auf die Sanierung der Firma Huber. Wir konnten in Vorarlberg in der Textilindustrie eine Produktion erhalten. Wir stricken noch und wir färben noch. Es erfüllt mich mit Freude, wenn ein Mitarbeiter am Wirtshaustisch stolz ist, bei der Firma Huber zu arbeiten.
Seinerzeit habe ich mich auch sehr gefreut, dass es gelungen ist, das Zellstoffwerk Pöls in der Steiermark am Leben zu erhalten. Das war auch eine sehr lehrreicher Fall für mich: Pöls hatte in den Jahren davor dank des steigenden Zellstoffpreises Überschüsse erwirtschaftet und diese ausschließlich zur Rückführung der Bankkredite verwendet. Von 4 Mrd. Schilling konnten 2,5 Mrd. Schilling rückgeführt werden. Als der Zellstoffpreis dann wieder einbrach, wollten die Banken nicht wieder die Linie erhöhen. Die Lehre für mich: Man muss immer auch den Eigentümer mit einer Dividende bedienen, denn dann kann er in einem Tief selber nachlegen. Seit damals ist meine Überzeugung: Als Unternehmer muss ich den Lieferanten zahlen, ich muss das Personal zahlen, ich muss die Bank zahlen und ich muss den Eigentümer zahlen.
Gerhard Wüest: Wenn jemand in einem Sanierungsfall auf Sie zukommt, welche Überlegungen stellen Sie zuerst an?
Zuerst muss ich mich immer fragen: Kann ich realistischerweise einen Beitrag leisten? Denn eine Sanierung kann scheitern am Eigentümer, der vielleicht ein Mensch ist, mit dem man nicht zusammenarbeiten kann. Oder man scheitert, weil das Geschäftsmodell nicht tragfähig ist. Manchmal ist es auch nicht möglich, die erforderlichen Mittel aufzustellen. Nur wenn ich zu der Überzeugung gelange, dass ich einen Beitrag leisten kann, nehme ich einen Fall an.
Was ich immer mache: Ich schreibe neben den IST-Daten die SOLL-Daten. Eine meiner Regeln für Produktionsbetriebe beispielsweise lautet: Der Personalaufwand darf nie mehr als 60 Prozent des Rohertrags ausmachen und der Sachaufwand nie mehr als 15 Prozent.
Drittens frage ich mich dann: Was braucht’s und wie können wir das schnell angehen? Denn in18 Monate muss der Turnaround bemerkbar sein, sonst läuft etwas falsch. Man hat bei Sanierungen nie die Zeit, alles perfekt zu machen. Schnelles Handeln schlägt 100% Präzision.
Gerhard Wüest: Sind gerichtliche Insolvenzverfahren ein probates Mittel für Restrukturierungen?
Eine Insolvenz ist ein probates Mittel für die Sanierung. Die Gläubiger zahlen mit, und das Unternehmen genießt den Schutz des Gerichts. Ich habe sicher über 50 Insolvenzverfahren mitgemacht. Das Entscheidende ist, dass es Sicherheit für den Unternehmer und auch für den Investor gibt, der bereit ist einzusteigen.
Nehmen Sie das Beispiel der Radkersburger Metallwerke, das war eine Insolvenz mit Eigenverwaltung: Am 13. Dezember 2014 haben wir die Insolvenz angemeldet, und am 28. Februar 2015 wurde sie abgeschlossen. In drei Monaten wurde das Verfahren aufgehoben. Das ist schon bemerkenswert schnell.
Das wichtigste bei Insolvenzen: Sie müssen vorher wissen, wie Sie das Unternehmen fortführen wollen. Daher rege ich mich auch so auf, dass Insolvenzverwalter oft Rechtsanwälte mit wenig betriebswirtschaftlicher Ahnung sind. Für jede Tätigkeit braucht es alle möglichen Prüfungen und Voraussetzungen, für einen Insolvenzverwalter nicht? Es gibt hier natürlich auch ein paar Tüchtige, mit denen eine Zusammenarbeit immer gut ist: Herr Dr. Johannes Jaksch zum Beispiel, Frau Dr. Ulla Reisch oder Herr Dr. Michael Lentsch.
Gerhard Wüest: Wie rasch passen Sie bei Restrukturierungen den Personalstand an?
Ich bin der Auffassung: Lieber kündige ich 100 Leute, als dass 400 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren. Wir haben bei Bene 240 Arbeitsplätze abgebaut, das ist erheblich. Aber wir haben 760 Mitarbeitern den Arbeitsplatz gesichert.
Was in Zukunft ganz generell noch wichtiger werden wird, ist die Flexibilität. Die Mitarbeiter müssen lernen, dass zu arbeiten ist, wenn Arbeit da ist. Das verstehen auch die Mitarbeiter. Es gibt gute Modelle, bei denen auch die Gewerkschaft mitmacht.
Was ich bei Sanierungen mitunter auch mache, ist die Einführung einer Vier-Tage-Woche. Nehmen Sie einen Verkaufsinnendienst mit dreißig Leuten: die arbeiten dann alle nur noch vier Tage. Der Einkommensverlust im Ausmaß von 20 Prozent tut weniger weh als ein Jobverlust. Und ich habe die ziemlich gleiche Leistung bei 20 Prozent weniger Kosten.
Gerhard Wüest: Wie stark soll ein Unternehmen Sanierungen medial begleiten lassen?
So wenig wie möglich. Es ist nicht gut, wenn eine Unternehmung ständig mit negativen Schlagzeilen in der Zeitung steht.
Ich sehe hier die Wirtschaftsjournalisten sehr kritisch. Das sind überwiegend erfolgreiche Studienabbrecher, die unvorbereitet zu den Gesprächen kommen und immer auf negative Schlagzeilen fokussieren. Ich kann diesen Zugang nicht verstehen.
Gerhard Wüest: Sie waren einer der frühen Verfechter und Nutzer von Factoring. Gibt es daneben auch weitere Finanzierungsinstrumente, die Sie empfehlen würden?
Leasing ist bei gegebener Fungibilität der Güter immer zu empfehlen. Beim Factoring war ich übrigens einer der ersten, der das gemacht hat. Dazu muss ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Ich kam 1969 von der Chase Manhattan aus Paris nach Wien zurück, um bei der Österreichischen Kommerzialbank zu arbeiten. Neben der Chase Manhattan war damals die Girozentrale unter Dr. Taus Miteigentümerin mit 30 Prozent. Herr Dr. Taus war ein tüchtiger Banker und mit 35 Jahren der jüngste Generaldirektor Österreichs. Er führte damals Factoring und Leasing ein, und ich durfte damals bereits mit 22 oder 23 Jahren mitverhandeln. Heute nutzen alle meine Firmen Factoring. Bei mir hat eine Factor-Gesellschaft bis dato in keinem Insolvenzfall beim Factoring Geld verloren. Daher kann ich auch bei schwierigen Fällen auf die Handschlagqualität von Personen wie Herrn Gerhard Prenner von der Raiffeisen Factor Bank zählen.
Gerhard Wüest: Wann scheitern Sanierungen bzw. wann sind Sanierungen nicht möglich?
Ein Unternehmen, das mit mehr als 50 % des Umsatzes fremdfinanziert ist, ist bereits in einer kritischen Zone. Natürlich gibt es Sonderfälle wie Kraftwerke, aber grundsätzlich gilt diese Regel.
Daneben sind börsenotierte Unternehmen eigentlich nicht sanierbar, es sei denn, sie können sie von der Börse nehmen oder sie haben einen starken Investor dabei.
Ein weiterer Ausschlussgrund ist die Politik. Hier beziehe ich mich unter anderem auf das Zellstoffwerk, welches in Villach geplant war. Hier hat die Einflussnahme der Kärntner Politiker zu einem Millionengrab geführt. Damals war Dr. Haider Landeshauptmann. Wir haben beschlossen: kein Wort an die Presse. Genau das Gegenteil ist eingetreten, sofort ging er an die Presse. Ein anderer Fall, liegt auch schon lange zurück, da hat sich bei einer Firmenkrise der sozialistische Landesrat getraut, eine Finanzierung von 20 Mio. Schilling zu bewerkstelligen, um das Unternehmen zu erhalten. Als es dann zwei Jahre später an eine slowenische Firma verkauft wurde und dabei ein Gewinn erzielt wurde, hat der Rechnungshof mit acht Mann den Vorfall untersucht, da man dem Gewinn nicht traute.
Christian Kniescheck: Sie haben einmal drei Sanierungslehrsätze aufgestellt. “Erstens: Sag den Mitarbeitern immer die ganze Wahrheit. Zweitens: Keine Salamitaktik und keine unnötigen Verzögerungen. Drittens: Fahr nicht mit einem dicken Mercedes in die Arbeit und fang in der Frühe vor allen anderen an.“ Sind diese Regeln zu ergänzen?
Diese Grundsätze sind weiterhin gültig. Aber die Bedeutung des Menschen hat wesentlich zugenommen, und die Digitalisierung verändert die Welt enorm.
Gerhard Wüest: Welche Charaktereigenschaften braucht ein erfolgreicher Sanierer?
Man muss das Vertrauen der Leute gewinnen. Und das Vertrauen der Leute gewinnen Sie nur, wenn Sie die Wahrheit sagen. Die Wahrheit tut einmal weh, die Lüge schmerzt ein Leben.
Für einen erfolgreichen Sanierer gilt: Ehrlichkeit, Vorbild und keine falsche Rücksichtnahme. Falsche Rücksichtnahme ist, wenn Sie etwas nicht sagen, weil es weh tut oder hart ist. Ich sage lieber die Wahrheit. Ich bin gut damit gefahren, direkt und ehrlich zu sein.
Jetzt wo mit 70 meine Nachrufe beginnen: Ich glaube, ich habe die Gabe, schlechte Nachrichten schnell zu verdauen. Die zweite Gabe, die ich habe: Ich kann auf Menschen eingehen. Daher höre ich immer wieder: „Dem Grossnigg glaube ich.“ Die Vorbildfunktion ist immer mitentscheidend – bei Freunden, in der Familie und bei Kindern. Das Mindeste, was die Mitarbeiter von mir erwarten können, ist, dass ich mich nicht besser stelle als sie. Das heißt mit anderen Worten: Ich missbrauche nicht den Chauffeur, damit er mir meine privaten Angelegenheiten erledigt.
Dabei bin ich selber kein jovialer Typ, so dass ich mit allen per Du bin. Es gibt hier in meiner Firma eine einzige Mitarbeiterin, mit der ich per Du bin.
Gerhard Wüest: Wie viele Sanierungen kann man als Manager gleichzeitig machen?
Zwei oder drei. Mit ein, zwei Tagen pro Woche können Sie eine Firma führen.
Gerhard Wüest: Wie wählen Sie bei Restrukturierungen die “richtigen” Manager aus?
Jetzt sprechen Sie die wirklich schwierigen Dinge an (lacht). Ich behaupte immer, bei Führungskräften eine 55 Prozent Erfolgsquote zu haben – aber auch nur, weil ich mit mir in Frieden sein möchte.
Grundsätzlich zu Sanierungen: Wir gehen zu spät zum Zahnarzt, wir lernen am letzten Drücker für die Prüfung und wir sanieren zu spät. Wenn Sie sanieren, dann sind viele gute Führungskräfte bereits weggegangen. Was ich mache: Ich schaue nicht auf die Hierarchie, sondern suche mir einen Kreis von guten Mitarbeitern aus dem Unternehmen. Das kann der Finanzchef sein oder auch der Controller – und schon ist der Finanzchef nicht mehr Finanzchef. Oder es kann ein Vertriebsmitarbeiter sein und nicht der Verkaufsleiter. Und dann sehe ich ja, wer seine Arbeit erledigt und wer nicht. Dann tausche ich aus. Ich nehme nicht zwingend jemand Neuen von außen ins Unternehmen.
Die Bereitschaft zu schnellem Tausch ist eines der Key-Elemente bei Personalthemen. Leider bin ich da selber auch Mensch und immer wieder zu langsam, insbesondere dann, wenn ich jemanden selber eingestellt habe. Sie kennen das: Man gibt jemandem noch eine Chance und noch eine und noch eine. Dann muss ich mich immer selber bei der Nase nehmen und mich an meine eigene Regel erinnern: Nach sechs Monaten musst Du es wissen.
Ich verwende bei der Personalsuche nach Führungskräften selten Personalberater. In ihrer mangelhaften Leistung ähneln Personalberater PR-Beratern. Bei einem unserer aktuellen Sanierungsfälle haben wir selber eine Anzeige ins Netz gestellt, sechzig Bewerbungen sind eingelangt, die Geschäftsführerin hat in einem ersten Schritt zwölf Gespräche geführt, dann ich selber vier, und drei davon waren tauglich. Einen stellen wir jetzt ein. Dazu brauche ich keinen Personalberater.
Übrigens arbeite ich gerne mit Frauen. Was ich bei Frauen sehr schätze ist der weniger stark ausgeprägte Drang, entscheiden zu müssen. Eine Frau sagt eher: Ich denke darüber nach und entscheide morgen. Ein Mann denkt sich: Ich bin der Chef, ich entscheide sofort. Plus dieses Prestigedenken, vom Auto angefangen, das haben Frauen nicht. Nur Frauen geht aber auch nicht. Sie kennen ja meinen Spruch: Wir Männer sind arme Hunde: Wir werden von Frauen geboren, von Frauen erzogen, von Frauen verführt, von Frauen betrogen und von Frauen überlebt.
Christian Kniescheck: Sie ziehen bei Personalentscheidungen gerne graphologische Gutachten heran. Warum?
Vor 25 Jahren hatte ich bei einem Schweizer Unternehmen als Aufsichtsrat ein Erlebnis. Die Geschäftsführung sollte neu besetzt werden, und am Ende befand das Gremium: Wir brauchen ein graphologisches Gutachten. Für mich war das unmöglich, wirklich unmöglich. Ich konnte mich aber nicht durchsetzen und das graphologische Gutachten wurde erstellt. Ich bekomme es, lese es und war wie von den Socken. Daher gab ich auf einem Zettel gleich selber eine Schriftprobe ab und sandte sie an den Graphologen namens Dr. Erich Speck. Bei mir im Büro ist es aber so, dass die Mädels auch die private Post aufmachen können. Das habe ich nicht bedacht und prompt kommt dieser Brief mit dem Gutachten. Sie machen den Brief auf und hauen sich ab. Da war vieles wahr, vieles, was ich so für mich selber nicht wahrgenommen hätte. Ich habe mich dann nur geärgert, weil der mich damals auf 53 geschätzt hat, obwohl ich erst 45 war.
Heute hole ich für jeden Vorstandskandidaten ein Gutachten ein. Meist stimmen 70 bis 80 Prozent, und ich werde auf Themen aufmerksam, bei denen ich nachfassen kann.
Neben dem Gutachten hole ich auch aktiv Referenzen ein, wobei es nicht nur berufliche, sondern auch private Referenzen sein können. Auch wenn ich die Person in den meisten Fällen nicht kenne, kann ich fragen: Woher kennen Sie den? Haben Sie mit ihm gearbeitet? Kann er unter Druck arbeiten? Was ist das für ein Mensch? Und dann bilde ich mir eine Meinung.
Gerhard Wüest: Greifen Sie bei Turnarounds auch auf Interimsmanager zurück?
Ja klar.
Christian Kniescheck: Wenn wir über Führungskräfte bei zu sanierenden Unternehmen sprechen: Wie gehen sie mit dem Haftungsrisiko bei Sanierungen um, Stichwort Directors-and-Officers-Versicherungen?
Ich halte mich da an das Gesetz des ordentlichen Kaufmanns. Bei mir gibt es keine D&O Versicherungen. Ich habe keine und bei mir kriegt niemand eine Organ- oder Manager-Haftpflichtversicherung.
Mit Ausnahme der Fall einer Schuhhandelsfirma, hatte ich selber noch nie eine Anzeige. Vor circa 15 Jahren war ich dort Aufsichtsratsvorsitzender. In dieser Funktion veränderte ich das Gehalt des Geschäftsführers, der auch Sohn des Firmeninhabers war, und halbierte seinen Bezug. Gleichzeitig ließ ich ihm einen Kredit nach, den er seinerzeit von der Firma erhalten hatte. Das war eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Maßnahme. Dafür bekam ich aber von der Staatsanwaltschaft eine Anzeige wegen Untreue gegenüber der Firma. Ich musste dann mit Gutachten und Rechtsanwälten eineinhalb Jahre lang kämpfen, damit diese Anzeige eingestellt wird.
In den letzten Jahren macht mich die Untreue-Rechtssprechung in Österreich aber sehr betroffen, beispielsweise die Fälle Styrian Spirit oder Peter Westenthaler. Ob Geld immer ein „Mascherl“ hat? Vor diesem Hintergrund müsste ich meinen Grundsatz, dass wir keine D&O Versicherungen brauchen, vielleicht überdenken.
Gerhard Wüest: Christian Kniescheck war 2015 und 2016 bei Ihnen Geschäftsführer und wechselte nun zur Management Factory. Was hat er bei Ihnen gemacht?
Christian Kniescheck verantwortete bei uns das Geschäftsfeld „Turnarounds für Dritte“. Er ist ein ordentlicher und tüchtiger Mann. Er hört auch zu, wo es heute doch oft Leute gibt, die nicht zuhören wollen. Er hat zwei der erfolgreichsten Sanierungsfälle der letzten Jahre geleitet: Roncalli und Burisch. Heute ist der Circus wieder hochprofitabel, und Burisch wurde nach der erfolgreichen Sanierung Ende 2016 an die Firma Schurter in der Schweiz verkauft. Wir haben gut zusammengearbeitet!
Christian Kniescheck: Danke. Der österreichische Restrukturierungsmarkt ist überschaubar. Wie sehen sie die Big Four und die Wettbewerbslandschaft in der österreichischen Sanierung?
Es hängt immer von den Menschen ab, das kann man daher nicht so pauschal sagen. Aber bei dem Preiswettkampf in der Prüfung gehen alle Wirtschaftsprüfer in die Beratung. Sie genießen Glaubwürdigkeit, was auch damit zusammenhängt, dass es immer weniger Manager gibt, die sich selber etwas zumuten.
Bei den Wirtschaftsprüfern gibt es selbstverständlich auch einige, die sich etwas trauen. Einer der ersten Wirtschaftsprüfer, mit dem ich mit Handschlagqualität schwierige Fälle machen konnte, war Helmut Maukner von Ernst & Young. Auch hier ist ein gutes Vertrauensverhältnis unerlässlich: wir hatten damals einen Fall mit 150 Mio. Schilling negativem Eigenkapital – und wir mussten bilanzieren.
Wenn heute der Vorstand eines Unternehmens einen Sanierungsmanager braucht, dann ist er für seinen Job ohnedies ungeeignet. So einer wird sich dann nicht trauen, die Management Factory zu nehmen, sondern er wird einen der Big Four nehmen. Die kosten zwar dreimal so viel und leisten die Hälfte, aber es gilt das Cover-your-ass Prinzip. Sichere Dich ab. Da gibt es viele Beispiele. Ein Paradebeispiel ist die Hypo Alpe Adria.
Gerhard Wüest: Wenn Sie die Big Four für Mittelständler nicht empfehlen, wen dann?
Sie zum Beispiel. Das sage ich im Ernst. Alles, was ich von Leuten, denen ich vertraue, über Sie höre, ist in Ordnung. Am Ende des Tages geht es um seriöse Arbeit. Ich werde auch auf Herrn Kniescheck wieder zurückkommen. Ich weiß, was er kann.
Gerhard Wüest: Ist das Restrukturierungsgeschäft heute anders als vor der Jahrtausendwende? Was hat sich geändert?
Die Banken haben sich massiv professionalisiert. Man kann das nicht mehr vergleichen mit vor 25 Jahren. Damals konnte ein Banker die Analyse-Ergebnisse eines Unternehmens kaum nachvollziehen. Heute sind sie dahingehend Profis. Alles muss man begründen und nachvollziehbar machen. Früher waren die Banken auch noch viel reicher als heute. Es gab weniger Sanierungsfälle und die Banken konnten großzügiger sein.
Andererseits moniere ich, dass die gut ausgebildeten Krisenmanager der Banken keine Entscheidungsfähigkeit mehr haben. Es gibt positive Ausnahmen gibt wie Dr. Strobl bei Raiffeisen, aber die meisten entscheiden nicht und haben die Hosen gestrichen voll. Die fragen dann ihre Rechtsanwälte, und diese sagen: „Rechtsunsicherheit“. Und dann bekommen wir eine Auflistung aller Argumente, die rechtlich gegen eine rasche und faire Lösung sprechen könnten.
Was sich noch geändert hat, ist die Untreue-Rechtsprechung. Ein anderes Beispiel: Ich war Aufsichtsratsvorsitzender bei der Baumarktkette Praktika in Deutschland in den sechs Monaten vor der Insolvenz. Weil ich nicht wollte, dass die Vorstände in ein Problem hineinlaufen, hatten wir einmal in der Woche einen Insolvenzspezialisten vor Ort, der wöchentlich den Going Concern bestätigte. Letztlich haben uns dann die Kreditversicherer umgebracht. In diesem Fall gab es zum Glück für alle Vorstände eine D&O. Die deutsche „Insolvenzmafia“ ist nämlich ein Horror. Die Kosten des Verfahrens belaufen sich bis dato auf über 100 Mio. Euro. Jetzt gibt es Gutachten rauf und runter, das Unternehmen ist tot, und alle machen ein Geschäft.
Wir werden in Zukunft verstärkt mit dieser Insolvenzindustrie konfrontiert sein. Sie kommt aus Amerika und ist in Deutschland bereits gang und gäbe.
Eine ähnlich problematische Entwicklung konnte ich beim Squeeze Out bei Bene im Jahr 2015 feststellen. Es kommt niemand zu Schaden, wir zahlen deutlich mehr als das Bewertungsgutachten als angemessenen erachtet, und im Falle einer Insolvenz wäre der Wert der Aktien Null gewesen. Es gab beim Squeeze Out drei Gruppen. Erstens jene Aktionäre, die irgendwann einmal Bene Aktien erworben haben. Die zweite Kategorie sind die, die aus der Zeitung erfahren haben, dass der Grossnigg kommt. Sie sind zur Bank gegangen und haben Bene gekauft, wiewohl beim Kauf von Bene schon öffentlich kundgetan wurde, dass wir ein Abfindungsangebot von einem Euro machen werden. Die haben ihr Sparbuch aufgelöst, Aktien gekauft, und die Banken haben mitgemacht! Die zweite Gruppe ist bemitleidenswert, aber dumm und schlecht beraten. Die dritte Gruppe sind spezialisierte, oft deutsche Unternehmen, die 100.000 Aktien günstig aufgekauft haben und nun mit einem besseren Preis spekulieren. Gruppe eins und zwei hat nach einigen Verhandlungen unser nachgebessertes Angebot angenommen. Nur die dritte Gruppe die nicht. Das ist Erpressung, hier gehört ein Mehrheitsrecht gesetzlich verankert. Zum Glück haben wir einen vernünftigen Richter, der nun von den „Profis“ einen Kostenvorschuss von 100.000 Euro gefordert hat. Die letzte Verhandlung dauerte sieben Stunden. Bin gespannt, wie es ausgeht. Meines Erachtens müsste hier eine neue Gesetzgebung erfolgen.
Gerhard Wüest: Sie hatten Anfang 2013 noch 35 aktive Funktionen, Anfang 2016 waren es nur mehr 16. Mit Ihrem 70er im September 2016 wollten Sie den Großteil der Mandate zurücklegen. Ist Ihnen das gelungen?
Ja, ich habe die Mandate so ziemlich alle abgebaut. Aktuell bin ich noch Geschäftsführer in meiner Holding (der Grosso Holding) und in der E.F. Grossnigg Finanzberatung. Daneben bin ich noch Aufsichtsratsvorsitzender bei der S&T und bei der Semper Constantia Privatbank. Die S&T verkauften wir letztes Jahr an die taiwanesische Ennoconn Corporation, zu der auch Foxconn gehört. Die S&T wird in den nächsten Jahren mit dem Kauf der Kontron AG in Deutschland sowie eines Teils der IT-Sparte der Raiffeisen in Österreich den Umsatz und das Ergebnis massiv steigern können. Bei der Semper Constantia Privatbank werden mir die besten Banker im Aufsichtsrat nachfolgen: Ab April sind dann Willibald Cernko, Karl Sevelda, Ewald Nageler und Kerstin Gelbmann im Aufsichtsrat. Die Semper Constantia ist und bleibt die beste Privatbank Österreichs.
Christian Kniescheck: Was soll ein erfolgreicher Unternehmer mit seinem Vermögen machen?
Ich habe sicherlich ein Dutzend Testamente hier im Haus liegen, weil die Leute sagen: „Du Erhard, wenn mir was passiert, kümmere Dich darum“. Das ist ein Vertrauensbeweis. Ich habe natürlich auch ein Testament, jeder muss immer eines haben.
Aber ein Thema, mit dem ich mich in letzter Zeit beschäftige, kann man folgendermaßen zusammenfassen: Die Broke.
Gerhard Wüest: „Die Broke“?
Schauen Sie. Ich bin letztes Jahr 70 geworden und nun im letzten Lebensachterl. Wenn Du stirbst, dann sollst Du kein Vermögen mehr haben.
Die Management Factory (MF) bietet Finance Management Dienstleistungen an und hat sich auf die interimistische Übernahme von Managementaufgaben im Finanzbereich spezialisiert, bei Bedarf auch als Geschäftsführer oder Vorstand. Im Krisenfall unterstützt die MF Unternehmen bei der Umsetzung aller erforderlichen Restrukturierungsmaßnahmen, um einen raschen Turnaround zu erreichen. Auch hier bei Bedarf als Geschäftsführer oder Vorstand. Die MF konzentriert sich auf österreichische Unternehmen ab einem Umsatzvolumen von 50 Mio. EUR bzw. Fondsbeteiligungen; priorisiert werden größere Unternehmensgruppen / Konzerne; die Unternehmen werden auch ins Ausland begleitet.
Mehr zur Management Factory Corporate Advisory GmbH: www.mf.ag