Roboter-Journalismus für Robot-Leser

Roboter-Journalismus für Robot-Leser

Last Updated on 2017-03-08

Wenn Maschinen lesen, was andere Maschinen zuvor geschrieben haben, ist das mehr als eine technische Herausforderung. Gesellschaftlich können die Auswirkungen noch nicht überschaut werden, während die Technik bereits beginnt, diesen geschlossenen Informationskreislauf umsetzen zu können. Die Technologie muss sich die gesellschaftliche Sinnfrage nicht stellen, darauf zu warten wäre vergebens. Diese Technik wird eingesetzt werden, in zwei bis drei Jahren. Dabei geht es keineswegs nur um die Vertextlichung von Daten: die neuen, sich in die Startlöcher begebenen Tools suchen sich ihre Themen im Internet oder unternehmeseigenen Datenbanken selbst, formulieren weitgehend regelfrei und bauen sich ihre eigene Textdramaturgie.

Heute hat Roboterjournalismus wenig bis gar nichts mit Künstlicher Intelligenz zu tun, im Gegenteil: hunderte von mathematisch exakten Regeln sind erforderlich, um einen 50 Zeilen langen Fußballreport oder Börsenbericht zu schreiben. Wer die Regeln im Kopf hat kann von der “Schreib-Maschine” nicht überrascht werden. Morgen wird selbst der Software-Entwickler nicht mehr vorhersagen können, welches Thema seine Maschine wie schreiben wird. Dadurch wird sich für den Journalismus, dessen Endprodukt sich an real existierende Menschen richtet, die Adressierung der Zielgruppen noch einmal erheblich verändern. Bei einem anderen Einsatz von automated content erschliesst sich der Sinn leichter: warum sollen Sales-Reports, Risikobewertungen oder Erhebungen noch von Menschen gelesen werden, wenn die daraus zu ziehenden Schlüsse ebenso von Maschinen umgesetzt werden können? Ein paar Jahre lang noch wird der Versicherungsvertreter, der drei Monate in Folge seine Umsatzziele verfehlt, das Kündigungsgespräch mit einem Manager führen, der zuvor die ursächlichen Sales-Reports gelesen hat. 2022 wird das nette Kündigungsschreiben direkt vom Rechner der Personalabteilung kommen, durchaus mit persönlichen Bezug und einer Prise Empathie. Ob das inhumaner ist? Machen persönlich geführte Kündigungsgespräche irgendetwas besser? Wer schon einmal “Wir wünschen Ihnen viel Erfolg auf Ihrem weiteren Lebensweg” gelesen hat wünscht sich sicher einen intelligenten Schreibroboter.

In Zürich ließ diese Woche ein eher großer Digitalkonzern einen eher kleinen Kreis einen winzigen Blick in die Hexenküche werfen.  Man gehe davon aus, dass sich die Zahl der publizierten, gepublishten, gebloggten, getwitterten Inhalte in den nächsten 10 Jahren verfünfzigfachen werde. Mindestens. So einer der Entwicklungsleiter, der bemerkenswerter Weise (?) eine Stunde lang über „Content“ redete, ohne gedruckte Medien zu erwähnen. Medienhäuser wurden oft erwähnt, aber deren auf Papier gedruckten Inhalte stehen nicht mehr auf der Agenda. Wenn aber eine solche, nicht nur von diesem Digital-Experten vorausgesagte Explosion der Inhalte stattfindet, wer liest dann noch was? Wie schaffe ich Aufmerksamkeit für ein einziges Thema? Durch die x-fache Multiplikation des Themas mit exakt denselben Inhalten, nur anders formuliert? Oder durch eine minimale Anpassung eines Themas an unterschiedliche Zielgruppen, aber trotzdem mit immer denselben Kernfakten? Kein Redakteur kann von Hand in einer Sekunde hunderte von Variationen eines Themas schreiben, in beliebig vielen Sprachen. Dies ist schon bedrohlich genug, aber es ist sicher, dass heutige Robot-Texte in 5 Jahren aussehen werden wie Texte von Erstklässlern. Wird sich ein IT-Konzern den Inhaltemarkt entgehen lassen, mit den daranhängenden Milliarden an Werbeumsätzen? Angesichts dieser technischen Möglichkeiten, die aus 10 Fakten hunderte von “pieces of content” in beliebig vielen Sprachen schaffen können?

Maschinen werden lesen müssen, was andere Maschinen geschrieben haben, weil die menschliche Zeit nicht ausdehnbar ist. Wenn es nicht einen Artikel zu dem neuen VW Golf oder der Bankenkrise gibt, sondern Tausende, geht kein Weg an einer solchen Auswertung vorbei. Das Bezahlmodell dazu existiert noch nicht, aber es wird Artikel zur Bankenkrise geben, die aus Dutzenden einzelner Beiträge unterschiedlicher Quellen zusammengeschrieben werden, sprachlich perfekt, aus einem Guss. Überleben werden die „manuellen Medien-Brands“, die schon heute sehr stark sind. 

Quelle: Wolfgang Zehrt, http://digitalkommunizieren.de/