Unter dem Nullpunkt: Wie die Höchstrichter über Negativzinsen urteilen

Unter dem Nullpunkt: Wie die Höchstrichter über Negativzinsen urteilen

Last Updated on 2017-11-22

Rechtsanwältin Mag. Daniela Ehrlich, M.A.S., in KlientNewsletter 10/2017

Falls Sie zu jenen Bankkunden gehören, die an ihre Bank einen längerfristigen Kredit
zurückzuzahlen haben – eventuell sogar in einer Fremdwährung – hat das österreichische Höchstgericht in seiner jüngsten Rechtsprechung die prinzipielle Möglichkeit geschaffen, dass im Falle einer vereinbarten Zinsgleitklausel allenfalls zu viel bezahlte Zinsen zurückverlangt werden können. Dies dann, wenn der Referenzzinssatz (oder Indikator) ins Negative gefallen ist und dadurch die der Anrechnung unterliegende Marge vermindert hat, jedoch bis maximal zu einem Null-Zins.

Dies lässt sich wie folgt verdeutlichen:

Im Kreditvertrag (einem Euro- oder Fremdwährungskredit) wurde zu bestimmten Stichtagen eine Verzinsung von etwa 1,125% (=Marge) über den 3-Monats-EURIBOR oder LIBOR (bei CHF-Krediten) (= Indikator) vereinbart. Fiel der Indikator oder Referenzzinssatz unter einem Wert von Null, stellte sich die Frage, ob diese negative Zinshöhe auf die Marge angerechnet werden müsse, womit sich diese verringern würde, und wenn ja, wie weit. Ob etwa bei einem rechnerisch insgesamt negativen Zins der Kreditnehmer von der Bank diese Zins- Ersparnis aus Sicht des Kunden auch verlangen könnte?

Zum Beispiel: 1,125% Marge minus 0,73% 3 Monats Libor1/Indikator = 0,395 % als effektiven Zinssatz; oder: 1,125 minus 1,125= 0 (Null) % Zinsen; oder 1,125 minus 1,46= – 0,335 (effektiver Zinssatz unter null, minus 0,335 %). Beim letzten Bespiel: Wäre die Bank dem Kunden gegenüber verpflichtet, den negativen Zins – vermutlich eine Refinanzierungslücke der Bank– weiterzugeben?

Der OGH hat zu dieser Frage die Anrechnung eines negativen Zinssatzes bejaht, aber die
Grenze bei null Prozent Zinsen eingefroren. Nach dieser inzwischen als gefestigt
angesehenen Rechtsprechung sind Banken im Falle eines vereinbarten variablen Zinssatzes verpflichtet einen allenfalls ins Negative gefallenen Marktzinsenindikator bis auf „Null“ anzurechnen, sie müssen den Kreditnehmer bestenfalls für die jeweilige Periode zinsfrei stellen.

Der OGH schränkte – unter Hinweis auf die einschlägige Norm des § 6 Abs.1 Z 5 KSchG – ein, dass bei Abschluss eines Kreditvertrages typischerweise Konsens bestehe, dass der Kreditnehmer für die Zurverfügungstellung des Geldes Entgelt, also Zinsen zu bezahlen habe und nicht von der Bank ein Entgelt (aus Kundensicht eine Ersparnis) verlangen könne, falls die Zinsenberechnung insgesamt negativ ausfällt, weil der Referenzzinssatz auf einen negativen Wert unterhalb der vereinbarten Marge gesunken ist. Das Entgelt, das der Kreditnehmer zu bezahlen habe, könne allerdings auf null sinken. Der Entgeltcharakter eines Kreditvertrages gehe dadurch nicht verloren, da der Kunde in den ersten Jahren Zinsen und Gebühren an die Bank habe zahlen müssen (9 Ob 35/17p).

Das Höchstgericht wies zudem jene seit Anfang 2015 oft geübte Bankenpraxis in die
Schranken, wonach der Indikator einseitig von den Banken mit Null angesetzt wurde, sodass diese zumindest die Marge an ihre Kunden verrechneten. Solches Vorgehen widerspricht § 6 Abs.1 Z 5 KSchG. (3 Ob 88/17p, 8 Ob 101/16k, 8 Ob 107/16t; 4 Ob 60/17b, 1 Ob 4/17w; 10 Ob 13/17k).

Zusammengefasst empfiehlt es sich, die Zinsklausel des eigenen Kreditvertrages zu prüfen und gegebenenfalls zu viel bezahlte Zinsen von der Bank zurückzuverlangen.
Einige weitere Überlegungen:

Das Argument, dass der Entgeltcharakter eines Darlehensvertrages auch nicht verloren gehe, wenn der Kreditnehmer zeitweise keine Zinsen bezahle, verweist auf die Frage, der gleich bleibenden Umstände eines Vertrages, auf die sogenannte clausula rebus sic stantibus (Umstandsklausel). Schon das römische Recht entwickelte den Grundsatz, dass im Falle entscheidender Änderung der Vertragsgrundlagen eine Anpassung des Vertrages an diese geänderten Umstände möglich sein sollte.

Obzwar dieser Rechtsgrundsatz vor allem bei Dauerschuldverhältnissen relevant ist und bei Unterhalts- und Rentenansprüchen, wie auch bei Vorverträgen von der Rechtsprechung anerkannt ist, gilt der Rechtssatz nicht allgemein für geschlossene Verträge. Im Gegenteil: es gilt der Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind (Pacta sunt servanda).

Der OGH hat in seinem obiter dictum, dass ein Kreditvertrag nicht seinen Entgeltcharakter verliert, wenn zeitweise keine Zinsen an den Kreditgeber zu zahlen sind, eine Anpassung der Vertragsumstände ermöglicht.

Wenn man in dem Zusammenhang von einem Vertrauensverlust auszugehen meint, dann wohl auf beiden Seiten: bei Kreditnehmer und Kreditgeber.
Und: Sollte man die Kirche nicht besser im Dorf lassen?

Die etwaigen Nullzinsperioden, die nunmehr möglich wurden, werden wohl kaum die
Geldvernichtung, die durch die einst geübte massive Vergabepraxis von
Fremdwährungskrediten an Kreditnehmer seit Jahrzehnten betrieben wird, wettmachen.

Mag. Daniela Ehrlich, M.A.S. ist Wirtschafts- und Immobilienanwältin in Wien.
Website: www.anwaltehrlich.at