Wenn der Marketing- und Vertriebswind fehlt

Wenn der Marketing- und Vertriebswind fehlt

Last Updated on 2017-08-02

Dominic Multerer

Ob Aufsichtsrat oder Beirat: Häufig gilt das Klischee, dass die Mitglieder „alt und ergraut“ sind und aus dem juristischen Umfeld kommen. Ein Fehler, findet Marketing-Experte Multerer und verlangt nach frischem Wind.

Ob Mittelstand oder Dax: Fast alle Aufsichtsräte greifen auf juristische oder finanzgetriebene Kompetenzen zurück, die Abschlussprüfung und Rechnungslegung betreffen.

Hier setze ich mal ein Fragezeichen dahinter, ob das so für jede Gesellschaft der sinnvollste Weg ist: Der Unternehmenserfolg wird zwar am Ende des Tages anhand von Zahlen gemessen, jedoch werden diese durch andere Ressorts generiert. Eine besonders wichtige Thematik, welche selten durch Fachkundige im Kontrollorgan vertreten ist, ist die Marketing- und Vertriebskompetenz.

Es fehlt der strategisch denkende Kontrolleur, der auch für „moderne“ Themen wie z.B. E-Commerce, Digitalisierung und Markt sensibilisiert ist und operative Entscheidungen „prüfen“, hinterfragen oder anstoßen kann. Denn das ist die Aufgabe des Kontrollorgans. Die strategische Ausrichtung, neue Absatzkanäle in Schwellenländern und Markteinführungen und deren Umsetzung können durch die marktorientierte Komponente im Kontrollorgan besser geprüft werden. Stattdessen übernehmen andere Mitglieder diese Aufgaben zusätzlich. Ich bezweifle, dass bspw. ein Wirtschaftsprüfer aus seiner Erfahrung heraus in der Lage ist zu urteilen, wie der Markenaufbau und die Positionierung funktionieren sollte. Genauso wenig, wie ein Kommunikationsmann die Bilanz haargenau prüfen kann.

Bedenkt man aber, dass etwa 40 Prozent des jährlichen Umsatzes von großen Unternehmen in Marketing und Vertrieb investiert werden, zeigt sich die Bedeutsamkeit dieses Themas. Kann ich das einfach „nebenbei“ prüfen? Solange die Zahlen stimmen, ja. Wenn es brenzlig wird, muss der Vorstand herhalten: warum nicht auch hier eine „Prüfungs- und Impulsgeberkompetenz“ aufbauen, da die Auseinandersetzung mit Produktsegmenten, Absatzkanälen, Ländern und Marken für Unternehmen Kernelemente sind? Hier hängt ein gewaltige Menge Geld dran.

Vertrieb und Marketing stellen wichtige Aspekte der Unternehmensstrategie dar, weshalb es eine zentrale Aufgabe des Aufsichts- und Beirates sein sollte, ebenfalls diesen strategischen Bereich zu überblicken – auch wenn dieser häufig nicht stichhaltig und mit Belegen untermauert werden kann. Ausgangspunkt für eine effektive Erörterung der Problemstellungen im Aufsichtsrat muss daher eine klar erkennbare Struktur in der Unternehmensplanung sein.

Was für den Erfolg unerlässlich ist.

In der Praxis haben wir schon häufig erlebt, dass Unternehmen zu spät ihre Ausrichtung geändert haben und daran zerbrochen sind: nehmen wir als Beispiel Versandhändler mit Katalogen, die den Sprung ins Onlinegeschäft meistern mussten – oder scheiterten. Oder Industrieunternehmen, die zu früh (oder zu spät) in Schwellenländer expandierten und Millionen verbrannten. Es ist klar – und auch nicht anders zu erwarten -, dass die erfahrenen Rechts- und Finanzexperten diese Vertriebs- und Marketingaufgaben nicht allumfassend meistern können und deshalb kompetente Unterstützung benötigen.

Aufgrund der hohen Investitionen wäre es eine Überlegung wert, dass im Aufsichtsrat eine enge Zusammenarbeit, mit beispielsweise den Finanzexperten, ernst genommen und gefördert wird. Dies gelingt in der Praxis durch die Eingliederung eines Vertrieb- und Marketingexperten in das Kontrollorgan, das zusätzlich dem operativen Vorstand und den Gesellschaftern mehr Sicherheit bietet.

Altersunterschiede innerhalb des Gremiums können zusätzlich von Vorteil sein, da so eine generationenübergreifende Einschätzung vorhanden ist. Für eine strategische Prüfung kann es durchaus sinnvoll sein, dass man auch jüngere Meinungen einholt, um beispielweise frühzeitig die richtigen zukunftsweisenden Wege zu gehen; die sonst durch Unsicherheit nach hinten verschoben werden.

Der Marketingexperte kann im Gegensatz zu anderen Mitgliedern des Rats seine Ausführungen weniger nur auf Fakten stützen, er muss auch viele weiche Faktoren in Bezug auf die Markt- und Markenentwicklung berücksichtigen. Investitionen und die Platzierung von Produktneuheiten auf dem Markt stellen nur zwei von vielen möglichen Risiken dar, die der Experte überschauen muss – deshalb übernimmt er eine wichtige Rolle im Risikomanagement.

Die Besetzung eines Fachaufsichtsrats habe ich nun stark propagiert, es darf dennoch nicht vergessen werden, dass er kein Vorstandsmitglied ist. Das Pendant im Vorstand trifft Entscheidungen, die der Aufsichtsrat zu hinterfragen und überwachen hat. Erst konstruktive Zusammenarbeit der beiden Organe führt zum Erfolg.

Über Dominic Multerer

Dominic Multerer, Jahrgang 1991, ist einer der wichtigsten Impulsgeber für den deutschen Mittelstand. Er ist Marketing- und Vertriebsprofi, Hochschuldozent und Redner auf Kongressen. Ferner ist er Autor von Büchern und Verfasser zahlreicher Fachbeiträge – die bis nach China reichen. Das Handelsblatt kürte ihn mit 16 Jahren zu Deutschlands jüngstem Marketingchef. Seit vier Jahren ist er im Beirat eines mittelständischen Unternehmens im Bereich der Unterhaltungselektronik. Dominic Multerer machte branchenübergreifend als Interimsmanager oder Mitglied der Geschäftsführung mehrere Mittelständler zum wahrgenommenen Marktführer und unterstützt Konzerne in Marketing-, Vertriebs- und Digitalisierungsfragen. Zu seinen Referenzen zählen: Dürkop, MPS Public Solutions, Gabal Verlag, Deutsche Bahn, Evonik, Stahlwille, BP, Goodyear und mehr. Sie erreichen den Autor unter www.dominic-multerer.de.

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