Wie Sie als Chef das Ruder in der Hand behalten

Wie Sie als Chef das Ruder in der Hand behalten

Last Updated on 2017-05-23

Annette Alsleben, Gastbeitrag in Handelsblatt 01.05.2017

Im Management der Zukunft werden universellere, vielseitigere Kompetenzen gefragt sein.

Utopische Ziele, extreme Taktung, maximale Unsicherheit und wegfallende Hierarchien bestimmen vielerorts die Agenda. Gleichzeitig gilt es, die Mitarbeiter nicht zu verlieren, sondern einzubinden. „Wirklich wirksam wird Management erst durch die richtige Balance von Sache und Mensch”, sagt die Managementberaterin Annette Alsleben, die für unser Businessnetzwerk Leader.In diesen Gastbeitrag geschrieben hat. Einen Beitrag für Managerinnen und Manager bis in die oberste Unternehmensebene, die in der digitalen Welt Herausragendes bewirken wollen.

Durch zahlreiche Forschungsergebnisse bestätigt, werden im Management der Zukunft mehr universelle Kompetenzen gefragt sein – ein Mix an Skills im Bereich künstlicher und menschlicher Intelligenz. Auch der Universalgelehrte Leonardo da Vinci (1452–1519) war seinerzeit als Maler, Erfinder, Bildhauer, Architekt, Philosoph und Ingenieur sehr vielseitig. Er hat durch diese universellen Kompetenzen Herausragendes bewirkt.

Nun liegt sein Wirken schon einige Jahrhunderte zurück. Doch schon zu seiner Zeit galt er zu Recht als „der Erfinder der Zukunft“. Natürlich ist es utopisch zu erwarten, dass diese Breite an Kompetenzen sich in einzelnen Manager-Persönlichkeiten bündelt. Niemand hat den Anspruch, dass ein Manager ein „Universalgelehrter” sein sollte. Ganz im Gegenteil: Das Bündeln der geforderten Kompetenzen in einer Person ist in der digitalen Welt schlicht kontraproduktiv und nicht leistbar.

Stattdessen geht es vielmehr darum, loszulassen und den Anspruch aufzugeben, Aufgaben allein innerhalb von Ressorts steuern zu können. Es geht darum, in eine Haltung der Offenheit gegenüber seinem Umfeld zu kommen und deren komplementäre Kompetenzen bei der Lösung von Herausforderungen geschickt einzubinden.

Warum braucht es dieses Tun? Und vor allem wie kann man die steigende Komplexität der digitalen Welt generell besser in den Griff bekommen?

Der deutsche Management-Alltag ist von einer überbordenden Informationsflut geprägt. Dies bestätigte kürzlich eine Befragung von Führungskräften bis zum Vorstand bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Die Informations- und Aufgabenflut überfordert die Betroffenen sogar so stark, dass jede zweite Führungskraft deswegen an einen Stellenwechsel oder sogar Ausstieg dächte, wäre da nicht das zu hohe Risiko finanzieller Einbußen.

Was gute Führung ausmacht

  • Flexibilität und Diversität
    Laut einer Umfrage der „Initiative Neue Qualität der Arbeit” unter 400 Führungskräften sind Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren. Das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen, mit individueller Zeiteinteilung und in wechselnden Teamkonstellationen ist aus Sicht der meisten Führungskräfte bereits auf einem guten Weg. Die Idee der Förderung von Unterschiedlichkeit ist demnach in den Unternehmen angekommen und wird umgesetzt. Die Beiträge zur Führungskultur gerade aus weiblichen Erfahrungswelten werden äußerst positiv bewertet.
  • Prozesskompetenz
    Prozesskompetenz ist für alle das aktuell wichtigste Entwicklungsziel. 100 Prozent der interviewten Führungskräfte halten die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung ergebnisoffener Prozesse für eine Schlüsselkompetenz. Angesichts instabiler Marktdynamik, abnehmender Vorhersagbarkeit und überraschender Hypes erscheint ein schrittweises Vortasten erfolgversprechender als die Ausrichtung des Handelns an Planungen, deren Verfallsdatum ungewiss ist.
  • Netzwerke
    Selbst organisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell. Die meisten Führungskräfte sind sich sicher, dass die Organisation in Netzwerkstrukturen am besten geeignet ist, um die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu bewältigen. Mit der kollektiven Intelligenz selbst organisierender Netzwerke verbinden diese Führungskräfte die Hoffnung auf mehr kreative Impulse, höhere Innovationskraft, Beschleunigung der Prozesse und Verringerung von Komplexität.
  • Ende der Hierarchie
    Hierarchisch steuerndem Management wird mehrheitlich eine Absage erteilt. Die meisten Führungskräfte stimmen darin überein, dass Steuerung und Regelung angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt nicht mehr angemessen sind. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Managementwerkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Überwiegend wird die klassische Linienhierarchie klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von „guter Führung“ stilisiert.
  • Kooperationsfähigkeit
    Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung. Über die Hälfte der interviewten Führungskräfte geht davon aus, dass traditionelle Wettbewerbsstrategien die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben und das Prinzip Kooperation weiter an Bedeutung gewinnt. Nur noch 29 Prozent der Führungskräfte präferieren ein effizienzorientiertes und auf die Maximierung von Profiten ausgerichtetes Management als ihr persönliches Idealmodell von Führung.
  • Persönliches Coaching
    Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung. Mit dem Übergang zur Netzwerkorganisation schwindet der selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen. Die Durchsetzung eigener Vorstellungen über Anweisung wird immer schwieriger oder ist gar nicht mehr möglich. Mächtig ist nur, was auf Resonanz trifft. Einfühlungsvermögen und Einsichtsfähigkeit werden dadurch immer wichtiger. Alle Akteure, ob nun Führungskraft oder geführte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, brauchen im Unternehmen mehr Reflexion und intensive Entwicklungsbegleitung.
  • Selbstbestimmung und Wertschätzung
    Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt. Die Führungskräfte gehen davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt. Persönliches Engagement wird mehr mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie wird wichtiger als Statussymbole und der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimmt den Grad der Einsatzbereitschaft.
  • Soziale Verantwortung
    Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit. In der intuitiven Schwerpunktsetzung der Führungskräfte nimmt die Stakeholder-Perspektive des Ausgleichs der Ansprüche und Interessen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einen wachsenden Raum ein. Über 15 Prozent aller frei genannten Beschreibungen im Führungskontext beschäftigen sich mit Fragen der gesellschaftlichen Solidarität und der sozialen Verantwortung von Unternehmen.

Ursache für diese Überlastung ist laut der Studie nicht nur die Digitalisierung. Hinzu kommen Themen wie Globalisierung, Verdichtung von Aufgaben auf weniger Mitarbeiter und gestiegene Anforderungen an IT-Anwendungen – willkommen in der Welt der künstlichen Intelligenz. Statt offen darüber zu sprechen, geben gestandene Manager dies nur im Vertrauen zu.

Allerdings gestehen auch verständnisvolle Topmanager auf Führungskräfteveranstaltungen öffentlich ein, dass von der Mannschaft extrem viel verlangt wird, der Leistungsanspruch überbordend ist und die Leute gefordert sind, auf sich aufzupassen. Wenn das so einfach wäre! Ist man erst einmal im „Hamsterrad” drinnen, bleibt einem nur eine überschaubare Anzahl an Möglichkeiten, das System zu ändern. Da braucht es schon ein bisschen mehr, Übergreifendes.

Eines der Zauber-Instrumente, das auch im digitalen Wandel immer häufiger gefordert ist, heißt: Vernetzung! Dabei geht es nicht nur um die vernetzte künstliche Intelligenz, die oft bei Zukunftsthemen im Vordergrund steht. Diese ist wertvolle Basis und Unterstützer, aber nicht der Treiber der menschlichen Zukunft. Selbst führende Manager von Microsoft betonen aktuell, dass auch in Zukunft die Technologie ohne die Menschen nicht funktionieren wird.

Erst vernetzte menschliche Intelligenz ist der Boden, auf dem man in Zeiten maximaler Unsicherheit und dauernder Erosion sicher steht. Es bewährt sich einfach: Die richtigen Leute zu kennen und sie beim Umschiffen gefährlicher Klippen im Boot zu haben, hat schon so manches Projekt erfolgreich zum Ziel geführt. Auch ist es entscheidend, stets die richtigen fachlichen Informationen zu haben. Hier gilt es, wie ein Seismograf laufend aktuelle Entwicklungen zu spüren, aufzunehmen.

Seien Sie hierzu gut vernetzt. Haben Sie die für Ihre Ziele wichtigen Leute auf Ihrer Seite. Beobachten Sie scharf Ihre Umwelt. Seien Sie insbesondere auch aufmerksam für die Unruhe unter der Oberfläche. Denn dort lauert so manche große Tretmine. Führen Sie Gespräche mit den richtigen Leuten. Sondieren Sie die News und werten Sie aktuelle Infostände aus. Gibt es neue Entscheidungsstände? Gibt es Widersacher, die sich gegen gefasste Beschlüsse auflehnen und Ihre gewünschte Zielerreichung torpedieren? Finden Sie heraus: Was treibt diese Widersacher an? Was sind deren Motive? Können Sie sich diese Motive zunutze machen und die passenden Gegenargumente ins Feld führen?

Anzeichen dafür, dass Sie ihre Rolle als Chef hinterfragen sollten (Quelle: „Als unser Kunde tot umfiel …“, Timo Hinrichsen und Boris Palluch, Wien 2012)

  • Kein Steuermann
    Bei Meetings haben Sie immer öfter das Gefühl, als wären Sie Beobachter und nicht der Steuermann.
  • Ohne Power
    Sie fühlen sich häufig ausgepowert und überfordert.
  • Schlecht delegiert
    Wenn Sie Aufgaben delegiert haben, gibt es haufenweise Rückfragen und das Ergebnis verfehlt das Thema.
  • Warum ich?
    Sie denken häufiger insgeheim: „Wieso muss ich das eigentlich machen, meine Leute können das genauso gut?“
  • Mitarbeiter schwächeln
    Ihre Mitarbeiter denken nicht mit, zeigen Unsicherheit bei den einfachsten Aufgaben und fragen ständig um Rat, wenn sie Entscheidungen treffen sollen. Bedenklich ist auch, wenn Mitarbeiter Ihnen zustimmen, die Aufgabe aber ganz anders als gewünscht erledigen.

Mit der richtigen Argumentationsstrategie und einem durchdachten Vorgehen kann man so manchem Gegner den Wind aus den Segeln nehmen. Und wenn es gut läuft, ihn sogar ins Boot holen. Eins der zentralen Steuerungsinstrumente, um in der digitalen Welt die steigende Unsicherheit in den Griff zu kriegen und gleichzeitig sicher durch die undurchschaubare Komplexität zu navigieren. Das ist ja schließlich auch die Erwartung der Mitarbeiter an das Management: Das Vorleben von Sicherheit in der Unsicherheit ist gefordert. Mitarbeiter wollen, dass Führungskräfte „echt” sind und sie ihnen vertrauensvoll folgen können.

Außerdem geht es darum, nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch Partner innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu gewinnen. Und somit den Anforderungen an die eigene Management-Rolle elegant gerecht zu werden. Nicht dadurch, dass man alles selber liefert, sondern dadurch, dass man die Kompetenzen aus seinem Umfeld geschickt bündelt und für sich nutzt. Denn nur so werden zukünftig Antworten geliefert, die Einzelnen oder einigen wenigen allein nicht in den Sinn gekommen wären.

Meines Erachtens ist dies für Manager selbstverständlich leistbar und zwar unter Beibehaltung der vollen Souveränität und ohne sein Gesicht zu verlieren. Die Kunst dabei ist, aus der Fülle der unterstützenden Stellhebel jeweils den zu betätigen, der die gewünschte Wirkung erzielt. Dies setzt voraus, dass Sie stets einen guten Überblick über die jeweils aktuelle Situation und Ihr Umfeld haben: sowohl beim Aufgaben-Management als auch in der Mitarbeiterführung und insbesondere der Selbststeuerung, denn Sie sind Ihre wichtigste Ressource.

So können Sie auf dieser Basis die richtigen nächsten Schritte einleiten. Denn gerade in Zeiten steigender Komplexität, wo uns alles über den Kopf zu wachsen droht, kommt es besonders darauf an, richtig zu filtern. Stets braucht es dazu seismografische Aufmerksamkeit. Was sind die absoluten Prioritäten? Was ist das wirklich Wichtigste? Was ist am dringlichsten zu tun? Womit wird am meisten Wirkung erzielt?

Die Kunst liegt darin, einen regelmäßigen Soll-Ist-Abgleich zu vollziehen. Hierzu ist es hilfreich, dass Sie immer wieder Abstand zu Ihrem Arbeitsumfeld gewinnen, sich selbst immer wieder herausnehmen, um aus der Distanz heraus die richtigen Signale zu erkennen. Nicht nur deshalb werden in immer mehr Unternehmen Schulungen in Achtsamkeit angeboten. Denn die Wahrnehmung des Jetzt und Hier, das Sich-Versetzen in einen Zustand, in dem man im aktuellen Augenblick lebt, vermittelt die höchstmögliche Sicherheit. Dies mag für so manchen faktenorientierten Manager noch befremdlich klingen, doch schon lange gelten diese Praktiken in höchsten Managerkreisen nicht mehr als Esoterik, sondern sind selbstverständlich gelebtes Tun. Mit der Wirkung, dass Gelassenheit, Stärke, Kraft und der Blick für das Wesentliche geschult werden. Nicht nur für die eigene Gesundheit – auch das Umfeld profitiert davon.

Damit wir als Mensch die Digitalisierung gestalten können, muss der Mensch im engen Zusammenspiel mit der Digitalisierung von Dingen stehen. Sonst erleben wir als Mensch eine zunehmende Verunsicherung, eine beängstigende Zukunft (Protektionismus, Brexit und der drohende Zerfall von Europa lassen grüßen).

Wir brauchen das Gefühl der Sicherheit, das Gefühl, Herr über die technischen Entwicklungen und den Fortschritt zu sein, damit die Welle der Digitalisierung nicht „über uns hinwegschwappt”. Damit wir als Mensch das Gefühl haben, weiter das Heft in der Hand zu halten und es uns nicht von der zukünftigen künstlichen Intelligenz oder Robotern abgenommen wird.

Um dies zu erreichen, braucht es das richtige Tempo und vor allem die Einbindung der Menschen als Beteiligte – von der obersten Unternehmensspitze bis in die Niederungen der „Maschinenräume” Es braucht die Vielseitigkeit an Kompetenzen, den richtigen Mix an Skills, damit dies in der Digitalen Welt gelingt. Die geschickte Verzahnung von Hard- und Soft Skills, von künstlicher und menschlicher Intelligenz – eben das „DA VINCI Management”.

Über die Autorin

Annette Alsleben (www.annette-alsleben.de/) ist Rednerin, Managementberaterin (u.a. BMW, Lidl) und Ökonomin und hat sich spezialisiert auf das Thema Wertewandel im Management im digitalen Zeitalter. Alsleben hat über 20 Jahre Praxis als Managerin auf Top-Management-Ebene in namhaften Konzernen. In den letzten Jahren steuerte sie diverse unternehmensweite Großprojekte. Gerade ist ihr neues Buch „Da Vinci Management – Herausragend Handeln in der Digitalen Welt” im Verlag Orell Füssli erschienen (ISBN: 978-3-280-05641-7).