10 Sep „Wir gewöhnen den Menschen das Denken ab“
Last Updated on 2018-09-10
Ex-Politikerin Heide Schmidt über unehrliche Politiker, die Eigenverantwortung der Bürger und (über)mächtige Konzerne.
„Widerspruch“: Dieses gesellschaftliche Phänomen war zentrales Thema bei den 19. Sommergesprächen der Crowe SOT Gruppe. Zu dieser Veranstaltung, die am 24. August 2018 stattfand, waren 130 Teilnehmern aus ganz Österreich ins „Casineum am See“ des Casinos Velden gekommen. Unter der Diskussionsleitung von Dr. Anton Schmidl von Crowe SOT befassten sich zunächst der Ökonom Jakob Kapeller, der Militärphilosoph Paul Ertl und Peter Gowin, der Leiter des Global Development Research Institute, mit dem philosophisch angehauchten Thema „Widerspruch“. Highlight der Veranstaltung war eine Diskussion zwischen der Ex-Politikerin Dr. Heide Schmidt und Dr. Horst Peter Groß vom Klagenfurter Universitäts.club über „Politik und notwendigen Widerspruch“.
Heide Schmidt, die zuerst in der FPÖ und dann im von ihr gegründeten Liberalen Forum (LIF) in führenden Funktionen tätig war, glaubt, dass die BürgerInnen den größten Widerspruch in der Politik darin sehen, dass Politiker zwar vor den Wahlen vieles versprechen, das aber danach nicht umsetzen. Das führe dazu, dass die Menschen nichts mehr glaubten und politikverdrossen würden. „Tatsächlich ist das aber meist dem in der Demokratie notwendigen Kompromiss geschuldet, was aber viel zu wenig kommuniziert wird.“ Das daraus resultierende Unverständnis der BürgerInnen sei demokratiegefährdend. Sie wenden sich dann entweder populistischen und rechten Parteien zu – oder gehen gar nicht mehr wählen. „Das tut dem Zustand der Demokratie nicht gut“, meint Schmidt.
Widersprüchlich ist für sie auch die österreichische Sozialpartnerschaft. Diese erspare uns zwar Streiks, da aber der – sehr wohl vorhandene – Interessenskonflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht öffentlich ausgetragen werde, habe sich bisher keine Streitkultur entwickeln können. Generell falle es den Österreichern schwer, mit Widersprüchen umzugehen, es werde hierzulande nicht offen kommuniziert.
Die heutige Medienwelt und die diversen Kommunikationskanäle würden den Menschen das Denken abgewöhnen, glaubt die Ex-Politikerin: „Denken muss man trainieren und wenn man es nicht gelernt hat, dann kann man es nicht anwenden.“ Die heimische Medienlandschaft verzerre durch die Art ihrer Kommunikation die Wirklichkeit. Auch würden Politiker den Menschen zu oft „ein X für ein U vormachen“. Sowohl das Ansehen der Politiker als auch das der Demokratie haben in letzter Zeit kräftig gelitten, meint Schmidt, was aber vielfältige Ursachen habe.
Die Bürger sollten nicht nur ihr Kreuz am Wahlzettel machen, sondern sich auch selbst informieren – und zwar aus verschiedenen Quellen! – um eine bewusste Entscheidung treffen zu können. Sich die Zeit dazu zu nehmen, sei den Menschen möglich und auch zumutbar. Als positives Beispiel nennt Schmidt die Schweiz mit ihrem System der direkten Demokratie. Sie glaubt, dass die Schweizer BürgerInnen es seit Jahrzehnten gewohnt seien, sich intensiv über politische Themen zu informieren. Und nur auf einer solchen Grundlage könne dieses System funktionieren.
Vom Mehrheitswahlrecht hält Schmidt nichts. Die Bürger könnten aber eine zweite Stimme haben, damit sie zusätzlich zur Partei A auch einen Kandidaten der Partei B wählen können: „Es wäre wichtig, über die Parteigrenzen hinaus zu sehen.“ Damit könnte man einzelnen Personen den Rücken stärken.
Sehr viel Wert legt die Ex-Politikerin, die selbst Juristin ist, auf den Rechtsstaat, Recht müsse Recht bleiben. In einer Demokratie könne es natürlich auch geändert werden. „Aber wir müssen aufpassen, was mit welchen Maßstäben geändert wird.“ Schmidt sieht etwa derzeit eine „situationselastische“ Definition der Menschrechte, was sie für inakzeptabel hält. „Wir haben die Definition so gewählt, wie es unseren ethischen Grundsätzen entsprach. Wenn wir jetzt mit den Definitionen nicht mehr zurechtkommen, müssen wir uns fragen, wie wir es mit unserer Ethik halten. Ob wir sie nur dann hochhalten, wenn wir sie nicht beweisen müssen.“
Die Opposition spielt nach Auffassung von Schmidt in der Demokratie eine wichtige Rolle. Das Liberale Forum (LIF) sei eine anerkannte Oppositionspartei gewesen, es gab eine Zeit, da man es für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Parlament gebraucht hat. Durch den Widerspruch des LIF seien z.B. bei Rasterfahndung und Lauschangriff Änderungen bei Gesetzen erreicht worden.
Dass die Politik der Macht von großen internationalen Konzernen ausgeliefert und deshalb die Demokratie bedroht sei, glaubt Schmidt zwar nicht, aber die Machtverhältnisse hätten sich durchaus verschoben, vor allem durch die Globalisierung. Die Politiker müssten sich wieder mehr „Handlungsspielraum“ gegenüber der Wirtschaft verschaffen und die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Als Liberale sei ihr die Deregulierung der Wirtschaft immer ein Anliegen gewesen, „aber es ist das Falsche dereguliert und geöffnet worden.“
Autorin: Dr. Brigitta Schwarzer
vlnr – Mag. Andreas Maier, Dr. Heide Schmidt, Mag. Dr. Horst Peter Groß, Dr. Anton Schmidl