Arbeit und Pension kombinieren

Arbeit und Pension kombinieren

Last Updated on 2020-01-20
Dr. David F. J. Campbell, PD

Der Politikwissenschaftler David Campbell empfiehlt statt eines fixen Pensionsantrittsalters einen schrittweisen Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand. Vom „cross retirement“ würden die Betroffen selbst, aber auch die Gesellschaft deutlich profitieren.

Ältere Arbeitnehmer sollten selbst entscheiden können, wann, wie und wieviel sie arbeiten. Denn dann steigt die Chance, dass Arbeiten sich positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirkt. Davon ist der Politikwissenschaftler David F. J. Campbell überzeugt und plädiert deswegen für „cross retirement“, also einen gleitenden Übergang in die Pension. Gemeinsam mit dem Psychotherapeuten Gerhard Blasche hat Campbell, der unter anderem an der Universität Wien, der Universität für Angewandte Kunst und der Donau-Universität in Krems lehrt und forscht, schon 2013 eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Cross-Retirement and Innovation“ verfasst. Als „cross retirement“ wird bezeichnet, dass eine Person bereits eine Pension bezieht, aber gleichzeitig noch erwerbstätig ist (beispielsweise in Teilzeit). Das soll somit ermöglichen, dass „Knowledge Workers“ auch in einem fortgeschrittenen Alter ihre Expertise und Kompetenzen einbringen können.

Mit oder ohne Sozialtransferleistungen

Gründe für die Reduktion der täglichen oder wöchentlichen Arbeitsstunden im Rahmen des cross retirement können beispielsweise gesundheitliche Probleme oder der Wunsch nach mehr Freizeit bzw. längeren Erholungsphasen sein. Durch schrittweisen Übergang in die Pension haben, so Campbell, ältere Personen die Möglichkeit, länger auf dem Arbeitsmarkt verbleiben. Die Einkommensverluste durch die Reduktion der Arbeitszeit können unter Umständen durch Sozialtransferleistungen ausgeglichen werden. Campbell sieht cross retirement als eine zusätzliche Lebensphase ohne festgelegtes Ende, in der das Verhältnis von Arbeit und Freizeit selbstbestimmt und flexibel an die Bedürfnisse des Einzelnen angepasst werden kann. „Ältere Menschen können auf diese Weise weiterhin einen Beitrag zur Gesellschaft leisten“, meint auch Blasche.

Die demografische Entwicklung macht die Finanzierung des Pensionssystems immer schwieriger. Um den Staatszuschuss zu den Pensionen nicht stetig steigen zu lassen, könnte man das Pensionsantrittsalters erhöhen, von der arbeitenden Generation höhere Pensionsbeiträge kassieren oder die Pensionen entsprechend kürzen. Keine dieser Varianten wäre populär, sie sind vielmehr politisch kaum oder gar nicht durchsetzbar. Cross retirement bietet einen Ausweg aus diesem Dilemma und sollte deshalb in der politischen Debatte verstärkt Platz finden, betont Campbell.

Lebenserwartung steigt

Statistiken zeigen, dass in den industrialisierten Ländern die Lebenserwartung in den vergangenen 150 Jahren pro Jahrzehnt um etwa zweieinhalb Jahre angestiegen ist. Und bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich dieser Trend in naher Zukunft ändern wird. „Die Menschen leben also immer länger, dennoch sank die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen in den vergangenen Jahrzehnten stetig“, so Campbell.

Seit einiger Zeit wird in einigen europäischen Ländern versucht, diese Entwicklung durch verschiedene Maßnahmen umzudrehen. In Österreich wird beispielsweise die medizinische Rehabilitation forciert, um Pensionierungen wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden. Die EU hat vor einiger Zeit vorgeschlagen, das Pensionsalter in den kommenden Jahrzehnten wegen der gestiegenen Lebenserwartung auf 70 Jahre anzuheben.

Wann Arbeit krank macht

Arbeit dient nicht nur der Erzielung von Einkommen, sondern ist auch für das Wohlergehen und die Gesundheit der Menschen wichtig, meint Campbell. Bester Beweis dafür: Arbeitslosigkeit hat gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen, auch wenn diese durch Sozialleistungen materiell abgesichert sind. Dass Arbeitslosigkeit krank macht erkannte Maria Jahoda, die Pionierin der Arbeitslosenforschung, schon in der Zwischenkriegszeit. Blasche erläutert die positiven Auswirkungen der Arbeit auf Gesundheit und Wohlbefinden: Sie gibt den Menschen eine Zeitstruktur, fördert soziale Kontakte, ist sinn- und identitätsstiftend und vermittelt einen gesellschaftlich relevanten Status. Ähnlich positiv wirkt sich eine ehrenamtliche Tätigkeit aus. Negativ sind hingegen eine hohe Arbeitsbelastung, geringe Arbeitskontrolle, Unsicherheit am Arbeitsplatz und ungerechte Bezahlung. Liegen diese Belastungsfaktoren vor, kann es besser sein, nicht zu arbeiten.

Mit zunehmendem Alter nehmen einige körperliche und kognitive Fähigkeiten schrittweise ab. Bei den meisten Jobs wird das durch Erfahrung und die daraus resultierende höhere Effizienz mehr als ausgeglichen. Anders ist das etwa bei ungelernter manueller Arbeit, in manchen IT-Jobs oder bei allgemein hohen Arbeitsanforderungen. Hier stehen die körperlichen bzw. kognitiven Fähigkeiten im Vordergrund, Erfahrung bringt bei diesen Jobs kaum Vorteile.

Ältere Arbeitnehmer haben oft chronische Krankheiten, sie ermüden schneller und erholen sich langsamer. Auch das kann durch flexible Arbeitsregelungen – darunter auch cross retirement – ausgeglichen werden.

Der Ruhestand hat diverse positive Auswirkungen: man hat mehr Freizeit, leidet nicht mehr unter ungünstigen Arbeitsbedingungen und ist finanziell abgesichert. Auf die geistige Gesundheit und das Wohlbefinden wirkt sich der Ruhestand günstig aus, nicht jedoch auf die körperliche Gesundheit, betont Blasche.

Selbstbestimmung wichtig

Wer eine Situation nicht selbst kontrollieren und steuern kann, leidet unter Stress. Belastend sind vor allem Jobs, bei denen der Mitarbeiter nicht entscheiden kann, wie er eine Aufgabe angeht, wie er ein Problem löst, welche Tools er einsetzt, wann er eine Pause macht, wann er mit der Arbeit beginnt bzw. aufhört, wann er Urlaub macht usw. Umgekehrt zeigen aktuelle Untersuchungen, dass flexible Arbeitsbedingungen, die dem Arbeitnehmer Kontrolle und Wahlmöglichkeiten bieten, sich positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirken.

Campbell verweist darauf, dass die Vorteile des cross retirement-Konzepts bisher in der öffentlichen Debatte zu kurz gekommen sind. Vor allem könnte man damit die Innovationsfähigkeit älterer Menschen und ihre Beiträge zur Wissensgesellschaft weiterhin nutzen. Organisationen, auch solche in der Wirtschaft, könnten davon profitieren.

Cross retirement sollte auch dazu führen, dass statt eines starren Pensionsalters neue innovative Entwicklungen Platz greifen. Es wird sicher nicht alle Probleme im Zusammenhang mit dem Altern lösen, die daraus resultierenden Potentiale und Chancen sollten allerdings in die politische Debatte einfließen, meint Campbell. Nötig wäre dazu freilich auch eine zumindest teilweise Neugestaltung von Gesellschaft und Wirtschaft. „Es gibt eindeutig einen Bedarf, zum Thema cross retirement mehr Forschung und mehr Analysen durchzuführen“, so Campbell.

Literaturhinweis: Gerhard W. E. Blasche / David F. J. Campbell (2013). Cross-Retirement (Cross-Employed Cross-Retired) and Innovation, 508-513, in: Elias G. Carayannis (Editor-in-Chief) / Igor N. Dubina, Norbert Seel, David F. J. Campbell, Dimitri Uzunidis (Associate Editors): Encyclopedia of Creativity, Invention, Innovation and Entrepreneurship. New York, NY: Springer (http://link.springer.com/referenceworkentry/10.1007/978-1-4614-3858-8_255).

Affiliation David F. J. Campbell: Er ist Privatdozent an der Universität Wien, Qualitätsexperte an der Universität für angewandte Kunst Wien, sowie Hochschulforscher an der Donau-Universität Krems. Seine Publikationen sind auf Google Scholar dokumentiert (https://scholar.google.at/citations?user=GSNvicMAAAAJ&hl=en&oi=ao). Er kann erreicht werden unter: david.campbell@univie.ac.at und dfjcampbell@gmail.com


@Photo Schuster