Auch Aufsichtsräte in der Klimakrise gefordert

Auch Aufsichtsräte in der Klimakrise gefordert

Last Updated on 2023-06-12
Das Thema ESG ist endgültig in den Unternehmen angekommen. Bei einem virtuellen Netzwerk-Event diskutierte deshalb am 24. April 2023 eine engagierte Damenrunde über „Climate Governance – Rolle und Verantwortung des Aufsichtsrates“

Dr. Christine Domforth

Organisiert wurde die Zoom-Veranstaltung gemeinsam von International Female Board Pool und INARA. Mit dabei waren insgesamt 28 Damen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Luxemburg sowie sechs Expertinnen. Rita Knott stellte zunächst kurz die Female Board Pool Initiative vor. Sie wurde 2004 in der Schweiz von Prof. Dr. Martin Hilb, Präsident der Board Foundation und der Swiss Board School/IMP Universität St. Gallen, gegründet und ist heute in sechs EU-Staaten sowie der Schweiz erfolgreich tätig. Knott, die selbst lange in Führungsfunktionen im Finanzsektor tätig war, leitet heute die Female Board Pool Initiativen in den BeNeLux Ländern, Dänemark, Deutschland und Österreich. „Unser Ziel ist es, den Prozess der Geschlechter Diversität zu beschleunigen,“ erklärte sie. Das geschieht einerseits durch kompakte Seminare, in denen Damen mit entsprechender Fachkompetenz und operativer Führungserfahrung eine fundierte Einführung in die Welt der Aufsichtsräte. Verwaltungsräte und Beiräte bekommen, andererseits auf Wunsch durch die Aufnahme in einen länderbezogenen Kandidatinnen Pool.

INARA-Geschäftsführerin Brigitta Schwarzer betonte einleitend, dass durch den Begriff Climate Governance das „E“ in ESG auf die Ebene der Unternehmensführung gehoben werde. Dafür braucht es künftig auch in Aufsichtsräten mehr ExpertInnen und da sieht Schwarzer gute Chancen für Frauen. Sie betonte, dass es bei der Nachhaltigkeit nicht um „Gutmenschentum“ gehe, sondern diese mit der Wirtschaftlichkeit in Balance sein müsse.

„Wir bräuchten 3,5 Planeten“

Der Impulsvortrag zur Einführung in das komplexe Thema kam von Gudrun Timm. Sie ist Partnerin bei Carpe Diem Consulting, Deutschland und Großbritannien, hat weltweit an Klimaprojekten gearbeitet und berät seit einigen Jahren große und mittelständische internationale Unternehmen in Sustainable Corporate Governance. In ihrer Einleitung betonte sie, dass laut dem Weltrisikobericht des Weltwirtschaftsforums Umwelt- und Klimarisken sowie Naturkatastrophen immer bedrohlicher für die Geschäftstätigkeit werden. Die Menschheit beute die Ressourcen der Erde viel zu stark aus. „Wir bräuchten 3,5 Planeten, haben aber nur den einen,“ brachte es Timm auf den Punkt. Sie verwies auf die Climate Governance Initiative des Weltwirtschaftsforums, die Aufsichtsräten zahlreiche Handreichungen zur Verfügung stellt, um ihrer Verantwortung bei der Bewältigung der Klimakrise gerecht zu werden. Nachhaltigkeit sei kein Spezialthema, sondern müsse in die Geschäftsstrategie integriert werden, so Timm.

In Kleingruppen befassten sich die Damen dann mit zwei praktischen Fällen, die Timm ausgearbeitet hatte. Geleitet wurden die Gruppen, in denen jeweils eine Aufsichtsratssitzung simuliert wurde, von sechs Expertinnen: Neben Gudrun Timm waren dies Susanne Formanek, CEO/Co-Founder@GRÜNSTATTGRAU, Heidrun Kopp, Sustainable Finance Expertin, Carmencita Nader, Leiterin Social Banking bei Erste Bank und Sparkasse, Roswitha M. Reisinger, Herausgeberin BUSINESSART, sowie Brunhilde Schram, Unternehmerin und CEO ECCOStandards & more KG.

Spannende Fallstudien

Fall eins war ein Anlagenbauer, der im Bereich Automobilindustrie tätig ist. Der Vorstand plant, die Klimaneutralität des Unternehmens von 2045 auf 2040 vorzuziehen. Dafür müsste allerdings kräftig in die Umrüstung investiert werden, das F&E-Budget wäre aufzustocken und hohe Kompensationszahlungen einzuplanen. Wegen der verdoppelten Kostenbelastung sinkt die Rentabilität, für acht Jahre müsste deshalb die Dividendenzahlung ausgesetzt werden. Gefragt war hier die Zustimmung des Aufsichtsrates zum Investitionsbudget.

Bei Fall zwei ging es um einen deutschen Hersteller von Heiz- und Kühlsystemen. Weil reine Öl- und Gasheizungen ab 2024 nicht mehr eingebaut werden dürfen, sieht sich das Unternehmen aktuell mit einer riesigen Nachfrage konfrontiert. Viele Kunden wollen noch schnell einen neuen Öl- bzw. Gaskessel. Der Vorstand will diesen Boom nutzen, die Produktion fossiler Kessel verdoppeln und auf einen Drei-Schicht-Betrieb umstellen. Sogar Angestellte sollen in der Produktion aushelfen. Gleichzeitig soll das F&E-Budget verdoppelt werden, um die hauseigenen Wärmepumpen weiterzuentwickeln. Bei diesem Fall sollte der Vorstand beurteilt werden.

Die Gruppen, die ihre Ergebnisse im Plenum präsentierten, waren in beiden Fällen skeptisch, eine glatte Zustimmung zu den Plänen der Vorstände gab es nicht. Bei Fall eins wurde vor allem das Fehlen einer Gesamtstrategie und umfassender Daten und Unterlagen dazu bemängelt. Man sieht den Plan als zu risikoreich an, der mehrjährige Verzicht auf eine Dividendenzahlung wird abgelehnt. Eine Gruppe sah die Sache etwas positiver. Das Vorziehen der Klimaneutralität könnte ein wichtiger Wettbewerbsfaktor sein und das Unternehmen als Arbeitgeber für junge Mitarbeiter attraktiv machen.

Beim Heizungsbauer verlangten die Aufsichtsräte vom Vorstand ebenfalls detaillierte Unterlagen und eine schlüssige Gesamtstrategie. Die Doppelstrategie – voll auf die alten Kessel setzen und massiv in F&E investieren – wird kritisch beurteilt. Missgebilligt wurde vor allem, dass man nicht genug Arbeitskräfte dafür habe, die Mitarbeiter durch den Drei-Schicht-Betrieb massiv unter Druck kämen und die Servicequalität deutlich leiden würde.

Einschlägiges Know-how aufbauen

Schwarzer betonte in ihrem Resümee, dass man sich als Aufsichtsrat nicht in operative Angelegenheiten einmischen dürfe. Man sollte Fälle wie die hier durchgespielten stärker in die Gesamtstrategie des Unternehmens einbetten. Es sei klar, dass Know-how im Bereich Nachhaltigkeit in Zukunft noch deutlich wichtiger wird. Das müsse man im Unternehmen aufbauen und zwar im Vorstand, der Ebene darunter sowie im Aufsichtsrat. Auch Berater werde man dazu vermutlich brauchen. „Zumindest in größeren Unternehmen wäre ein zusätzlicher Aufsichtsrat, der im Bereich Climate Governance sein Wissen einbringen kann, ratsam,“ so Schwarzer.

Netzwerken funktioniert auch online gut

Für den perfekten Ablauf der Zoom-Veranstaltung sorgte in bewährter Weise Rita Knott. Sie hatte trotz der relativ großen Teilnehmerinnenzahl und der Gruppenarbeit alle(s) gut im Griff. Die Teilnehmerinnen beurteilten die Veranstaltung sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich Organisation äußerst positiv. Nach dem Ende des offiziellen Teils widmeten sich die Damen noch längere Zeit intensiv dem digitalen Netzwerken – zuerst in kleinen Gruppen, dann wieder im Plenum. Offenbar haben wir uns daran gewöhnt, auch in virtuellen Meetings interessante Gespräche zu führen.