Aufsichtsräte jetzt besonders gefordert

Aufsichtsräte jetzt besonders gefordert

Last Updated on 2020-03-30
AUFSICHTSRÄTE JETZT BESONDERS GEFORDERT

 

Die Corona-Krise bedeutet für alle Unternehmen absoluten „Ausnahmezustand“, nichts läuft mehr normal. Worauf Aufsichtsräte jetzt verstärkt achten müssen und wann sie unbedingt eingreifen sollten.

 

Dem Aufsichtsrat einer AG (gleiches gilt auch für GmbHs oder sonstige Organisationen) kommt in einer noch nie dagewesenen Krisensituation, wie wir sie derzeit wegen Corona erleben, eine besondere Verantwortung zu. Im wirtschaftlichen „Normalbetrieb“ gehören neben der Bestellung und Kontrolle des Vorstands die Überwachung der Risikomanagementsysteme und die strategische Begleitung des Unternehmens zu den Hauptaufgaben des Kontrollorgans. Wenn in den Unternehmen allerdings „Ausnahmezustand“ herrscht, wie das jetzt coronabedingt der Fall ist, sind Vorstand und Aufsichtsrat besonders gefordert. Ihre Krisenkompetenz ist gefragt wie nie zuvor.

In der aktuellen Situation ist der Aufsichtsrat daher angehalten, sich vom Vorstand laufend und im Detail über alle COVID-19 Auswirkungen auf die Gesellschaft informieren zu lassen und unbedingt einzugreifen, sollte er den Eindruck haben, dass einzelne Aspekte nicht adäquat berücksichtigt werden.

Ein noch regelmäßigerer Austausch zwischen dem CEO und dem AR-Vorsitzenden, der wie schon bisher telefonisch erfolgen kann, ist gleichfalls ein Gebot der Stunde. Auch die Experten im Unternehmen müssen einbezogen werden. Es ist dabei sicherzustellen, dass der Informationsfluss umfassender ist als in „Normalzeiten“.

Erhöhte kaufmännische Sorgfalt ist jetzt ebenso angesagt wie eine besonnene Anwendung der Business Judgment Rule. Gerade weil er nicht operativ agiert, ist der Aufsichtsrat jetzt aufgerufen, seine Expertise und Erfahrung mit Gelassenheit und Hausverstand einzubringen, dem Vorstand begleitend zur Seite zu stehen sowie den Gesamtüberblick bestmöglich zu wahren.

Der AR hat auch dafür zu sorgen, dass sich nicht Pessimismus ausbreitet, der Vorstand die aktuelle Situation und die daraus abgeleiteten Ziele klar und verständlich nach innen und außen kommuniziert und außerdem alle Vorstandsmitglieder an einem Strang ziehen. Persönliche Befindlichkeiten sind gegenwärtig unbedingt hintanzustellen. Jetzt zeigt sich auch, wie unabhängig der Aufsichtsrat ist.

Wie AR-Sitzungen jetzt ablaufen

Der normale AR-Sitzungskalender gilt grundsätzlich weiter. Ein eigenes Corona-Meeting kann angebracht sein, ist aber nicht zwingend erforderlich. Sitzungsverschiebungen sind im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben möglich, sollten aber gut überlegt werden, da gerade jetzt Kommunikations- und Informationsbedarf in erhöhtem Ausmaß gegeben ist und bei vielen Gesellschaften Beschlüsse gefasst werden müssen.

Physische Sitzungen sind grundsätzlich zulässig. Dabei sind alle angeordneten Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten. Abstand halten ist das oberste Gebot, Desinfektionsmittel müssen ausreichend vorhanden sein. Die Anzahl der Sitzungsteilnehmer sollte möglichst beschränkt werden. Denkbar wäre etwa, dass nur der AR-Vorsitzende und der CEO sowie der CFO physisch teilnehmen und die anderen virtuell oder telefonisch. Risikoträger – also Personen mit Vorerkrankungen bzw. in höherem Alter – sollten bei AR-Sitzungen nicht persönlich anwesend sein. Sie können einem Sitzungsaufruf nach eigenem Ermessen fernbleiben und sich gegebenenfalls per Videokonferenz oder Telefon zuschalten oder sich vertreten lassen.

AR-Sitzungen ausschließlich über Fernkommunikation abzuhalten, wird künftig vermutlich öfter praktiziert werden, dennoch wird es nicht immer opportun sein. Gerade in kritischen Phasen kann eine physische Zusammenkunft geboten sein – sie ist kreativer, das Brainstorming funktioniert besser und der Diskurs verläuft dynamischer. Hier obliegt es dem AR-Vorsitzenden, die einzelnen Notwendigkeiten abzuwägen und alle Interessen bestmöglich unter einen Hut zu bringen.

Viele Themen, viele „Baustellen“

COVID-19 bringt es mit sich, dass jedes auf der Agenda eines AR-Treffens stehende Thema auch vor dem Hintergrund der Corona-Auswirkungen zu behandeln ist.

Oberste Priorität hat -natürlich neben der Gesundheit – die Liquiditätssituation. Vorstand und Aufsichtsrat haben sich damit zu befassen, ob und welche Vorkehrungen hier zu treffen sind, ob Kreditrahmen aufzustocken oder neue Kreditlinien einzurichten sind. Auch sollte sich der Aufsichtsrat darüber informieren, ob bzw. welche staatlichen Unterstützungen das Unternehmen in Anspruch nimmt. Bei drastischen Sanierungsmaßnahmen müssen die Organe auch den Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte im Auge behalten und sollten dafür vorsorgen, dass Beschlüsse rasch – z.B. im Umlaufweg – gefasst werden können. Im Notfall muss der AR auch eine Gesellschafterversammlung einberufen.

Weiters ist zu klären, wie es bei eingeschränktem oder geschlossenem Geschäftsbetrieb mit dem Mitarbeiterstand weitergehen soll, welche Kündigungen geplant sind und inwieweit das neue Kurzarbeitsmodell genutzt wird. Wird auf Homeoffice umgestellt, sind zusätzliche Cyberschutzmaßnahmen eine Notwendigkeit. Vieles ist jetzt auf den Prüfstand zu stellen, z.B. Neueinstellungen, Investitionen sowie sonstige Ausgaben. Wenn nötig ist ein Kostensenkungsprogramm zu erstellen oder – wenn ein solches läuft – dieses nachzuschärfen.

Alle größeren Verträge sollten unbedingt im Hinblick auf die neue Situation „abgeklopft“ werden. So könnten durch die Einstellung der Geschäftstätigkeit Pönale-Zahlungen sowohl kunden- als auch lieferantenseitig schlagend werden. Auch die Auswirkungen bestehender Mietverträge als Vermieter oder Mieter sind zu überprüfen.

Krisenkommunikation dringend nötig

Sicherzustellen, dass das Risikomanagementsystem RMS des Unternehmens funktionsfähig und wirksam ist, gehört wie erwähnt zu den Kernaufgaben des AR. Jetzt hat er sich über die Auswirkungen von Corona auf die Risikosituation des Unternehmens berichten zu lassen. Bestehende Risiken müssen neu bewertet, zusätzliche Risiken einbezogen und entsprechende Risikovorsorgen vorgenommen werden. Jedes RMS muss variabel sein und den jeweiligen Gegebenheiten laufend angepasst werden. Im gegenwärtigen Ausnahmezustand muss der AR darauf ein besonders wachsames Auge haben.

Die derzeit besonders wichtige Krisenkommunikation – sowohl die interne als auch die externe – muss vom AR mit dem Vorstand abgestimmt werden. So sollte der AR etwa fragen, ob es einen regelmäßigen Newsletter für die Mitarbeiter gibt, besonders für jene im Homeoffice. Dadurch fühlt sich die Belegschaft eingebunden und zugehörig, man stärkt ihre Motivation in dieser schwierigen Zeit und kann zumindest teilweise Ängste abbauen. Eine Informationsoffensive gegenüber Kunden, Lieferanten, Aktionären etc. kann für manche Unternehmen ebenfalls geboten sein. Online bzw. über soziale Medien lässt sich derartiges heute ohne großen Aufwand durchführen. Schließlich haben alle Stakeholder ein Interesse daran, was in einem Unternehmen derzeit geschieht, wo Probleme und Risiken auftauchen sowie welche kurz- und mittelfristigen Pläne bestehen. Daher sollte der AR auf eine offensive Informationsstrategie drängen, die Pessimismus hintanhält. Es gilt vielmehr, Vertrauen und Zuversicht zu schaffen – auch für die Zeit nach der Corona-Krise.

Strategische Herausforderungen

Der strategischen Begleitung des Unternehmens muss der AR in Corona-Zeiten besonderes Augenmerk schenken. Schließlich werden sich Umsatz- und Ertragszahlen heuer wohl nicht wie geplant entwickeln. In den meisten Fällen werden sie rückläufig sein, teilweise sogar einbrechen. Fluglinien und der gesamte Tourismus dürften wohl am stärksten betroffen sein. Es gibt aber auch – ganz legitime – „Krisengewinner“ wie Online-Handel, Telekomgesellschaften, die Post sowie jene Unternehmen, die Medikamente, Masken, Schutzanzüge und Gummihandschuhe sowie das derzeit besonders gefragte Hygiene-Papier herstellen und den Boom nur schwer bewältigen können. In beiden Fällen besteht für den AR Handlungsbedarf.

Bei allen hier genannten Problemfeldern muss der AR dafür sorgen, dass der Vorstand und zwar jedes einzelne seiner Mitglieder den spezifischen Anforderungen der Corona-Krise gerecht wird. Neben den fachlichen Qualifikationen sind auch Leadership und Motivationskraft gefragt, Vorstände sollten über Empathie verfügen und Zuversicht ausstrahlen. Der Aufsichtsrat sollte, wenn nötig, auch darauf drängen, dass die Vorstandsmitglieder jetzt Coachings in Anspruch nehmen. Hatte der Aufsichtsrat schon bisher Zweifel am Kompetenzprofil eines Vorstands, verstärken sich diese möglicherweise jetzt. Dann besteht Handlungsbedarf. Will man eine Abberufung vermeiden, um keine zusätzliche Unruhe zu schaffen, kann man den Betreffenden eventuell temporär oder auf Dauer in eine Linien- oder Stabsfunktion versetzen und den Spitzenjob neu besetzen. Derartige Rochaden sind in der Vergangenheit in heimischen Konzernen bereits passiert.

Vorbildwirkung entscheidend

Gute Governance ist für jedes Unternehmen wichtig, in Krisenzeiten gilt dies ganz besonders. Auf  deren Einhaltung hat der Aufsichtsrat unbedingt zu drängen. So sollte der AR-Vorsitzende, dafür sorgen, dass sich sowohl alle AR-Mitglieder als auch alle Vorstandsmitglieder ihrer Vorbildwirkung besonders bewusst sind und selbst corona-konform vorgehen. Es gilt: 1A-Governance ist genauso wichtig wie Händewaschen und Abstandhalten.

In den vergangenen Jahren wurde der Aufsichtsrat zunehmend als „Sparringpartner“ des Vorstands gesehen. Diese Rolle ist natürlich auch in Corona-Zeiten wichtig, aber nun treten die gesetzlichen Aufgaben des AR, also Aufsicht und Kontrolle, wieder in den Vordergrund. Nicht weil man dem Vorstand jetzt stärker misstraut, sondern weil wegen der Unsicherheit, die Corona in den Unternehmen verursacht, jede zusätzliche und fundierte Sichtweise wichtig ist.

Agilität muss jetzt gelebt werden

Da die im Zusammenhang mit Corona Gesetze, Verordnungen, Empfehlungen usw. ständig aktualisiert werden, ist es besonders wichtig, dass Gesellschaften ihre agilen Organisationen tatsächlich auch dynamisch und flexibel einsetzen, um alle Vorgaben zu erfüllen. Die zuletzt oft beschworene Agilität – jetzt ist die Zeit gekommen, sie in den Unternehmen auch tatsächlich zu leben.

Aufsichtsräte dürfen sich nie auf ihren Lorbeeren ausruhen. Gerade in einem krisenbehafteten Umfeld sind sie gefordert, ihre Kompetenzen nachzuschärfen, etwa durch Aus- und Weiterbildung. Lücken bei Finanzwissen, IT und Digitalisierung sollten schnell geschlossen werden. Jene Aufsichtsräte, die bisher bei Zoom oder Videokonferenzen nicht sattelfest waren, sollten diese Wissenslücken unbedingt schließen. Mehr denn je ist es auch wichtig, dass jeder Aufsichtsrat auf seine körperliche und geistige Fitness achtet.

Wenn die Krise vorüber ist

Schließlich ist der Aufsichtsrat auch gefordert, schon jetzt über die Zeit nach Corona – die hoffentlich bald kommen wird – Überlegungen anzustellen. Manches wird nicht mehr so sein wie vorher. Die nun gewonnenen Erfahrungen mit Homeoffice oder schnell aufgebauten Online-Shops, an gesperrten Grenzen festsitzenden Lieferungen, verändertem Kaufverhalten usw. sollten dabei unbedingt mit einfließen. Die Digitalisierung wird nun vielleicht beschleunigt angegangen oder es werden neue Produkte auf den Markt gebracht. Wo das möglich ist, könnte man die Abhängigkeit von weit entfernten Zulieferern etwas reduzieren und stärker auf lokale Firmen setzen. Nicht vergessen werden dürfen die Mega-Themen Klima- und Umweltschutz, die uns noch länger beschäftigen als ein kleines böses Virus.

Redaktion: Dr. Christine Domforth