„Bei Nachhaltigkeit ehrlicher sein!“ kein Gegensatz

„Bei Nachhaltigkeit ehrlicher sein!“ kein Gegensatz

Last Updated on 2022-04-07
Welche Themen werden in der HV-Saison 2022 dominieren? Darüber diskutierten bei einem spannenden Aufsichtsrats-Talk der Directors Academy die Kapitalmarkt-Expertin Christiane Hölz und Governance- und Nachhaltigkeitsexperte Rudolf X. Ruter.

Hölz ist Landesgeschäftsführerin Nordrhein-Westfalen und EU-Fachfrau der DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz). Die Anwältin ist Mitglied in mehreren hochrangigen EU-Beratungsgremien und Aufsichtsrätin der Gelsenwasser AG. Die DSW vertritt die Interessen von Privatanlegern und besucht in diesem Zusammenhang jährlich rund 600 Hauptversammlungen.

In Deutschland sind virtuelle Hauptversammlungen ­ die 2020 aufgrund der Corona-Pandemie ermöglicht worden waren ­ noch bis Ende August 2022 erlaubt. Aus der Sicht der Aktionäre machen sie aber keinen Sinn, waren sich Hölz und Ruter einig. Weder sei dadurch die Präsenz gesteigert worden, noch sei die Teilnahme internationaler Investoren oder das Niveau der Diskussionen gestiegen, betonte Hölz. Hauptkritikpunkt ist, dass bei einer virtuellen HV Privatanleger die einzige Gelegenheit zum persönlichen Kontakt mit Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft verlieren. Für institutionelle Investoren gibt es hingegen andere Möglichkeiten zur direkten Kommunikation mit dem Management, etwa Investorengespräche.

Hölz zeigte sich erfreut, dass einige Unternehmen, beispielsweise die Deutsche Telekom, heuer wieder eine Präsenz-HV durchführen werden. Die Aktionärstreffen von Deutscher Bank, VW und Mercedes werden spannend, meint sie. Die großen „Aufreger“ brechen ihrer Erfahrung nach aber oft in den Hauptversammlungen kleinerer Unternehmen aus.

Hölz berichtete sodann von der spektakulären Anfechtung der Axel-Springer AG Hauptversammlung, die bei ihrem Aktionärstreffen Ende 2020 einen Squeeze-out beschließen, sich also ihrer Minderheitsaktionäre entledigen wollte. Weil die HV virtuell stattfand, konnten diese keine Fragen stellen und hatten auch keine Möglichkeit zu intervenieren. Die DSW vertrat die Ansicht, dass eine solche Maßnahme im Rahmen einer virtuellen HV unzulässig sei und brachte eine Feststellungsklag ein. Derzeit liegt der Fall beim Gericht.

Kritik an Vergütungsberichten

Voriges Jahr war das Vergütungssystem erstmals Standard-Tagesordnungspunkt bei den Hauptversammlungen, heuer wird es der Vergütungsbericht sein. Er muss vorab gemeinsam mit der HV-Einladung in voller Länge veröffentlicht werden, darüber wird dann abgestimmt. Allerdings gibt bei den Vergütungsberichten diverse Probleme, was vor allem am nicht gut gelungenen Gesetz liegt. Die Berichte sind teilweise sehr unübersichtlich und schwer vergleichbar, betonte Hölz. Außerdem würden manche Unternehmen – beispielsweise Thyssen-Krupp – heuer lediglich wie gesetzlich vorgegeben die Vergütungen für 2020 melden, kritisiert die Expertin. Andere – etwa Siemens – geben auch die reellen Vergütungen für 2021 an.

In den Geschäftsberichten werden jetzt detaillierte Angaben zu Fort- und Weiterbildung der Aufsichtsräte sowie deren Kompetenzprofile gefordert. Hölz sieht das positiv und als deutliche Verbesserung gegenüber der früheren Praxis. Aktionäre wollen ja wissen, wie „ihre“ Vertretung zusammengesetzt ist und ob die einzelnen Mitglieder die nötige Qualifikation besitzen.

Gesucht: die eierlegende Wollmilchsau

Als Reaktion auf den Wirecard-Skandal wurde laut Hölz in Deutschland das FISG (Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität) beschlossen. Demnach muss es bei börsenotierten Unternehmen künftig im AR zwei Finanzexperten geben, einen für die Rechnungslegung und einen für die Abschlussprüfung. Bisher war ein Finanzexperte im AR ausreichend. Laut dem Corporate Governance Kodex, der zurzeit überarbeitet wird, muss einer der Finanzexperten auch Expertise zum Thema Nachhaltigkeit aufweisen. „Das ist wie die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau und wird mit Sicherheit schwierig,“ betonte Hölz. Etwas entschärft wird das Problem durch die vorgesehene Übergangszeit.

Ruter fragte dann, was von den Proxy Advisors (Stimmrechtsberatern), die auch bei deutschen Hauptversammlungen eine immer stärkere Rolle spielen, heuer zu erwarten sei. Hölz rechnet damit, dass diese sich 2022 sehr stark auf ESG und Nachhaltigkeit konzentrieren werden. Das Thema Vergütung hatten die Berater, die vor allem für institutionelle Investoren tätig sind und entsprechende Abstimmungs-Richtlinien publizieren, ja schon immer im Fokus. Weiters auf der Themenliste von Proxy Advisors werden Kompetenz, Qualifikation sowie Unabhängigkeit von Aufsichtsräten stehen.

Ein weiteres zwischen Hölz und Ruter diskutiertes Thema war die Sinnhaftigkeit der wiederum von vielen Unternehmen angekündigten Aktienrückkäufe. Für Hölz ist diese Maßnahme allenfalls die drittbeste Lösung. Es sei für eine Gesellschaft viel besser, eine höhere Risikoprämie in Form der Dividende auszuzahlen oder in Digitalisierung, Forschung & Entwicklung etc. zu investieren. „Nur wenn mir da nichts mehr einfällt kann man über einen Aktienrückkauf nachdenken,“ so die Expertin. Angesichts des Kriegs in der Ukraine, der ja massive wirtschaftliche Auswirkungen hat und noch haben wird, ist es für jedes Unternehmen ratsam, das Geld „zusammenzuhalten“. Aktienkäufe sind da kontraproduktiv.

Welche Themen dominieren werden

„Welche Überraschungen könnte es bei der heurigen HV-Saison geben,“ fragte Ruter. Hölz ist gespannt, ob es zu einer Zusammenarbeit von Hedge-Fonds und Klimaaktivisten kommt, es also nach Say-on-Pay auch Say-on-Climate Abstimmungen geben wird. Wenn das nicht heuer passiert, dürfte es 2023 der Fall sein.

Generell sind bei den diesjährigen Hauptversammlungen mehr Fragen der Anleger und Diskussionen über Taxonomie, ESG-Reporting, CO2-Reduktion, Klimaziele und ihre Auswirkungen auf Geschäftsmodell und Langfriststrategie sowie soziales Engagement und die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken und deren Auswirkungen zu erwarten.

Für Privatanleger ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung laut Hölz derzeit noch zu wenig aussagekräftig. Man könne die Bilanzen von zwei Gesellschaften gut miteinander vergleichen, wenn beispielsweise beide nach IFRS bilanzieren, beim Non Financial Reporting gebe es aber u. a. damit Probleme. Bei der Nachhaltigkeit seien die Begriffe teilweise zu verwaschen. Der bereits vorhandene internationale Nachhaltigkeitsstandard GRI helfe da nur wenig. Generell, so Hölz und Ruter übereinstimmend, müsse beim Non Financial Reporting noch viel passieren, damit es beim Privatanleger ankommt und die Vergleichbarkeit ebenso funktioniert wie beim Financial Reporting.

AG muss gewinnorientiert agieren

Es könne nicht sein, dass für den Vorstand künftig Ökonomie, Ökologie und Soziales gleichwertig sind, betonten die beiden Experten. „Sinn und Zweck einer AG ist – im Gegensatz zu einer Stiftung oder einem wohltätigen Verein – die Erzielung von Gewinn,“ betonte Hölz. Natürlich sollte das Unternehmen dabei auch ökologisch und sozial handeln. „Wir müssen das Thema Nachhaltigkeit ehrlicher diskutieren und auch in der Berichterstattung ehrlicher sein. Und wir dürfen keine künstlichen Zielkonflikte zwischen Umwelt und sozial konstruieren,“ forderte sie. Weiters sollten die Begriffe ESG und deren Inhalte stringenter definiert werden. Das „S“ werde meist auf sozial reduziert, es sollte aber alle gesellschaftlichen Aspekte umfassen.

Was der Ukraine-Krieg auslöst

Die Auswirkungen der Ukraine-Krise sind in den Bilanzen für 2021 noch nicht enthalten, darauf kann in der Hauptversammlung mündlich oder – wenn nötig – mittels Ad-hoc-Meldung eingegangen werden. Zu erwarten ist laut Hölz in vielen Fällen eine Nachtrags-Berichterstattung. Thyssen-Krupp hat beispielsweise wegen der Ukraine seine Prognose ausgesetzt.

Wichtig ist laut Hölz in diesem Zusammenhang vor allem, inwieweit der Going-Concern (beim Going-Concern-Prinzip wird von einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit ausgegangen, sofern nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten dagegensprechen) durch die Ukraine-Krise gefährdet ist. Es braucht quantitative und qualitative Informationen.

Quelle: https://directorsacademy.de/podcast-fuer-den-aufsichtsrat/podcast-fuer-den-aufsichtsrat-6-mit-christiane-hoelz-2/

Websites: Rudolf X. Ruter; www.dsw-info.de/

Anmerkung der Redaktion: An der im INARA Sonder-NL vom 7. März 2022 präsentierten HV-Umfrage haben sich siebzig LeserInnen beteiligt. Herzlichen Dank dafür! Über die Ergebnisse der Auswertung werden wir Sie in den nächsten INARA Board News nach Ostern informieren.