Das Dilemma mit dem Deckel

Das Dilemma mit dem Deckel

Last Updated on 2021-03-04
Seit Februar 2020 ist der Berliner Mietendeckel in Kraft. Die Zwischenbilanz nach einem Jahr fällt mehr als ernüchternd aus. Wie es weitergeht, entscheiden demnächst die Verfassungsrichter in Karlsruhe.

Brigitta Schwarzer

Das „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen“, besser bekannt als Mietendeckel, wurde vom rot-rot-grünen Berliner Senat beschlossen und gilt seit einem Jahr. Damit wurden die Mieten von rund 1,5 Millionen Wohnungen in der deutschen Hauptstadt für fünf Jahre auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren. Ab 2022 ist lediglich ein Inflationsausgleich zulässig. Wer neu vermietet, darf nicht mehr als bisher verlangen und muss sich an Obergrenzen halten, die von Alter, Ausstattung und Lage der Wohnung abhängen. Die Höchstgrenzen liegen je nach Alter der Wohnung zwischen 3,92 und 9,80 Euro pro Quadratmeter Nettokaltmiete. Dazu kommen moderate Aufschläge für bestimmte moderne Ausstattungselemente.

Seit November 2020 müssen Vermieter jene Mieten senken, die mehr als 20 Prozent über den festgelegten Obergrenzen liegen. 340.000 Wohnungen sind von diesen Mietsenkungen betroffen, es gab teils erhebliche Rückzahlungen. Ausgenommen vom Mietendeckel sind im Wesentlichen nur nach 2014 errichtete Neubauten.

Deutlich weniger Wohnungen am Markt

Der Mietendeckel hat die Mieten tatsächlich reduziert. Laut Immobilienscout 24 sind die Angebotsmieten in Berlin binnen Jahresfrist um 7,8 Prozent gesunken. Dafür ist aber auch das Angebot am Berliner Wohnungsmarkt drastisch zurückgegangen. Die Zahl der öffentlich angebotenen Wohnungen hat sich hier innerhalb eines Jahres halbiert, berichten Brancheninsider. Die Anzahl der Interessenten bei Wohnungsbesichtigungen wird deshalb immer größer. Aufgrund des reduzierten Angebots an freien Mietwohnungen kommen allerdings fast nur Kandidaten mit starker Bonität zum Zug. Aus Sicht der Vermieter verständlich, wollen sie doch Mietausfälle jetzt weniger denn je riskieren.

Das von der Politik angepeilte Ziel, sozial schwächere Mieter und junge Familien zu entlasten, hat der Mietdeckel also nicht erreicht. Er hilft nur jenen, die bereits in einer Mietwohnung leben. Hauptnutznießer sind Besserverdienende mit schönen, großen Altbauwohnungen in guten Gegenden. In einfacheren Lagen greift die Entlastung weit weniger. Wer neu nach Berlin zuzieht, schaut ebenfalls durch die Finger.

Investitionen werden zurückgefahren

Aufgrund der durch den Mietendeckel gesunkenen Einnahmen wird es für die Vermieter zunehmend unwirtschaftlich, ihre Wohnungen entsprechend in Schuss zu halten. Thermische Sanierungen oder der altersgerechte bzw. barrierefreie Umbau von Mietobjekten wären zwar dringend geboten, finden aber kaum mehr statt. Mittelfristig droht ein Verfall des Wohnungsbestands. Manche Vermieter überlegen bereits, Wohnungen zu verkaufen. Damit würde das Angebot an Mietwohnungen weiter sinken.

Investoren und Projektentwickler haben natürlich auf den Mietendeckel reagiert, sie meiden die deutsche Hauptstadt, manche sogar den deutschen Markt generell.

Rechtssicherheit für Mieter hat der Mietendeckel nicht gebracht. Da nicht klar ist, ob die Begrenzung juristisch „wasserdicht“ ist und was nach den angepeilten fünf Jahren passiert, tauchen jetzt schon in vielen Immobilieninseraten, teilweise sogar in Mietverträgen neben den offiziellen Mieten auch „Schattenmieten“ auf. Der niedrigere Betrag ist laut Mietendeckel kalkuliert, der höhere wäre dann fällig, wenn der Deckel fällt. Und selbst jene Berliner Politikerin, von der das Konzept für den Mietendeckel stammt, meint, Mieter sollten die jetzt ersparten Beträge zurücklegen, da die Begrenzung gekippt werden könnte.

Das Wohnungsproblem in der stark wachsenden Metropole Berlin, so die Meinung vieler Experten, kann nur durch eine verstärkte Bautätigkeit und nicht durch dirigistische Eingriffe gelöst werden. Doch eine Neubau-Offensive ist in Berlin bisher ausgeblieben.

Signalwirkung für Österreich?

Ob die Berliner Regelung rechtlich haltbar ist, ist umstritten. Es gibt dazu bereits jede Menge Gutachten, die zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Der Ball liegt nun bei den Verfassungsrichtern in Karlsruhe, sie sollen entscheiden, ob der Berliner Mietendeckel mit dem Grundgesetz vereinbar oder verfassungswidrig ist. Fraglich ist, ob das Land Berlin eine derartige Regelung in Eigenregie erlassen darf oder dafür ausschließlich der Bund zuständig ist. Außerdem muss entschieden werden, ob der Mietendeckel einen unzulässigen Eingriff in die Eigentumsrechte der Wohnungsbesitzer und in die Vertragsfreiheit darstellt bzw. eine Teilenteignung der Vermieter bedeutet.

Signalwirkung könnte die Entscheidung der deutschen Verfassungsrichter auch für Österreich haben. Kippen sie den Berliner Mietendeckel als unzulässigen Eingriff in die Eigentums- und Vertragsfreiheit, dann ist auch das hierzulande geltende System der Richtwertmieren nicht mehr haltbar. Dabei sind unsere Richtwertmieten per Gesetz dauerhaft eingefroren und nicht wie in Berlin bloß für fünf Jahre.

Bei uns wird doppelt gedeckelt

Österreich toppt aber Berlin nicht nur bei der Dauer der Mietzinsbeschränkungen, sondern auch bei der Inflationsabgeltung: Die gedeckelten MRG-Mieten in Österreich bekommen jetzt noch einen weiteren Deckel verpasst. Die per 1. April 2021 fällige Inflationsanpassung der Richtwert- und Kategorie-Mieten wird coronabedingt ausgesetzt. Gefordert hatten dies zunächst SPÖ, Arbeiterkammer und Mietervereinigung, doch ÖVP und Grüne zogen mit – ein unerwarteter türkis-grüner Schulterschluss mit dem roten Wien. Und so wird das „Mietzinsrechtliche Pandemiefolgenlinderungsgesetz (MPFLG) wohl noch im März abgesegnet werden. Bereits 2008 und 2016 waren die Richtwertmietenanpassungen, von denen österreichweit rund 500.000 Mietverträge, darunter 200.000 mit privaten Vermietern, betroffen sind, ausgesetzt worden, weil das politisch opportun war.

Gerecht ist diese Maßnahme ganz und gar nicht. Einerseits profitiert nur, wer – bereits mietpreisgeregelt ­ im Altbau oder im Gemeindebau wohnt, egal, ob er wegen Corona Einbußen hat oder nicht. Andererseits belastet sie wiederum die privaten Vermieter, die sich einmal mehr fragen, warum sie schon wieder für die sozialen Befindlichkeiten der Politik herhalten müssen.