Das Erbe des “Schulden-Bruno”

Das Erbe des “Schulden-Bruno”

Last Updated on 2021-02-18
diepresse.com / Franz Schellhorn, 28.02.2010

Der wohl mächtigste Kanzler der Zweiten Republik war in Wahrheit nur der Schuldenkönig. Was von der Ära Kreisky bleibt, ist der Vorwurf, die Politik des „Deficit-Spending“ salonfähig gemacht zu haben.

Wenn jemand aus freien Stücken einräumt, von der Wirtschaft nicht wirklich viel zu verstehen, dann ist das vor allem einmal bedauerlich. Gleichzeitig aber auch das sympathische Geständnis einer persönlichen Wissenslücke. Kommt das freimütige Bekenntnis allerdings aus dem Munde eines nicht ganz uneitlen Bundeskanzlers, wird schnell klar, dass die Geste der Bescheidenheit nichts anderes war als reine Koketterie: Bruno Kreisky wusste zwar, dass er von Wirtschaft keinerlei Ahnung hatte – wirklich geglaubt hat er das aber nie.

Hätte er es doch getan, wäre in diesem Land vieles anders gelaufen. Seine glühenden Anhänger bekämen heute wohl immer noch nasse Augen, weil sie ohne den gütigen Bruno niemals studiert hätten. Seine Gegner könnten die damals schlagartig nach oben getriebenen Staatsschulden heute aber nicht mehr als die große Wende zum Schlechteren beklagen.

Tatsächlich übernahm Kreisky 1970 einen sanierten Haushalt mit einem Schuldenstand von umgerechnet 3,4 Milliarden Euro. Als sich Bruno K. 1983 in Richtung Mallorca verabschiedete, stand die Republik mit etwas mehr als 30 Milliarden Euro in der Kreide. Die Außenstände der öffentlichen Hand hatten sich in nur 13 Jahren nahezu verzehnfacht. Was das bedeutete, wurde ein Jahr vor seinem Rücktritt offensichtlich: Ein Drittel der Nettosteuereinnahmen mussten allein für den Schuldendienst aufgewendet werden.

Höchst bemerkenswert ist auch, dass sich unter Kreisky mit dem „Austrokeynesianismus“ ein ökonomisches Regime durchsetzte, das in der westlichen Hemisphäre längst als gescheitert galt. Während allerorts liberale Ökonomen den wirtschaftspolitischen Diskurs dominierten, schanzte die sozialistische Alleinregierung im kleinen Österreich dem ohnehin schon kräftig intervenierenden Vater Staat immer neue Kompetenzen zu – die öffentliche Hand wurde in allen Lebenslagen zur bestimmenden Kraft.

Oberstes Ziel des allmächtigen Staates war die Sicherung der Beschäftigung, was mitten in der Ölkrise auch prächtig funktionierte. Allerdings mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass dieses Ziel vor allem über die als Speerspitze des wirtschaftlichen Fortschritts verstandene verstaatlichte Industrie erreicht werden sollte. Zur reibungslosen Abwicklung wurden die Führungsetagen der Staatskonzerne konsequent mit verlässlichen Genossen besetzt, die zusammen mit gestärkten Betriebsräten die Geschicke der Industriekonglomerate lenkten.

Freilich dauerte es nicht sehr lange, bis weite Teile der Verstaatlichten das Ziel der Vollbeschäftigung mit der Pragmatisierung der eigenen Arbeitsplätze verwechselten.

Bereiteten dem Kanzler ein paar Milliarden Schulden deutlich weniger Kopfzerbrechen als ein paar hunderttausend Arbeitslose, so hatte das Land am Ende seiner Ära beides: einen weitgehend zerrütteten Haushalt, eine zusammengebrochene verstaatlichte Industrie samt einer spürbar steigenden Arbeitslosigkeit.

Das ändert freilich nichts daran, dass die große Schuldenparty erst nach dem Abgang Kreiskys geschmissen wurde: Allein zwischen 1986 und 1999, als sich die Große Koalition wieder daranmachte, die großen Lösungen des Landes zu problematisieren, wurden weitere 73 Milliarden Euro an neuen Schulden angehäuft – und das in einer Phase der Hochkonjunktur.

Etwas ungerecht ist es wohl auch, die Ära Kreisky als eine Zeit der erdrückenden Steuerlast zu verteufeln. Die Steuern und Abgaben wurden zwar massiv in die Höhe getrieben – in Summe begnügte sich der sozialistische Finanzminister Hannes Androsch allerdings mit einer Steuer- und Abgabenquote von rund 38 Prozent der Wirtschaftsleistung, während es der vermeintlich neoliberale Karl-Heinz Grasser immerhin auf 45,4 Prozent brachte (der „bürgerliche“ Finanzminister Josef Pröll hält übrigens bei eher sozialistischen 42 Prozent).

Gern verdrängt werden heute auch die ökonomischen Erfolge der Ära Kreisky. Allen voran die Bindung des Schilling an die D-Mark, die gegen die wütenden Proteste der Industriellenvereinigung durchgezogen wurde. Die Industrie prognostizierte eine fatale Schwächung der exportorientierten Wirtschaft durch den härteren Schilling – das Gegenteil war der Fall: Wurden in anderen Ländern verkrustete Strukturen mit immer neuen Abwertungen einbetoniert, bekam Österreichs Industrie mit der Hartwährungspolitik die schmerzhafte Produktivitätspeitsche zu spüren. Die hohe Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie von heute ist nicht zuletzt auf diese Grundsatzentscheidung aus den 70er-Jahren zurückzuführen.

Womit Bruno Kreisky allerdings keine Freude hatte. Er hielt den von Androsch eingeschlagenen Kurs für einen schweren Fehler (wie so vieles, was von Androsch kam). Weshalb Kreisky im Oktober 1977 aufgrund der deutlich negativen Leistungsbilanz auf eine Abwertung des Schilling pochte und die Reisefreudigkeit österreichischer Touristen mit einer strengen Devisenzuteilung zu bremsen versuchte.

Androsch konnte die Umsetzung dieser „Ideen“ (wie so viele, die von Kreisky kamen) nur mit größter Kraft und der Hilfe der Gewerkschaftsspitze abwenden. Überhaupt ist es Androsch zuzuschreiben, dass die Republik in den 70er-Jahren nicht in eine moderate Planwirtschaft abtauchte.

Was von der Ära Kreisky bleibt, ist der berechtigte Vorwurf, die Politik des „Deficit-Spending“ salonfähig gemacht zu haben. Seit den 70er-Jahren hat sich ein tief sozialistisches Denken in den Köpfen der Politiker aller Parteien eingebrannt, demzufolge es grundsätzlich in Ordnung ist, wenn aus den Staatskassen Jahr für Jahr mehr Geld entnommen wird, als drinnen ist.

Keine blöden Fragen bitte. Es ist das geistige Erbe Kreiskys, das dieses Land einschneidend verändert hat. Ein Denken, das Schulden mit Fortschritt verwechselt und das zu keinem Zeitpunkt mehr hinterfragt, wofür denn das Geld anderer Leute verwendet wird. Kaum jemanden interessiert heute, welche finanziellen Opfer die wachsenden Schuldenberge fordern. So wie auch niemand wissen will, ob es sich bei den Staatsausgaben um Investitionen handelt, die sich irgendwann auch rechnen werden. Oder ob es sich eine angeblich wohlwollende Kaste ökonomisch ahnungsloser Politiker mit permanent steigenden Staatsausgaben auf Kosten anderer gemütlich macht.

Ein Erbe, das die nachfolgenden Generationen an Politikern dankbar angenommen haben – was freilich nicht dauerhaft dem längst verblichenen Erblasser anzulasten sein wird.

Quelle: Das Erbe des “Schulden-Bruno” | DiePresse.com

Dr. Franz Schellhorn leitet seit 2013 die Agenda Austria. Davor war er Wirtschaftsjournalist, zuletzt Leiter der „Presse“-Wirtschaftsredaktion.