Der Mieterschutz in Österreich ist allumfassend. Doch wer vertritt die Interessen der Vermieter wirklich?

Der Mieterschutz in Österreich ist allumfassend. Doch wer vertritt die Interessen der Vermieter wirklich?

Last Updated on 2020-09-30
Das jüngste Rechtsgutachten zum Thema Mietrecht von Prof. Dr. Thomas Müller (Universität Innsbruck), konkret „Diskriminierung Wiener Richtwert“, bringt es deutlich zum Vorschein. Die langjährige Kritik der Altbaueigentümer ist berechtigt. Mag. Kaspar Erath, Obmann des Vereins der Wiener Gründerzeithäuser, im Gespräch mit INARA.

Wir haben in Österreich ein hochentwickeltes Rechtssystem. Alle Gesetze und Verordnungen sowie auch die Rechtsprechung müssen im Einklang mit der Bundesverfassung stehen. Damit ist ohne Wenn und Aber festgeschrieben, dass sich jedes Gericht an die klaren Vorgaben der Verfassung zu halten hat. Die Gebote der Sachlichkeit und Objektivität erlauben weder beim Bezirksgericht und erst recht nicht in den obersten Instanzen ein „Augenzwinkern“ oder gar offen erkennbare Defizite im Spiegelbild der Verfassung. Dies soll letztendlich das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerichtsbarkeit stärken und der „Gerechtigkeit“ Genüge tun.

Eine politische Besetzung von Grenzorganen der Rechtsprechung steht daher von Beginn an im diametralen Interesse der Gesamtbevölkerung und muss somit ernsthaft hinterfragt werden. Wenn deutliche Lücken wie im Mietrecht zwischen Rechtslehre und Rechtsprechung sichtbar werden, besteht akuter Handlungsbedarf. Es gilt, die Objektivität im Sinne der maßgeblichen Prinzipien unserer Bundesverfassung ohne Verdacht auf einen Interessensbeistand wieder in den Vordergrund zu rücken.

INARA: Kann man Ihre Initiative als Verein rund um die Wiener Altbauten als Breitseite gegen den Verfassungsgerichtshof werten?
Mag. Kaspar Erath: Es ist eine substantiierte Kritik auf Basis eines universitären Gutachtens, das eine doppelte Diskriminierung aufzeigt und dabei den herrschenden Standpunkt von Lehre und Wissenschaft vertritt. Der VfGH wird sich daher mit den Argumenten des professoralen Gutachtens auseinanderzusetzen haben.

INARA: Was passt bei den 2016/2017 ergangenen VfGH-Entscheidungen zur „Diskriminierung Wiener Richtwert“ nicht?
Erath: Der VfGH hat den großen Spielraum des Gesetzgebers rund um das Mietrecht betont und folglich keine Diskriminierung beim „Wiener Richtwert“ erkennen können.

Im Kern argumentiert der VfGH, dass die Wiener Bevölkerung in einem hohen Ausmaß auf günstigen Wohnraum angewiesen sei. Mit dieser Aussage und ein paar nicht nachvollziehbaren Nebenargumenten (wie der vermeintlich hohen Anzahl von privaten Altbauten in Wien etc.) wurde ein Rechtfertigungsversuch für den „Wiener Richtwert“ unternommen.

Gänzlich ohne rechtlich umfassende Würdigung blieb die Tatsache, dass tausende Wiener Altbaueigentümer durch den Wiener Richtwert über Bundesgesetze (Richtwertgesetz und Mietrechtsgesetz) zu einem Einkommensminus ohne jegliche Ausgleichszahlung des Staates von beispielsweise bis zu 40 Prozent allein gegenüber der Steiermark verpflichtet wurden. Der Schaden daraus seit 1994 wurde vorsichtig mit ca. sieben Mrd. Euro berechnet. Aus meiner persönlichen Sicht handelt es sich dabei um die größte Benachteiligung in der 2. Republik innerhalb einer Berufsgruppe, nämlich der privaten Wiener Altbaueigentümer.

Die Diskriminierung dauert nun schon über ein Vierteljahrhundert und hat nun durch das Rechtsgutachten eine Bestätigung erfahren. Sie verlangt daher nach einer zeitnahen Gesetzeskorrektur und einer Schadengutmachung und darf keinesfalls bagatellisiert werden.

Der zweite Diskriminierungssachverhalt findet sich im Vergleich zwischen Altbau (Jahrgang 1945 und älter) sowie dem sogenannten Neubau (Jahrgang nach 1945). Selbst ein teuer sanierter Altbau mit hohen Räumen, einer schönen Fassade und einem großzügigen Stiegenhaus ist nach dem Wiener Richtwert derzeit mit 5,81 Euro pro Quadratmeter Nettomiete preisgedeckelt, während man bei einem mitunter „schleißigen“ Neubau ohne Mietzinslimit agieren darf. Prof. Müller sieht daher nach unserer Ansicht zu Recht eine doppelte Diskriminierung.

INARA: Wieso hat der VfGH diese doppelte Diskriminierung nicht erkannt?
Erath: Der Verfassungsgerichtshof hat wohl den Diskriminierungsschmerz, die Gründlichkeit und auch die Beharrlichkeit der Wiener Altbaueigentümer unterschätzt. Sie fordern daher unverändert und mit Nachdruck Gerechtigkeit im Sinne unserer Rechtsordnung sowie eine Wiedergutmachung des entstandenen Schadens.

INARA: Was verstehen Sie unter Gerechtigkeit?
Erath: Der VfGH hat bei seinen Entscheidungen 2016/2017 mit dem mehrfach zitierten Hinweis auf die „quasi arme Wiener Bevölkerung“ wesentliche Tatsachen nicht erkannt oder wissentlich nicht berücksichtigt. Noch einmal, die Wiener Bevölkerung ist nicht so arm wie dargestellt.

  • Wien (Richtwert aktuell 5,81 Euro) liegt beim durchschnittlichen Nettoeinkommen noch vor der Steiermark mit einem aktuellen Richtwert von 8,02 Euro.
  • Wien liegt bei den durchschnittlichen Netto-Pensionseinkommen sogar österreichweit auf Platz 1.

 

Die betroffenen Wiener Altbaueigentümer sehen aufgrund dieser Zahlen der Statistik Austria die Objektivität nicht gewahrt und damit den Gerechtigkeitsgedanken als verworfen.

Ich habe es zuletzt bei einer Podiumsdiskussion formuliert: Gerechtigkeit hat nichts mit arm oder reich zu tun. Auch nichts mit der Farbenlehre der Parteien, der Gerechtigkeitsgedanke „wohnt“ in uns allen. Wir müssen jeder für sich diese Gerechtigkeit, ob in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz oder eben konkret in dieser Sache immer wieder einfordern.

INARA: Wie möchten Sie das Rechtsgutachten zugunsten der Wiener Altbaueigentümer nutzen?
Erath: Das Rechtsgutachten stammt von einem Rechtsgelehrten einer österreichischen Universität, das sollte den VfGH bei zukünftigen Beschwerden nachdenklich stimmen. Wir sind hier hoffnungsvoll und entschlossen, bei einer weiteren Negativentscheidung den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anzurufen. Darüber hinaus werden wir mit diesem Gutachten weitere Gespräche mit den politischen Entscheidungsträgern suchen.

INARA: Wie soll die Schadengutmachung aussehen und wer könnte hier vermitteln?
Erath: Da die Staatskasse momentan sehr klamm ist, könnte ich mir eine Lösung über Steuererleichterungen vorstellen. Gleichzeitig sollten diese auch Leistungsanreize für einen verstärkten Wohnbau bringen. Ganz ehrlich, in den letzten zehn Jahre wurden speziell mit der Immobilienertragssteuer und auch mit den fast unendlichen Verlängerungen der Abschreibungsfristen Investitionshemmungen eingebaut. Die Folgewirkung: Wenn weniger Mietwohnungen auf den Markt kommen und der Bedarf nicht gedeckt wird, steigen automatisch die Mietpreise.

Auf den Punkt gebracht, sollte daher das Angebot an Mietwohnungen dringend auf eine Bedarfsdeckung erhöht werden. Nur so kann dem Begriff „leistbares Wohnen“ gedient werden.

Bei einer geeigneten Vermittlungsperson hinsichtlich der Schadengutmachung fällt mir spontan die frühere Nationalbank-Präsidentin Maria Schaumayer ein. Sie hat ihren Job in einer anderen Sache seinerzeit sehr gut gemacht und erfolgreich abgeschlossen. Ich plädiere auf alle Fälle für eine parteiunabhängige sowie fachlich und persönlich anerkannte Vermittlungsperson, damit hier rasch und unkompliziert ein Kompromiss mit Vorteilen bis hin zum leistbaren Wohnen gefunden werden kann.

INARA: Wie beurteilen Sie als Immobilienentwickler die aktuelle Wohnbaupolitik der Regierung?
Erath: Corona scheint praktisch alle Politiker zu beherrschen und zu lähmen. Die Menschen bräuchten jedoch dringend wieder positive Botschaften und Stoff für Hoffnung und Zuversicht. Wir haben als Verein fertige Konzepte und schlagende Beweise für eine verdichtete Bauweise in ganz Österreich. Wenn hier zeitbegrenzt Leistungsanreize gesetzt würden, könnte man im gesamten Bundesgebiet für ca. 250.000 Menschen Wohnraum schaffen, ohne einen Quadratmeter Boden mit Beton zu vernichten. Bei zehntausenden Arbeitslosen rund um die Bauwirtschaft und damit verbundenen Dienstleistungsbetrieben würde ich eine solche Initiative als dringend geboten erachten. Alle reden von Klimaschutz, von schädlichem Bodenverbrauch und auch vom teuren Wohnbau, doch fehlt es schon seit vielen Jahren an Taten. Ich verstehe offen gesagt den ehemals dynamischen Kanzler nicht, dass er sich dermaßen von Covid-19 gefangen nehmen lässt. Wieso unternehmen „Kogler/Kurz“ nicht einen „Befreiungsschlag“? Wieso wird nicht eine Wohnbauoffensive auf den Weg gebracht, um wenigstens auf einem Wirtschaftssektor die Arbeitslosenzahlen entscheidend abzubauen und gleichzeitig dem leistbaren Wohnen zu dienen? Wieso werden nicht zu den brennenden Fragen betreffend Facharbeitermangel, Pflegepersonal etc. spürbare Initiativen gesetzt und Antworten gefunden? Wenn die Stimmung in der Bevölkerung einmal kippt, verlieren selbst die schönsten Reden, Anzüge und Kleider ihren Glanz.

 

Verein zur Revitalisierung und architektonischen Aufwertung der Wiener Gründerzeithäuser: www.zinshauszukunft.wien

Autorin: Brigitta Schwarzer