Die Mutter aller Pandemien

Die Mutter aller Pandemien

Last Updated on 2020-11-26
Dr. Christine Domforth

Die Spanische Grippe forderte vor mehr als 100 Jahren weltweit zwischen 20 und 50 Millionen Menschenleben – mehr als der Erste Weltkrieg mit insgesamt 17 Millionen Toten. Die Influenza-Pandemie und Corona weisen einige bemerkenswerte Parallelen auf.

Zwischen 1918 und 1920 verbreitete sich die Spanische Grippe – verursacht von einer besonders aggressiven Forms des Influenza-Virus – mit großer Geschwindigkeit rund um den Erdball. Am Ende waren bei Weltbevölkerung von etwa 1,8 Milliarden Menschen 20 bis 50 Millionen Tote zu beklagen. Manche Schätzungen sprechen von noch deutlich mehr Grippe-Toten. Während des Kriegs gab es teilweise nur unvollständige Daten über Krankheits- und Todesfälle, aus Überseegebieten und aus Russland, wo bereits die Revolution ausgebrochen war, fehlen die Daten über die Auswirkungen der Influenza-Pandemie fast völlig. Insgesamt sollen rund 500 Millionen Menschen infiziert worden sein, die Letalität lag bei fünf bis zehn Prozent.

Ausgebrochen war die Spanische Grippe vermutlich in Kansas in den USA in einem Ausbildungslager der US-Armee. Von dort verbreitete sie sich rasch über das ganze Land, mit Truppentransporten kamen die Erreger auch nach Europa. Internationale Warenströme, die intensiven Verbindungen zwischen den Kolonialmächten und ihren überseeischen Territorien sowie die hohe Mobilität der Menschen in der Kriegszeit trugen dazu bei, dass der gefährliche Erreger sich über Grenzen und Kontinente rasant ausbreiten konnte.

Gestorben sind an der Spanischen Grippe vor allem Menschen zwischen 20 und 40, für Ältere war sie weniger bedrohlich. Erklärt werden kann dieses Phänomen durch Grippe-Epidemien mit ähnlichen Erregern, die schon Jahrzehnte vor der Spanische Grippe aufgetreten waren. Ältere Menschen hatten offenbar eine gewisse Immunität entwickelt, während Jüngere dem aggressiven Virus, der die Spanische Grippe auslöste, nichts entgegenzusetzen hatten. Vor allem in Deutschland und Österreich waren gegen Ende des Kriegs viele Menschen unterernährt und geschwächt und dadurch besonders anfällig für Infektionskrankheiten.

Wie der Name entstand

Der Ursprung der Krankheit lag nicht – wie man wegen des Namens vermuten könnte – in Spanien. Das Land war aber im Ersten Weltkrieg neutral und hatte keine strengen Zensurbestimmungen. Daher tauchten erste Meldungen über die Influenza-Epidemie zunächst in spanischen Zeitungen auf. In Ländern wie Deutschland, Österreich oder Frankreich durfte über die größte Seuche der Weltgeschichte kaum geschrieben werden, dort dominierte das Kriegsgeschehen die Berichterstattung.

Zwischen der Corona-Pandemie und der Spanischen Grippe gibt es einige auffallende Ähnlichkeiten. So waren beide Krankheiten bis dahin völlig unbekannt. Der Erreger ist in beiden Fällen ein Virus, gegen das es weder ein wirksames Medikament noch einen Impfstoff gab bzw. gibt. Ob die derzeit vor der Markteinführung stehenden Corona-Impfstoffe tatsächlich die Pandemie beenden werden, bleibt ja noch abzuwarten.

Sowohl das Corona-Virus als auch der Erreger der Spanischen Grippe soll von Tieren auf Menschen übergesprungen sein. Beide Krankheiten werden durch eine Tröpfcheninfektion übertragen. In beiden Fällen ist sehr oft die Lunge massiv betroffen bis hin zum tödlichen Lungenversagen. Sogar Verschwörungstheorien gibt es nicht erst seit Corona. In den USA verdächtigte man etwa den damaligen Kriegsgegner Deutschland, krankmachende Mikroben freigesetzt zu haben, oder sah die Spanische Grippe als Folge des Giftgaseinsatzes.

Bisher verläuft die Corona-Kurve ähnlich wie jene der Spanischen Grippe, die in drei großen aufeinanderfolgenden Wellen auftrat. Los ging es im Frühjahr 1918. Es gab in dieser ersten Welle, die bis in den Sommer 1918 reichte, enorm viele Erkrankte, aber nicht allzu viele Todesfälle. Die zweite Welle – der Erreger war durch eine Mutation noch gefährlicher geworden – im Herbst 1918 war dann viel massiver und zwar sowohl bei den Krankheits- als auch bei den Todesfällen. Viele Menschen starben nur zwei, drei Tage nach dem Auftreten erster Symptome. 1919 trat dann in vielen Teilen der Welt eine weitere, also dritte Welle der Spanischen Grippe auf, ihre Ausläufer reichte teilweise bis ins Jahr 1920. Auch bei der dritten Welle war die Letalität sehr hoch. Bei Corona stecken die meisten Länder derzeit mitten in der zweiten Welle. Dass es nach Weihnachten und Neujahr 2020 eine dritte „Auflage“ der Corona-Pandemie geben wird, scheint gewiss.

Allein im Gebiet des heutigen Österreich forderte die Spanische Grippe mehr als 20.000 Todesopfer. Zu den bekanntesten davon gehörten der Maler Egon Schiele und seine schwangere Frau. Für Deutschland wir die Zahl der Grippe-Toten auf 300.000 bis 420.000 geschätzt, in den USA starben etwa 675.000 Menschen an der Seuche.

Lockdown wirksam

Auch wenn sich die Verhältnisse seit 1918 völlig geändert haben und die Medizin enorme Fortschritte gemacht hat, sind einige Erkenntnisse über die Spanische Grippe noch heute gültig und können für die Entscheidungsträger im Jahr 2020 eine Richtschnur sein. Eine detaillierte Studie aus dem Jahr 2007 über den Krankheitsverlauf in den großen US-Städten zeigt ganz deutlich auf, dass rigorose und vor allem frühzeitige Isolations- und Quarantänemaßnahmen, Schul- und Ausgangssperren sowie das Tragen von Masken die Todesrate der Spanischen Grippe um bis zu 50 Prozent senken konnten. So entschloss man sich in New York zu einem frühen und strikten Lockdown, sogar das U-Bahnfahren war verboten. Pittsburgh handelte zu spät und hatte gerechnet auf 100.000 Einwohner doppelt so viel Tote wie New York und die höchste Mortalität aller US-Großstädte.

Ähnlich das Bild in Deutschland, wo der Föderalismus damals wie heute eine einheitliche Vorgangsweise verhinderte: Dresden sperrte frühzeitig alles zu und kam relativ glimpflich davon. In Leipzig, wo man länger zugewartet und die Messe trotz zahlreicher Krankheitsfälle nicht absagte, gab es deutlich mehr Todesopfer.