Die neue ESG-Reporting-Pflicht – Resultierende Konsequenzen & Risiken

Die neue ESG-Reporting-Pflicht – Resultierende Konsequenzen & Risiken

Last Updated on 2024-03-18
Der Aufsichtsrats-BlogKapitalgesellschaftenManagement, 16.02.2024

Gastbeitrag von Heike Adam, selbständige Unternehmensberaterin und Partnerin der Theron Advisory Group, ausgewiesene Expertin für ESG, Finanzen & Inflation

Seit dem 1. Januar 2024 ist es Realität, das erste Geschäftsjahr mit ESG-Berichtspflicht hat begonnen. Reporting nach den CSRD-Standards und EU-Taxonomie wird als Nachhaltigkeitsberichterstattung Teil des Lageberichts und prüfungsrelevant. Neben die finanzielle Berichterstattung tritt eine völlig neue Kategorie von Themen und Inhalten. Zunächst für Unternehmen, die bisher schon nach der NFRD zur EU-Taxonomie berichtspflichtig waren und häufig auch freiwillig in diesem Kontext bereits umfangreich kommuniziert haben. Doch an die Stelle der subjektiven Selektion treten deutlich größere Rahmen, eine Fülle neuartiger, sehr detaillierter Daten sowie die explizite Verpflichtung zur Formulierung von Zielen, Strategien und Maßnahmen. Die Prüfungspflicht definiert einen hohen Anspruch an Qualität, Verlässlichkeit und prozessuale Sicherheit von Beginn an.

Die Arbeit von Aufsichtsräten berührt das in mehrfacher Hinsicht. Der Umfang des zu bestätigenden Jahresabschlusses vergrößert sich wesentlich. Die Prüfung mit nur begrenzter Sicherheit erhöht die eigene Verantwortung. Der Sockel der durch die Abschlussprüfer gesicherten Qualität wird kleiner, das durch die eigene Beurteilung abzudeckende Delta größer.

Neben die Verantwortung für die Korrektheit der Daten und Informationen tritt die Notwendigkeit des Verständnisses der daraus resultierenden Konsequenzen und Risiken. Im Zentrum der breiten Wahrnehmung zu dieser neuen Berichtspflicht steht der massive bürokratische Aufwand, der enorme Ressourcen fordert. Doch diese verkennt die Ambitionen. Ziel des ESG-Reportings ist nicht die Beschaffung von Daten, sondern die Erzeugung von Veränderungsdruck durch die Stakeholder. Es geht um die Beschleunigung der ökologisch-gesellschaftlichen Transformation in Europa. Die Verpflichtung zur öffentlichen Transparenz soll der Bandbreite der Stakeholder die Basis für aktive Reaktionen bieten, von positiver Verstärkung durch Entscheidung für ein Unternehmen über die Einforderung von Veränderung bis zum Ausschluss. Mit dem Finanzsektor als Hebel durch die Steuerung finanzieller Mittel. Über die explizit angesteuerte Zielgruppen NGOs & Öffentlichkeit mit hohem Druckpotential.

Die Schaffung umfassender, sehr differenzierter und leicht verständlicher Transparenz mit niedrigschwelligem Zugang gestattet breite Nutzung der neuen Nachhaltigkeitsberichte auch durch wirtschaftsferne sekundäre Stakeholder. Daten sowie kommunizierte Ziele, Maßnahmen und Strategien sind für eine Vielzahl primärer Stakeholder von direkter Relevanz und operativ verwertbar. Beide Effekte verleihen deren Inhalt eine hohe Bedeutung und Brisanz. Quellen für Risiken, die noch kaum erkannt werden. Aber Aufsichtsräten bewusst sein sollten.

Drei Hauptrisiken entstehen für Unternehmen potenziell:

 

  1. Finanzierungsrisiken

CSRD & EU-Taxonomie bilden gemeinsam mit der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) das Sustainable Finance Framework der EU. Mit diesem wird der Finanzsektor in seiner Rolle als Allokator finanzieller Ressourcen zum wesentlichen Hebel der Umsetzung des European Green Deal ausgestaltet. Ziel ist es, Kapital in nachhaltige Unternehmen mit hohem Transformationsbeitrag zu lenken und Wachstum in weniger ESG-positiven Unternehmen zu verhindern oder zu erschweren. Daher gilt für den Finanzsektor mit der SFDR eine explizite Transparenzverpflichtung bezüglich der ESG-Konformität von Produkten und Portfolios. Zusätzlich haben sich die großen europäischen Banken in zahlreichen Initiativen zur CO2-Emissionsfreiheit ihrer Portfolios bis 2050 verpflichtet und beginnen, diese aktiv zu gestalten. Die Trennung von Kunden mit hohen Werten und begrenztem Senkungspotential hat bei einigen Banken bereits begonnen. Taxonomie-Konformität und CO2-Emissionsumfang werden zu relevanten Kriterien für Finanzierung. Grundlage dieser dann systematischen Bewertungen werden ab 2025 die von Unternehmen nach CSRD und EU-Taxonomie eindeutig definierten, veröffentlichten Daten, Ziele, Strategien und Investitionen bilden. Damit erwachsen aus diesen direkt potenzielle Finanzierungsrisiken.

 

  1. Supply-Chain- & Geschäftsrisiken

Die Reduzierung der Emission von Treibhausgasen besitzt in der europäischen Klimapolitik oberste Priorität. Alle CSRD-berichtspflichtigen Unternehmen haben explizite prozentuale, also numerische Einsparungsziele bereits für 2030 zu kommunizieren. Über die Vorgabe, diese auch für die kompletten Wertschöpfungskette von Rohstoff bis Endverwertung (Scope 3) zu formulieren, konstruiert der Gesetzgeber eine weitreichende Verantwortungszuweisung über Unternehmensgrenzen hinaus. Abhängig von Ambitionen, externem Druck, Emissionsstruktur und eigenem Senkungspotential ist bei vielen Unternehmen von einer aktiven Einforderung signifikanter Beiträge in ihrer Liefer- und Kundenkette auszugehen. Unternehmen werden auf diese Weise großflächig erreicht. Auch hier bilden die veröffentlichten Zahlenwerte und Informationen zu Zielen, Maßnahmen, Investitionen die primäre Bewertungsbasis. Die Unterschreitung von Lieferanten- oder Kundenerwartungen kann die Beschränkung oder den Abbruch von Liefer- oder Geschäftsbeziehungen nach sich ziehen.

 

  1. Reputationsrisiken

Besonders zu den Themen „Klima“, „Belegschaft“ und „Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette“ besteht die Annahme eines breiten öffentlichen Interesses und aktiver Reaktion auf die erstmals präsentierten Informationen. Vor alle bei den sekundären Stakeholdern ist von hohen, subjektiven Fortschrittserwartungen für kommunizierte Ziele und Entwicklungen in den Folgejahren auszugehen, ebenso von einer geringen Abweichungstoleranz. Sehr konservativ formulierte Zielwerte und nur geringe Verbesserungen können als Verweigerung, Unterschreitungen gesetzter Zielgrößen als Versuch des „Greenwashings“ interpretiert werden, beide damit signifikante Reputationsrisiken kreieren. Speziell in konsumentennahen Branchen, bei bekannten als auch einschlägig negativ konnotierten Unternehmen kann eine hohe Aufmerksamkeit seitens NGOs und Medien als wahrscheinlich gelten.

Alle drei Risken illustrieren die enorme Bedeutung der im Nachhaltigkeitsbericht kommunizierten Informationen, speziell der klimakorrelierten. Vor dem Hintergrund dieser Relevanz und der potenziellen Risiken geht die Bedeutung des ESG-Reportings deutlich über die Erfüllung einer Rechenschafts- und Erläuterungspflicht hinaus. Hier entsteht ein zusätzliches, weitreichendes Format einer aktiven Stakeholder-Kommunikation, in der jede Information bewusst und wirkungsorientiert gesetzt werden sollte. Aufsichtsräte sollten den Inhalten daher gezielte Aufmerksamkeit widmen.

Für alle zukunftsbezogenen Angaben zu Strategien, Zielen und Maßnahmen gilt für Aufsichtsräte der nachdrückliche Rat zum aktiven, risikoorientierten Abgleich mit der Unternehmensstrategie, Business- & Investitionsplänen und Projekten. Deren hohe Umsetzungswahrscheinlichkeit und Erreichbarkeit ist mit Blick auf die breite externe Relevanz anzustreben.

Viele Unternehmen mit Berichtspflicht ab Geschäftsjahr 2025 nutzen 2024 als „Probejahr“ für den kompletten Prozess bis zur Berichtserstellung. Die Strategieprüfung bereits jetzt gestattet wechselseitige Anpassung zur Sicherung einer kohärenten, in ihren Zielen belastbaren Erstberichterstattung im Folgejahr. Auf die unterjährige Verbesserung kritischer Werte kann hingewirkt werden.

Die frühe Beurteilung der beschriebenen Risiken ist ebenfalls empfohlen. Als Quelle aller drei Hauptrisiken sollte der Emission von Treibhausgasen besondere Aufmerksamkeit gelten. Status und Pläne zu Transformation, zukünftiger Finanzierungsbedarf, Strukturen der Wertschöpfungsketten, der Grad öffentlicher Präsenz erlauben eine große Bandbreite individueller Bewertungen. Die Überprüfung bestehender Pläne und Prioritäten kann ein Ergebnis sein.

Fazit: Die durch die neuen Nachhaltigkeitsberichte entstehende enorme Transparenz in Richtung aller Stakeholder sollte von Unternehmensführung und Aufsichtsräten in ihren Konsequenzen früh erkannt und resultierende Risiken bewertet werden. Aus der Gefährdung von Finanzierung, Lieferanten- & Kundenbeziehungen und Reputation einzeln und in Kombination kann die Entstehung echter Unternehmensrisiken resultieren. Den erstmalig kommunizierten Inhalten gebührt höchste Aufmerksamkeit, gezielte Prüfung und bewusste Gestaltung. Denn es geht nicht um Statistik, sondern die Erzeugung von Veränderungsdruck.

Heike Adam ist als selbständige Unternehmensberaterin und Partnerin der Theron Advisory Group ausgewiesene Expertin für ESG, Finanzen & Inflation, Lehrbeauftragte der Euro-FH Hamburg & Beirätin. Sie war mit Schwerpunkt Finanzen über 20 Jahre in Dax-Konzernen international tätig, hat als Leitung Controlling früh erste globale Berichte zu ESG-Kriterien aufgebaut. Seit 35 Jahren ist sie inhaltlich mit den Themen Klima und Umwelt vertraut. Zusätzlich zu ihrer Regulatorik-Expertise verfügt sie über das internationale ESG- Strategie-Zertifikat der Wharton School. Sie hält Vorträge, veröffentlicht, ist Gast in Podcasts.

Mehr: heike-adam.com LinkedIn

Quelle: https://directorsacademy.de/der-aufsichtsrats-blog/die-neue-esg-reporting-pflicht-resultierende-konsequenzen-risiken