Diversity 2.0 – Frauenquote reicht nicht

Diversity 2.0 – Frauenquote reicht nicht

Last Updated on 2022-11-04
Dr. Christine Domforth

Gemischte Teams sind erfolgreicher – das gilt auch für Aufsichtsräte. Doch bei der Auswahl kommt es künftig weniger auf Geschlecht, Herkunft, Bildung oder Sprache an. Für neue Herausforderungen sind neue Qualifikationen gefragt, also Diversity 2.0. Bei der Auswahl der Aufsichtsräte muss auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten ebenso geachtet werden wie auf deren Teamfähigkeit.

Die Zeiten, da Aufsichtsräte ausschließlich aus honorigen älteren Herren – oftmals Juristen oder Betriebswirte – bestanden, sind lange vorbei. Die Diversität hat nach und nach auch in den Kontrollgremien von Gesellschaften, Organisationen und Institutionen Einzug gehalten. Dabei ging es zunächst um eine stärkere Beteilung von Frauen, in zahlreichen Ländern, darunter auch in Österreich, wurde eine Frauenquote für die Aufsichtsräte gesetzlich vorgeschrieben. Doch Diversität, von der wir heute wissen, dass sie ein entscheidender Erfolgsfaktor sein kann, ist weit mehr als Mann versus Frau, sie hat viele Facetten. Personen, die große Unternehmen kontrollieren und beaufsichtigen, sollten auch unterschiedlichen Altersgruppen angehören, einen unterschiedlichen Bildungs- und Erfahrungshintergrund haben und nicht alle aus demselben Land stammen.

Neue Kompetenzen gefragt

In den kommenden Jahren stehen die Unternehmen vor völlig neuen Herausforderungen. Der demografische Wandel, neue Führungsanforderungen durch New Work, Nachhaltigkeit, ESG und last but not least der Technologiewandel und der Klimawandel – das alles macht es nötig, die Zusammensetzung von Aufsichtsräten gründlich zu überdenken. Mehr Frauen, mehr Jüngere, mehr Internationalität und dazu vielleicht noch ein Experte für Digitalisierung – das war in den letzten Jahren gelebte Praxis bei der Besetzung von Aufsichtsräten. Doch damit wird man in Zukunft nicht mehr das Auslangen finden. Die Unternehmen sollten sich vielmehr fragen, ob in ihrem Kontrollgremium alle jetzt und in den nächsten Jahren erforderlichen Kompetenzen abgedeckt sind. Gefragt ist künftig eine neue Form der Vielfalt, salpp gesagt: Diversity 2.0. Es geht dabei um Teamfähigkeit und die Unterschiedlichkeit von Persönlichkeiten sowie um Themen, die bisher „unterbelichtet“ waren. So haben laut dem Financial Services Boardroom Monitor 2022 von EY derzeit nur drei Prozent der Aufsichtsräte heimischer Finanzinstitute Erfahrungen mit Nachhaltigkeit, über den Bereich „Fintech“ weiß sogar nur ein Prozent einigermaßen Bescheid.

Ohne Teamarbeit geht es nicht

Standen in den vergangenen Jahren im Aufsichtsrat Themen wie Strategieberatung, Risikomanagement sowie Digitalisierung im Vordergrund, geht es künftig mehr um die Personalsuche auf einem leergefegten Arbeitsmarkt und die dafür nötigen Recruitingmaßnahmen oder um Kostensteigerungen und Lieferketten samt dem daraus resultierenden Sparzwang. Auch ESG-Themen werden immer wichtiger, sind derzeit in den meisten Kontrollgremien – siehe oben – aber nur unzureichend abgedeckt.

Die Lösung des Problems kann nicht darin bestehen, den Aufsichtsrat um einen HR-Spezialisten oder einen ESG-Experten zu erweitern. Vielmehr braucht man ein schlagkräftiges Team aus Persönlichkeiten, die schnell und flexibel, aber auch kritisch im Denken sind. Lösungsorientiert, krisenerprobt, kostenbewusst und mit einer guten Kommunikationsgabe ausgestattet sollten die einzelnen Aufsichtsräte ebenfalls sein und natürlich sind die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Teamarbeit unbedingt erforderlich.

Alte Regeln gelten nicht mehr

Das Weltwirtschaftsforum hat eine Liste jener beruflichen Skills zusammengestellt, die in Zukunft am wichtigsten sein werden. Die Top drei sind die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, das bereits erwähnte kritische Denken sowie Kreativität. Laut dem Future of Jobs Report, den das Weltwirtschaftsforum erstellt hat, werden 50 Prozent aller Mitarbeiter bis zum Jahr 2025 eine Umschulung benötigen, weil die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und die zunehmende Automatisierung die Arbeitsplätze stark verändern. Die Halbwertszeit unseres Wissens sinkt rasant, deshalb brauchen wir immer wieder eine Requalifizierung. So wie die Mitarbeiter umlernen müssen, so muss das auch der Aufsichtsrat tun. Dabei können alte Regeln teilweise über Bord geworfen werden. Hieß es früher oft, dass in einem technisch orientierten Industriebetrieb auch die Mehrheit der Aufsichtsräte tech-affin sein sollte, gilt das in Anbetracht der neuen Anforderungen eher nicht mehr.

Die Besetzung von Aufsichtsräten muss sich also massiv verändern. Wer seine diesbezüglichen „Hausaufgaben“ nicht macht, wird schneller als er glaubt vom Markt bestraft und auch bei der Suche nach den besten Köpfen – dem „War for Talents“ -das Nachsehen haben. Zu erwähnen ist weiters, dass der Kapitalmarkt umfassende Diversität – also nicht bloß die Frauenquote im Aufsichtsrat – immer stärker einfordert.

Goldenes Zeitalter für Frauen in Sicht

Was bedeutet das alles für engagierte Frauen, die sich für einen Aufsichtsrats-Posten interessieren? Dank der ab 2018 in Österreich geltenden Frauenquote hat sich das Geschlechterverhältnis schrittweise verändert. In den an der Wiener Börse notierten heimischen Unternehmen stieg der Frauenanteil im Aufsichtsrat laut dem EY Mixed Leadership Barometer 1/22 von 19 Prozent Ende 2017 auf aktuell knapp 30 Prozent. Bei den ATX-Unternehmen stieg er laut dem von der AK erstellten Frauen.Management.Report 2022 im gleichen Zeitraum von 22,24 auf 35,1 Prozent. Doch noch immer hat so manche Aufsichtsrätin mit dem Vorurteil zu kämpfen, sie sei als „Quotenfrau“ und nicht wegen ihrer Qualifikation zu ihrem Job gekommen. Gebremst wird der Karriereweg für Frauen auch dadurch, dass an den zentralen Hebeln der Macht – wie AR-Vorsitz oder Vorsitz in Ausschüssen, etwa dem Nominierungsausschuss – noch immer die „Herren der Schöpfung“ dominieren, die sehr oft wieder ihresgleichen in Führungspositionen holen.

Das wird sich in Zukunft allerdings ändern (müssen). Für Frauen im Aufsichtsrat sollten damit eigentlich ein goldenes Zeitalter anbrechen. Wie dargestellt, werden künftig an Aufsichtsräte völlig andere Anforderungen gestellt werden als jetzt und diese new skills – vor allem auch die sozialen Fähigkeiten wie Empathie, emotionale Intelligenz sowie Personalmanagement und Serviceorientierung – werden eher den Damen als ihren männlichen Kollegen zugeordnet. Werden künftig AR-Positionen tatsächlich nach den erforderlichen Kompetenzen ausgewählt, wird der Frauenanteil automatisch nach oben gehen. Eine Frauenquote, die viele derzeit noch als notwendiges Übel akzeptieren, dürfte dann überflüssig sein.

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