EU-BUDGET – Ökonomin Schratzenstaller: „Das ist keine Schuldenunion”

EU-BUDGET – Ökonomin Schratzenstaller: „Das ist keine Schuldenunion”

Last Updated on 2020-08-06
standard.at / Interview, 02.08.2020

 

Das nächtelange Gerangel um EU-Mitgliedsbeiträge verstellt den Blick auf das Wesentliche, so die Wifo-Budgetexpertin. Die ausgehandelten Rabatte sind nicht das Wichtigste.

Noch nie haben die Staats- und Regierungschefs der EU so lange um den gemeinsamen Haushalt gerungen. Am Ende stand eine historische Einigung: Rund 1,8 Billionen Euro stehen der Kommission über die kommenden sieben Jahren in den 27 Mitgliedsländern für Investitionen, zum Verleihen oder für Förderungen zur Verfügung. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, denn das EU-Parlament pocht auf Nachbesserungen. Österreich hat in einer Gruppe der Sparsamen auf die Bremse gedrückt. Wer letztendlich am meisten profitiert, hängt weniger davon ab, welche Rabatte herausgeschlagen wurden, sondern welche Chancen bei den Investitionen genutzt werden, sagt Wifo-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller. Österreich habe gute Karten.

STANDARD: Österreich soll laut Regierung trotz Rabatts rund 400 Millionen Euro pro Jahr mehr nach Brüssel überweisen. Das neue EU-Budget ist zwar noch nicht unter Dach und Fach, gilt aber bereits als historisch. Warum?

Schratzenstaller: Der neue Finanzrahmen für sich genommen ist gar nicht historisch. Die Mittel stagnieren bei gut einem Prozent der Wirtschaftsleistung der EU. Weil mit Großbritannien ein Nettozahler ausfällt, müssen andere einspringen. Durch Wachstum und Inflation steigt der Betrag ebenfalls automatisch. Historisch ist der neue Hilfsfonds „Next Generation EU” in Höhe von 750 Milliarden Euro, der von 2021 bis 2023 abgewickelt werden soll und über Schulden finanziert wird. Damit erreichen die EU-Mittel das Rekordvolumen von rund 1,8 Billionen Euro, auf dem der mediale Fokus lag. Wesentlich relevanter für die einzelnen Länder ist aber der Nettobeitrag, also was von der Beitragszahlung übrig bleibt, nachdem alles abgezogen wurde, was aus Brüssel wieder zurückfließt.

STANDARD: Das weiß man erst hinterher. Laut den jüngsten Zahlen der EU für 2018 lag der nationale Beitrag brutto bei knapp 3,3 Milliarden Euro, davon flossen fast zwei Milliarden Euro wieder zurück ins Land. Die Regierung hat aber diesmal im Block der „Sparsamen” einen Rabatt herausgeholt, außerdem fließen aus dem neuen Corona-Hilfsfonds auch Gelder. Lässt sich schon abschätzen, ob Österreich gut verhandelt hat?

Schratzenstaller: Dazu gibt es noch keine Gesamtsicht. Aus dem Corona-Wiederaufbaufonds könnten insgesamt rund drei Milliarden Euro nach Österreich fließen, wie der Brüsseler Thinktank Bruegel schätzt. Welches Land letztlich wie aussteigt, hängt aber von einigen Unwägbarkeiten ab. Die Auszahlungen aus dem Fonds sind an inhaltliche Vorgaben gekoppelt. Sie müssen vor allem für Klimaschutz und Digitalisierung ausgegeben werden, und die Länder reichen entsprechende Projekte ein, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssen. Am Ende wird man sehen, wer wie viel bekommt.

STANDARD: Ein Fonds für die nächste Generation, der auf Verschuldung bis zum Jahr 2058 basiert, ist das nicht ein Widerspruch?

Schratzenstaller: Die zentrale Frage ist ja die nach der relevanten Alternative. In der derzeitigen Situation, in der sich die EU zu sehr günstigen Konditionen verschulden kann, ist die Aufnahme von Schulden zur Überwindung der Corona-Krise und zur Finanzierung von zukunftsorientierten Investitionen, die der nächsten Generation zugutekommen, wohl nachhaltiger als der Verzicht auf eine europäische Initiative. Allerdings muss man darauf achten, dass die Mittel tatsächlich in Klimaschutz und Digitalisierung fließen, damit das Vorhaben nicht nur ökologisch, sondern auch fiskalisch nachhaltig wird.

STANDARD: Die Schulden würden sich damit rentieren. Die Länder müssen aber dafür bürgen. Besteht ein Risiko, dass mit der gemeinsamen Aufnahme von Schulden eine Haftungsunion entsteht, vor der gerade die frugalen Mitglieder öfters gewarnt haben?

Schratzenstaller: Nein, das ist keine Schuldenunion, bei der alle Mitglieder voll für alle Kredite haften. Jedes Land haftet nur für seinen Anteil am Fonds, der sich an der Wirtschaftsleistung bemisst. Wenn die EU die Schulden nicht zahlt, können Gläubiger nur einen kleinen Teil von Österreich fordern. Weil die EU im Namen aller Mitglieder zu günstigeren Konditionen Kredite aufnehmen kann, ist das sinnvoller, als wenn jedes Land separat Schulden aufnähme, um den Fonds zu befüllen.

STANDARD: Eigentlich soll Brüssel eigene Einnahmequellen erhalten, um die Schulden zu begleichen. Kann das funktionieren?

Schratzenstaller: Dieser – wenn auch zaghafte – Einstieg, der Union mehr innovative Eigenmittel zu verschaffen, ist einer der wesentlichen Fortschritte der Einigung im Rat. Geplant ist eine Plastik-Abgabe. Zudem soll die EU-Kommission einen Vorschlag für CO2-Zölle und eine Digitalsteuer vorlegen, die bis 2023 eingeführt werden sollen. Auch für eine Erweiterung des Emissionshandels auf Schiff- und Luftfahrt soll ein Vorschlag erarbeitet werden. Ein Vorteil dieser innovativen Eigenmittelquellen ist, dass sie wichtige Ziele der EU, etwa den Klimaschutz, unterstützen.

STANDARD: Eine Plastik-Abgabe und CO2-Zölle sollen bewirken, dass weniger Plastik verbraucht wird und weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. Wenn diese Umweltziele erreicht werden, würden auch die Einnahmen für die EU kontinuierlich sinken. Ist das eine geeignete Finanzierungsquelle?

Schratzenstaller: Wie bei allen grünen Abgaben ist es so, dass die Einnahmen schrumpfen, wenn sie ihren Lenkungszweck erfüllen. Daher sollte sich die EU-Finanzierung auf einen Korb von unterschiedlichen Quellen verlassen. Insgesamt sollten aber mit den derzeit diskutierten Optionen langfristig ausreichend ergiebige EU-Finanzierungsquellen zur Verfügung stehen. Aus so einem Mix ließe sich ein Teil der Mitgliedsbeiträge ersetzen. Ganz ohne nationale Beiträge wird es nicht gehen, um etwa Aufkommensschwankungen abzufangen.

STANDARD: Wie wird Österreich in den nächsten sieben Jahren von EU-Ausgaben profitieren?

Schratzenstaller: Nach Österreich fließen weiterhin Agrarförderungen, auf die viele Bauern angewiesen sind. Daran ändert sich auch im neuen Finanzrahmen nichts. Auch im Bereich der Forschung fließen hunderte Millionen an heimische Projekte, hier steigt Österreich traditionell überdurchschnittlich gut aus.

STANDARD: Gerade bei der Forschung hat die Kommission weniger stark aufgestockt, um die Rabatte für die „Sparsamen” zu ermöglichen. Schneidet sich Österreich da ins eigene Fleisch?

Schratzenstaller: Ein bisschen schon. Wie das dann unterm Strich ausschaut, wird man sehen. Das war auch der Preis dafür, dass insgesamt das EU-Budget nicht so stark wächst, wie es die Kommission ursprünglich wollte.

STANDARD: Ist die heimische Wirtschaft gut aufgestellt, um in den neuen Kernbereichen Klima und Digitalisierung Aufträge zu ergattern?

Schratzenstaller: Ja, Österreich profitiert indirekt, wenn heimische Unternehmen in anderen Ländern für EU-Projekte engagiert werden. Der Anteil der Ausgaben für den Klimaschutz wurde erfreulicherweise im jüngsten Vorschlag von 25 auf 30 Prozent der Gesamtausgaben erhöht. Im Bereich Umwelttechnologie, wo Österreich gut aufgestellt ist, können heimische Firmen punkten. Was gerne in der öffentlichen Diskussion vergessen wird, ist der Nutzen, der für Österreich aus der EU-Mitgliedschaft hervorgeht. Die EU-Integration hat viel Wohlstand bei uns geschaffen, der sich in den Nettopositionen nicht widerspiegelt.

STANDARD: Den Nutzen hat aber auch, wer einen höheren Rabatt beim Beitrag herausholt.

Schratzenstaller: Das stimmt. Aber es wird häufig so getan, als gäbe es nur Nettozahler und -empfänger. Dabei profitieren alle von der EU-Mitgliedschaft, manche halt mehr in Form von Transfers aus dem EU-Budget, andere mehr in Form von Exportüberschüssen.

STANDARD: Also kann man das Gerangel um die Beitragshöhe als Gewinnmaximierung bezeichnen. Ist ja auch legitim.

Schratzenstaller: Man müsste den Nutzen aus der EU-Mitgliedschaft jedenfalls stärker aus einer Gesamtperspektive kommunizieren statt als Nullsummenspiel. Das würde auch die Zustimmung der Bürger zur EU erhöhen. (Leopold Stefan)

Margit Schratzenstaller (51) ist Ökonomin beim Wifo im Bereich „Makroökonomie und Europäische Wirtschaftspolitik”. Die gebürtige Deutsche ist Mitglied des Fiskalrats der OeNB und im Vorstand der Gesellschaft für Europapolitik.

Quelle: https://www.derstandard.at/story/2000119093653/oekonomin- schratzenstallermargit-schratzenstaller-oekonomin-ueber-den-       billionenhaushaltsdeal-und-was-er