Frauenquote im Aufsichtsrat – Argumente neu denken

Frauenquote im Aufsichtsrat – Argumente neu denken

Last Updated on 2018-02-17

Brigitta Schwarzer

Das Echo auf meinen INARA-Beitrag vom 7. Februar zur AR-Frauenquote war überwältigend. Eine „Quote-auf-Zeit-Regelung“ fand breite Zustimmung, auch bei Männern. Darüber freue ich mich sehr und fühle mich ermuntert und ermutigt, meine diesbezüglichen Überlegungen unter Würdigung der vorgebrachten Gegenargumente in Form eines Frage- und Antworten Potpourris zu vertiefen. Dieses richtet sich an beide Geschlechter.

1.     Es kann doch nicht sein, dass männliche Aufsichtsräte ihren Platz zugunsten von Frauen räumen müssen!
Das stimmt. Es geht um Nachbesetzungen und Neubesetzungen, nicht um das Herausreißen von AR-Mitgliedern aus einer laufenden Funktionsperiode. Auch das Aufstocken von Gremien zur Erfüllung der weiblichen Quote hielte ich für nicht angebracht.

Dennoch wage ich einen Appell an Aufsichtsräte mit Mehrfachmandaten und an solche, die schon sehr lange in Funktion sind, was auf Kosten der Unabhängigkeit gehen kann. Ein vielbeschäftigter Aufsichtsrat, der die eine oder andere Funktion abgibt, damit mehr Diversität ins Gremium Einzug findet, verdient Applaus. Ebenso jener Aufsichtsrat, der über 10, 15 oder mehr Jahre im Amt ist und dieses freiwillig zur Verfügung stellt.

2.     Warum Quote statt „Bestbieterprinzip“ im Aufsichtsrat?
Bestbieterprinzip und Quote schließen einander nicht aus. Ausschließlich der oder die jeweils Beste soll für ein freies Mandat zum Zug kommen. Da im Aufsichtsrat neben der Fachkompetenz die persönliche Qualifikation, der öffentliche Bekanntheitsgrad und das Vertrauensverhältnis zu Aufsichtsrats- und Geschäftsleitungskollegen sowie den Eigentümern bzw. Eigentümervertretern eine besondere Rolle spielen, ist jedes Auswahlverfahren naturgemäß stark von subjektiven Elementen geprägt. Wenn zurzeit mehr Männer als Frauen damit  befasst sind, KandidatInnen für Aufsichtsratsfunktionen ausfindig zu machen, sind die Entscheidungsparameter männlich geprägt. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Tatsache. Gibt es eine Quotenvorgabe, so erhält das Thema „mehr Frauen in österreichische Aufsichtsräte“ in diesen Parametern eine höhere Gewichtung.

Erste Erfahrungen mit der gesetzlichen AR-Quote in Deutschland zeigen, dass dem genauso ist.

3.     Soll die Quote auch auf reine Familienunternehmen Anwendung finden?
Das Regierungsprogramm sieht es so vor und ich halte das für grundsätzlich richtig und gut. Wir dürfen nicht vergessen, dass von der Quotenregelung nur Firmen betroffen sind, die in Österreich börsennotiert sind oder mehr als 1.000 Mitarbeiter haben. All diese Firmen sind auf breiter Ebene öffentlich bekannt, sodass ihnen eine Vorbildwirkung zukommt.

Dennoch möchte ich zwei Anregungen machen. Es gibt eine Reihe von börsennotierten Gesellschaften mit weit unter 1.000 Mitarbeitern, deren Streubesitzanteil gering ist. Um ja keine weiteren Börsenabgänge zu „provozieren“, könnte man außerhalb des Prime Market Segments eine Ausnahmeregelung vorsehen, wenn der Streubesitz z.B. unter 10 % liegt.

Auf Gesellschaften, die sich über an der Wiener Börse notierte Unternehmensanleihen finanzieren, möchte ich dzt. nicht näher eingehen. Es ist noch nicht klar, ob diese – so sie unter 1.000 Mitarbeiter haben – überhaupt betroffen sind.

Auf der anderen Seite könnte man davon absehen, reinen Familienunternehmen eine feste AR-Quote per Gesetz vorzuschreiben. Jedenfalls müssten sie aber angehalten werden, in ihren Lageberichten zum Thema Frauenanteil im Vorstand und im Aufsichtsrat Stellung zu beziehen und eine ausführliche Erklärung zum Status quo und zur geplanten Entwicklung zu geben sowie diese Informationen auf ihren Websites zu veröffentlichen. Die Selbstregulierungskräfte des Marktes werden aus meiner Sicht über kurz oder lang dazu führen, dass auch Gesellschaften in Familienhand nicht umhin kommen werden, mehr Frauen in Organfunktionen zu berufen, um den Erwartungen aller Stakeholder und der Öffentlichkeit zu entsprechen.

4.     In manchen Branchen, besonders im Bereich Industrie, findet man trotz intensiver Suche keine passenden Frauen …
Das ist ein Satz, den ich schon von so manchem Mann, der sich durchaus als Verfechter der Chancengleichheit sieht, gehört habe. Ich frage mich, wo sich diese Männer umgehört bzw. wen sie gezielt nach einer Frauenempfehlung gefragt haben. Es stimmt schon, dass es weniger Eigentümerinnen, Unternehmerinnen und Managerinnen von Mittel- und Großunternehmen (aller Branchen) gibt, auch weniger Rechtsanwältinnen, Steuerberaterinnen und Wirtschaftsprüferinnen sowie Vertreterinnen von Interessenverbänden und Organisationen. Aber es gibt genug und es werden laufend mehr. Die meisten machen ihre Arbeit sehr gut. Nicht alle, aber viele von ihnen sind an Aufsichtsratsmandaten interessiert, aber – solange sie nicht als „Paradefrauen“ in der ersten Reihe stehen – werden sie selten bis gar nicht gefragt.

Warum ist das so? Meine Antwort ist simpel. Sie sind in den Köpfen der Männer nicht oder nicht ausreichend präsent, sodass Angebot und Nachfrage oft nicht zusammenkommen: Die Männer, die weibliche AR-Mitglieder suchen, finden sie nicht. Und den Frauen, die gerne Aufsichtsrat werden wollen, fehlt der Zugang. So warten die Männer, dass sich die Frauen zeigen und die Frauen, dass sie gefragt werden. Eine klassische Pattsituation also.

Ein Wort noch zur von Männern oft vorgebrachten fehlenden Branchenaffinität vieler Frauen, besonders in techniklastigen Firmen: Dieses Argument verstehe ich nicht. Im „idealen“ Aufsichtsrat sitzen – je nach Anzahl der Mitglieder – ein bis zwei Branchenkenner, ein Unternehmer, ein Finanzexperte, ein Jurist etc., darunter jedenfalls auch Branchenfremde. Niemand kommt auf die Idee, dass alle Aufsichtsratsmitglieder von Banken oder Versicherungen den gleichen fachlichen Background haben (was aus Wettbewerbsgründen auch problematisch wäre). Warum das für Unternehmen beispielsweise der Schwerindustrie anders gesehen wird, ist für mich nicht nachvollziehbar.

5.     Gibt es Abhilfe?
Geschlechterdiversität im Aufsichtsrat kann es nur geben, wenn beide Seiten einen Schritt machen. Die Männer müssten fokussiert nach Frauen suchen und die Frauen, die Interesse haben, sollten dies auch kundtun und sich positionieren.

Es reicht nicht, sich in eine Datenbank eintragen zu lassen und zu warten, dass die Angebote kommen. Das liegt zum einen daran, dass die Selektion aus einer Datenbank schwieriger ist, als es auf den ersten Blick scheint, aber die wahre Crux damit ist folgende: Die Schwelle für die Aufnahme ist zu niedrig. Weder wird eine aktuelle oder höchstens kurz zurückliegende mehrjährige Managementerfahrung mit Mitarbeiter- und Budgethoheit gefordert, noch einschlägige Vorerfahrung in Aufsichtsgremien. Ein AR-Kurszertifikat allein ist sicher zu wenig, die in Lehrgängen erlernten Fähigkeiten sind eine Selbstverständlichkeit.

Es wäre daher ein Gebot der Stunde, in den bestehenden, gut gefüllten, Datenbanken die Spreu vom Weizen zu trennen und Aufnahmekriterien (mit rückwirkender Geltung) zu definieren. Auch der Verbleib in der Datei sollte jährlich neu geprüft werden. Weiters wäre die Aufnahme von einschlägigen Referenzen gut und hätte eine gewisse bereinigende Wirkung.

6.     Was könnte man konkret tun?
Die im Finanzministerium angesiedelte Arbeitsgruppe Österreichischer Corporate Governance Kodex, deren Mitglieder von Firmen, der Wiener Börse und von diversen Institutionen und Interessenvertretungen, wie z.B. der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung kommen, wäre aus meiner Sicht prädestiniert dafür, sich der Sache anzunehmen. Das Thema Diversität im Aufsichtsrat – neben der Geschlechterdiversität geht es hier um die fachliche Unterschiedlichkeit der einzelnen Mitglieder sowie um die Altersstruktur und die Internationalität im Gremium – sollte unter besonderer Berücksichtigung der AR-Frauenquote rasch wieder auf ihre Agenda kommen. Damit wäre auch sichergestellt, dass Männer und Frauen gemeinsam diskutieren und Lösungsansätze für die praktische Umsetzung erarbeiten.

7.     AR-Frauenquote auf Zeit als Mittel zum Zweck?
Es wird hoffentlich in absehbarer Zeit so viele Frauen in den von einer AR-Quote betroffenen Unternehmen geben, dass sich diese über kurz oder lang erübrigt. Wenn es den Aufsichtsratsgremien gelingt, auch bei künftigen Vorstands- und Geschäftsführungsbestellungen einen steigenden Frauenanteil im Auge zu behalten, dann werden wir hoffentlich dafür gar keine eigene Quotenregelung benötigen.

8.     Ein Tipp für die Männer und einer für die Frauen …
Männer sollten etwaige Vorurteile abbauen und Frauen im Aufsichtsrat als bereichernd und horizonterweiternd ansehen. Dann werden die Frauen sicher verstärkt auf deren AR-Radar erscheinen.

Frauen, die ein Aufsichtsratsamt bekleiden möchten, rate ich, dies aktiv zu kommunizieren und nicht zu warten, bis sich etwas ergibt. Von Frauen, die bereits Aufsichtsrätinnen sind, wünsche ich mir, dass sie die Frauenquote nicht schlechtreden, weil sie es ohne Quotenregelung geschafft haben.

Mein INARA-Beitrag vom 7. Februar zur AR-Frauenquote.