Großzügigkeit muss finanziert werden

Großzügigkeit muss finanziert werden

Last Updated on 2021-03-25
Mag. Manfred Kainz

 

Österreich als Pensionsvorbild für Deutschland? (Politische) Kreise in unserem großen Nachbarland sehen das so, wie im Vorsorge Spezial des Börsen-Kurier 7/2021 berichtet. Differenzierter sieht man das hingegen etwa im Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Zum Ländervergleich Österreich – Deutschland hat Wifo-Leiter Christoph Badelt (selbst ehem. WU-Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik) dem Autor dieser Zeilen und der Börsen-Kurier-Story einen Kommentar des Wifo-Senior Economist und Pensionssystemexperten Thomas Url zukommen lassen.

Hier die Kernaussagen:

Ersatzraten als eine Seite
Die individuelle Pensionsleistung steht sowohl in Österreich als auch in Deutschland in enger Beziehung mit der Zahl der Beitragsjahre und der Höhe des Bruttoeinkommens. Grundsätzlich steigern eine längere Erwerbsdauer und ein höheres Bruttoeinkommen die erwartete Pensionshöhe in beiden Ländern. Das Verhältnis zwischen der ersten Pensionsleistung und dem letzten Aktiveinkommen wird als „Einkommens-Ersatzrate“ bezeichnet und zeigt die „Großzügigkeit“ eines staatlichen Pensionssystems. In Deutschland betrug dieses Verhältnis laut dem „EU-Ageing Report“ 2018 z. B. 37,8 Prozent, während es in Österreich bei 44,4 Prozent lag. Das heißt: Zum Pensionsantritt wird in Österreich ein deutlich höherer Anteil des Letzteinkommens durch die Pensionsleistung ersetzt.  Dementsprechend summieren sich die Pensionsausgaben in Deutschland auf „nur“ zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes, während es in Österreich rund 14 Prozent sind. Das deutsche Pensionssystem sieht aus diesem Blickwinkel betrachtet also weniger vorteilhaft (für die Pensionsempfänger) aus.

Andere Medaillenseite
Ein Blick auf die andere Seite der Medaille, nämlich die Einnahmenseite, zeigt jedoch, dass höhere Pensionsleistungen auch vermehrte Einnahmen brauchen. Da die Pensionsleistungen in einem Umlageverfahren durch laufende Einnahmen finanziert werden, sind in beiden Ländern einkommensbezogene Beiträge der Versicherten vorgesehen. In Deutschland werden vom Bruttoerwerbseinkommen 18,7 Prozent als Beiträge für die Finanzierung der Pensionen eingehoben; in Österreich sind es 22,8 Prozent. Die Erwerbstätigen in Deutschland müssen also für ihre – niedrigere- zukünftige Pension auch geringere Abschläge vom Bruttoeinkommen hinnehmen.

Zuschüsse
Die Beitragszahlungen der österreichischen Versicherten reichen aber nicht zur vollständigen Finanzierung der Leistungen aus. Laut dem aktuellen EU-Ageing Report hatte das deutsche Pensionssystem einen geringen Finanzierungsüberschuss, während in Österreich etwa 4,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vom Staat zugeschossen werden mussten. Der österreichische Bundeszuschuss zu den Pensionen finanziert die Teilversicherungszeiten (Präsenzdienst, Karenzzeiten u.a.), die Ausgleichszulagen (zur Deckung der Mindestpension), die Partnerleistung des Bundes für Selbständige und die allgemeine Ausfallshaftung des Bundes.

 Kritischer Ausblick
Für die nächsten Jahre ist ein beträchtlicher Anstieg des Bundeszuschusses zu erwarten, weil die ersten geburtenstarken Jahrgänge ins Pensionsalter vorrücken und damit die Zahl der Neupensionen steigen wird und weil gleichzeitig die angespannte Lage am Arbeitsmarkt die erwarteten Beitragseinnahmen reduziert. Da die öffentlichen Budgets durch die COVID-19 Hilfsmaßnahmen ohnehin stark belastet sind, könnte eine zusätzliche Budgetbelastung im Sozial-, sprich Pensionsbereich andere -zukunftsweisende- öffentliche Ausgabenpositionen (z.B. für Bildung, Klimaschutz, Forschung & Entwicklung) beschränken.

Was tun?
Aus wirtschaftspolitischer Sicht erscheint die altersgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen für ältere Erwerbstätige (55 bis 65 Jahre) als ein vielversprechendes Instrument mit mehrfachem Nutzen: Sie könnte den Andrang zur vorzeitigen Pensionierung drosseln, erzeugt gleichzeitig Beitragseinnahmen und deckt die hohe Nachfrage nach Fachkräften. Zur Ausgabeneinsparung sollte die reguläre Pensionsanpassung kurz- bis mittelfristig strikt an der Inflationsrate ausgerichtet werden. Langfristig muss sich Österreich fragen, ob die Konzentration des Pensionssystems auf das Umlageverfahren in Kombination mit hohen Einkommensersatzraten für mehr als 90 Prozent der Erwerbstätigen sozialpolitisch sinnvoll ist. Und: Der schwache Umfang betrieblicher und privater Altersvorsorge stellt auch für den österreichischen Kapitalmarkt einen Hemmschuh dar.