Im Gespräch: Hanna Molden: “Dieses Europa ist immer noch die beste Idee für die Zukunft”

Im Gespräch: Hanna Molden: “Dieses Europa ist immer noch die beste Idee für die Zukunft”

Last Updated on 2021-02-18
diepresse.com / Anna-Maria Wallner, 11.02.2021

Hanna Molden, Autorin und Witwe von Fritz Molden, ist 1940 in Wien geboren und hat die Entstehung der EU und Österreichs Rolle darin begleitet. Für das „Europäische Archiv der Stimmen“ teilt sie ihre Lebenserinnerungen. Ein Auszug dieses Gesprächs.

Frau Molden, welche Erinnerungen haben Sie an Ihren Geografieunterricht? Über welche Länder wurde gesprochen?

Hanna Molden: Da fragen Sie mich was, ich bin eine alte Frau, was kann ich mich noch an den Geografieunterricht erinnern? Ich habe schon den Eindruck, dass wir etwas von der Welt mitgekriegt haben. Der Globus wurde uns erklärt – wo liegt was. Ich kann mich an den Namen der Geografieprofessorin erinnern, aber wie viel meines geografischen Wissens ich ihr verdanke, könnte ich nicht mehr sagen.

War Europa als Staatengefüge damals so kurz nach dem Krieg überhaupt wichtig?

Die Nachbarländer schon, aber nicht das gemeinsame Europa. Man hat natürlich gehört vom Namen Europa und dem Stier in der griechischen Mythologie. Aber nein, eigentlich nicht.

Und wann wurde dieses Europa als Union, zu der Österreich bis 1995 nicht gehört hat, greifbar für Sie?

Da war ich schon an der Universität, als ich das wirklich für mich als eine Option begriffen habe.

Wie hat sich das für Sie angefühlt, nicht Teil dieser Union zu sein?

Das hat mich an sich nicht berührt, aber als es dann losgegangen ist, diese Bemühungen zum EU-Beitritt Österreichs begonnen haben, da wollte ich dann dazugehören. (. . .)

Was war Ihr erster richtiger Beruf?

Der war eigentlich nie. Ich habe mich in Frankreich verlobt, dann kam ich zurück nach Wien, dann hab ich mein letztes Rigorosum gemacht, und am Tag nach dem Rigorosum habe ich den Verleger Fritz Molden getroffen auf einem Fest. Und am Ende dieses Abends bin ich nach Hause gekommen und habe meinen Bräutigam angerufen und gesagt, ich kann dich nicht heiraten. C’est fini. Weil ich habe mich verliebt. Wir waren acht Wochen vor der Hochzeit. Und ich hatte keine Ahnung, wie das alles wird. Der Molden hat sofort gesagt, ob wir uns am nächsten Tag wieder treffen können. Das schon. Aber ob alles so wird, wie ich wollte, wusste ich nicht. Ich habe nur gewusst, wenn ich mich so in jemanden verknall’, dann kann ich nicht heiraten. Ich habe damals für den alten Richard Coudenhove-Kalergi (den Gründer den Pan-Europa-Union, Onkel von Barbara Coudenhove-Kalergi) gearbeitet, sein Büro in Ordnung gebracht. Einer der schönsten Menschen, die ich je gesehen habe. Da war ein Paneuropa-Kongress, und die haben mich gefragt, ob ich diesen Kongress organisieren kann. Da traf ich die seltsamsten Figuren, das war wie eine andere Welt. Ich habe diesen Kongress für den Coudenhove noch gemacht, dann war ich, bums, verheiratet. Dann habe ich mich zuerst in dieses Leben von Fritz Molden einleben müssen. (. . .)

In welchem Jahr sind wir jetzt?

1966. Da war er schon Verleger, aber das Pressehaus war noch nicht verkauft. Die Druckereien hatte er noch. Das war die Zeit, in der er am meisten verdient hat mit den Druckereien, aber fad war ihm. Irgendetwas muss ich machen, hat er gesagt. Und dann haben Gerd Bacher und er beschlossen, einen Buchverlag zu gründen. Dann sind sie beide auf die Frankfurter Buchmesse gefahren und sind herumgegangen und haben sich bei den großen Verlagen erkundigt, wie man eigentlich Bücher verlegt. Und alle haben gesagt, die zwei aus Österreich, die Deppen, das ist ja lachhaft. Sie waren eine Lachnummer. Ein Jahr später war der Molden Verlag auf der Frankfurter Buchmesse, zwei Jahre später hingen dort riesige Banner: „Wissen ist Macht, lesen Sie ein Molden Buch“.

1982 kam der Konkurs Ihres Mannes. Das hat dazu geführt, dass Sie auch Ihr Haus in Wien verloren haben und nach Alpbach in Tirol gezogen sind. Wie war diese Zeit?

. . . dieser Fall, meinen Sie? Der war unglaublich, deshalb, weil niemand wirklich daran geglaubt hat, dass es so weit kommt. Es war sehr komisch. Im Mai ist es zum Konkurs gekommen, im Februar waren mein Mann und ich einmal abendessen. Ich hatte nach einem Skiunfall ein gebrochenes Bein. Und er fragte mich: „Weißt du, was ein Konkurs ist?“ „Natürlich weiß ich das.“ Und er hat gesagt: „Aber weißt du, was dann passiert, wenn jemand in Konkurs geht?“ Also hat er mir haargenau geschildert, was passiert, wenn man in Konkurs geht. Und er hat gesagt: „Wir sind in Schwierigkeiten, und es könnte sein.“ Und dann war das wirklich so. Das ist schiach, dann kommen die Banken, da war ja schon alles verpfändet. Da kommen die Direktoren von den Banken und sagen: „Verzeihen Sie, gnädige Frau, wir nehmen jetzt die Bilder ab.“

Da war mein Mann Gott sei Dank nicht mehr da, das habe ich alles allein gemacht, weil zur selben Zeit ist seine jüngste Tochter mit 23 Jahren gestorben. Das war für ihn furchtbar, und sein Bruder, Otto, hat ihn dann gleich nach Alpbach verfrachtet. Meine Mutter ist mit den Kindern, die wir aus den Schulen genommen haben, aufs Land gefahren. Ich habe dann diese ganze Abwicklung gemacht. Da kommt eines Tages einer mit einem jungen Mädchen und hat alles aufgenommen. „Fräulein, schreiben Sie“, hat er immer gesagt: „Also, was haben wir denn da? Schreibtisch antik, möglicherweise.“

Die Familie hat dann von Ihrem Einkommen gelebt?

Eigentlich ja! Ich musste ja das Schiff steuern. Mein Mann war fertig. Da war nichts mehr, da kam keine Hilfestellung mehr von ihm. Es gab auch diesen Moment, als er gesagt hat: „Am liebsten würde ich mich erschießen.“ Er hatte eine Pistole, und ich habe gesagt: „Okay, wunderbar, geh, schieß dich tot, aber ich weine dir keine Träne nach. Du kannst uns jetzt nicht in der Scheiße sitzen lassen. Jetzt nicht.“ Er hat sich umgedreht und angefangen zu arbeiten. Das war unglaublich mutig, der Mann war 58 und hat von der Pike auf wieder eine Existenz begonnen. Bruno Kreisky wollte meinen Mann halten, Hannes Androsch nicht. Das war ein Konflikt zwischen Kreisky und Androsch. Kreisky hat geschaut, dass mein Mann das Kulturinstitut in New York bekommt. Da saß aber ein Freund von meinem Mann, und da hat er gesagt, er kann doch nicht einem Freund den Job wegnehmen. Aber dann war da Hugo Portisch, der für seine TV-Serie über österreichische Zeitgeschichte Hilfe gebraucht hat, und dafür hat mein Mann sehr viele Recherchen gemacht. Und dann hat er die Idee zur Filmreihe „Auf rot-weiß-roten Spuren“ über Auslandsösterreicher gehabt.

Irgendwann war er in New York, hat den Oskar Bronner getroffen, den er gut gekannt hat. Mein Mann hat damals gefunden, die österreichische Zeitungslandschaft ist am Boden und der Ossi mit seinen Talenten soll da nicht rumsitzen und malen, sondern soll was tun und eine Zeitung gründen. Und so kam es. Der „Standard“ wurde gegründet, und dann hat mein Mann drei Jahre für den „Standard“ die Blattkritik gemacht. Täglich ist er um drei Uhr aufgestanden, hat um vier Uhr das Haus verlassen, ist in die Redaktion gefahren, hat sämtliche Zeitungen durchgeschaut und ausgeschnitten und dem Ossi vorgelegt. Das war sehr sehr gut bezahlt. Und dann hat er wieder einen kleinen Verlag gemacht.

Die Mutter Ihres Mannes war Paula Preradović, die Dichterin der österreichischen Bundeshymne („Land der Berge“). Welche Rolle hat das für deren Sohn – Ihren Ehemann – gespielt, diese Herkunft?

Die Bundeshymne ist nur ein Schmankerl dabei. Das ist es nicht. Es muss die Atmosphäre dieses Elternhauses gewesen sein, ein Biedermeierhaus. Sie hatten eine Wohnung in der Osterleitengasse (im 19. Bezirk in Wien, Anm.),und in diesem Salon hat sich alles, was literarisch, politisch, historisch interessiert war, getroffen. So sind diese beiden Männer, der Otto und der Fritz Molden, groß geworden (. . .). Über die Bundeshymne haben sie eigentlich immer nur gelacht. Da haben sie sogar eine Witzhymne gemacht, die Mama am Klavier, und sie haben gedichtet: „Land der Erbsen, Land der Bohnen, Land der vier alliierten Zonen, wir verkaufen dich im Schleich.“ Das ist lustig, denn der Strache (Heinz-Christian, Anm.) hätte uns auch im Schleich verkauft (zu übersetzen mit „hinterrücks verkauft“, Anm.).Also die Bundeshymne selbst war es nicht, es waren diese Eltern, die sie unglaublich geprägt haben. Und schon der Stolz auf die Mutter.

Seit einigen Jahren sind neben den Söhnen auch die „Töchter“ in der Bundeshymne verewigt. Hat Ihr Mann das noch mitbekommen, und wie stand er dazu?

Das ist in unserem Haus in Alpbach losgebrochen. Da kam Maria Rauch-Kallat (ehem. Frauenministerin, ÖVP, Anm.), hat den Fritz beiseitegenommen und gefragt, was er dazu sagen würde, wenn man die Töchter in die Hymne aufnehmen würde. Ich glaube, er hat zunächst gelacht, und dann hat er gefunden, man fuhrwerkt nicht in einem literarisches Werk, aber wenn es ihr ein Anliegen ist, soll sie es probieren. Und es ist ja dann schließlich auch durchgegangen. Wir alle fanden es vernachlässigbar. Auch mein Sohn Ernst wird immer wieder dazu befragt, und er sagt immer, die Bundeshymne sei nicht der beste Text seiner Großmutter. Ich finde, es ist ein Blödsinn, weil man müsste so vieles ändern. Was ist mit der Marseillaise? Das ist ja lächerlich; das war eine dumme Wählerfängerei. Das ist meine Meinung. Und wenn die Bundeshymne gesungen wird, bleibe ich verbissen bei den Söhnen.

Kommen Sie manchmal dazu, die Europahymne zu singen oder zu hören?

Immer wieder. Das rührt mich zutiefst, schon wegen der Melodie. Die ist ein Meisterstück. Das geht unter die Haut.

Fühlen Sie sich als Europäerin?

Absolut. Ich bin Österreicherin und Europäerin.

Wie empfinden Sie es, in diesem Europa alt zu werden?

Ich würde es noch sehr gern erleben, wie es in 20 Jahren ist. Das werde ich nicht erleben, aber das wüsste ich sehr gern. Ich bin sehr gespannt, wie Ursula von der Leyen das angeht. Ich bin sonst nicht so für dieses „Frauen um jeden Preis“, sondern folge hier mehr dem Indianerprinzip „Zusammen geht alles gut“. Aber ich glaube, dass die Tatsache, dass nun eine Frau die Kommissionspräsidentin ist, gut ist. Weil Frauen Probleme anders angehen, sie haben ein anderes Machtgefühl.

Mit welchem Gefühl haben Sie als junger Mensch in die Zukunft geblickt?

Ohne Angst.

Obwohl da diese frühe Kriegserfahrung war?

Ja, das waren traumatische Erfahrungen, aber es ist lichter geworden. Es war auch mein Stiefvater, der mir als Kind diese Sicherheit gegeben hat. Mein Stiefvater war Apotheker – Apotheken stehen für Sicherheit –, dazu kam dieser wunderbare Mensch. Von da an war ich einfach auf einer Schiene, die nur positiv war. Es ist ja auch alles leichter und besser geworden. Ich weiß noch, wie Hunger war, und plötzlich war Hunger kein Thema mehr. Es wurde alles reicher, es wurde alles gepolsterter. Es ging immer aufwärts. Aus meiner Sicht war der Höhepunkt erreicht vor vielleicht 15 Jahren.
Da war dann das Gefühl: Kann es noch besser werden? Dann kamen diese sehr starken bewaffneten Auseinandersetzungen. Wer Krieg erlebt hat, den berührt das – ich weiß, dass viele jüngere Menschen nie eine Bombe fallen gehört haben. Wenn du dir vorstellst, Syrien, wo der Bombenhagel niedergeht. Das geht einem schon unter die Haut. Es wird einem dann noch mehr bewusst, wie gut es einem geht, dass es hier nicht ist. Jetzt denke ich mir, die Generation meiner Enkel, die wird das schon meistern, ihre Welt – die machen das schon. Aber sie wird sich sehr weit weg entwickeln von diesen 40 Jahren Aufwärtsgehen, Friede, nix passiert – du lebst im Paradies eigentlich.

Denken Sie selbst viel über die Zukunft nach, oder ist das etwas, was man als Mensch mit einiger Lebenserfahrung . . .

. . . über das, was sein wird in 40, 50, 60 Jahren, eigentlich nicht. Wenn ein Leben sich so in Richtung finis bewegt, versucht man, das Beste aus dem zu machen, was man noch hat. Wenn du jung bist, dein Leben noch vor dir hast, dann willst du bewegen, dann willst du der Welt einen Haxen ausreißen. Wenn man alt ist, weiß man, dass das kaum mehr drin ist. Aber es ist wichtig, das in Würde zu Ende zu bringen und nie den Anschluss an das Jetzt zu verlieren. Jetzt ist ja auch sehr wichtig. Man kann über die Zukunft noch so viel debattieren, wenn du mit dem Jetzt nicht fertig wirst – was soll’s? Die EU in 20 Jahren, Utopie, vielleicht sind wir die Weltmacht Nummer eins? Sicher nicht, aber vielleicht solide Nummer drei, und sind uns einig und singen die Europahymne – aber das alles kann nur stattfinden, wenn das Jetzt bewältigt wird.

Haben Sie für die jungen Europäer eine Botschaft oder einen Gedanken zum Schluss?

Dass dieses Europa die beste und eigentlich die einzige sinnvolle Idee ist für die Zukunft. Da muss man dranbleiben, weil . . . was sonst? Meine Utopie: Es wäre schön, wenn sich die Nervosität dieses Jahrtausends etwas gelegt hätte; dass sich die großen Blöcke sagen: „Hallo, ist ja blöd, wenn wir uns zu Tode konkurrenzieren, machen wir doch ,eine Welt‘“.

Anna-Maria Wallner hat das Gespräch als Vertreterin Österreichs für das „Europäische Archiv der Stimmen“ geführt und aufgenommen im August 2019. Das eineinhalbstündige Interview über die Kriegskindheit, Moldens Bezug zu Religion, das Reisen in Europa und vieles mehr können Sie hier nachhören: https://arbeitaneuropa.com/interviews/hanna-molden/ 

Molden und Wallner waren am 29.12. auch zu Gast bei Marlene Nowotny in der Ö1-Sendung “Punkt eins” und sprachen über das Projekt.

Steckbrief

Hanna Molden, 1940 in Wien als Hanna Bernhard geboren, sie pendelt später ihr Leben lang zwischen der Stadt und dem Tiroler Ort Alpbach. Sie studiert und promoviert in Staatswissenschaften. Molden schreibt Bücher und Kolumnen für „Bunte“, „Krone“, „Cosmopolitan“ und „Wochenpresse“.

Familie: Sie war fast 50 Jahre mit Fritz Molden (1924–2014) liiert, dem Widerstandskämpfer und Erben der Tageszeitung „Die Presse“. Er verkaufte seine Anteile am Zeitungsverlag und machte sich mit einem Buchverlag selbstständig, der 1982 in den Konkurs geriet. Einer ihrer beiden Söhne ist der Musiker und Autor Ernst Molden.

Hanna Molden ist die österreichische Stimme im „Europäischen Archiv der Stimmen“. Mehr unter: https://arbeitaneuropa.com/european-archive-of-voices/

Quelle: https://www.diepresse.com/5933854/hanna-molden-dieses-europa-ist-immer-noch-die-beste-idee-fur-die-zukunft