16 Dec Interview: Aufsichtsrat sollte Nachhaltigkeit am Radar haben
Last Updated on 2020-01-20
Er gilt als der Experte für Nachhaltigkeit und Corporate Governance in Deutschland: Rudolf X. Ruter, erläutert im INARA-Gespräch, warum sich Aufsichtsräte nicht nur mit Kennzahlen, sondern auch mit Werten, Ethik und nachhaltiger Unternehmensführung beschäftigen sollten.
INARA: Wie kann der Aufsichtsrat das Wertesystem eines Unternehmens beeinflussen? Er ist ja nicht operativ tätig, sondern fungiert ausschließlich als Aufsichtsorgan.
Rudolf X. Ruter: Der Aufsichtsrat ist der oberste Hüter der Sinn- und Werteorientierung. Jedes Unternehmen muss noch vor allen anderen organisatorischen Vorschriften, Regeln oder Prozessen für sich zunächst ein eigenes Sinn- und Wertesystem definieren, nach dem es handeln will. Und das gehört sehr wohl in die Verantwortung des Aufsichtsrates ebenso wie es auch in seinen Verantwortungsbereich gehört, Planung und nachhaltige Strategien zu überprüfen und sicherzustellen, dass die Strategien im Unternehmen auch entsprechend umgesetzt werden. So gesehen ist er der Hüter der betrieblichen Sinn- und Werteorientierung.
INARA: Wie ist seitens des Aufsichtsrates im Sinne einer nachhaltigen Unternehmensführung mit Risiken umzugehen?
Ruter: Grundsätzlich muss das Unternehmen auch für Extremfälle gerüstet und vorbereitet sein. Der „Schwarze Schwan“ – also ein unerwartetes Ereignis von enormer Tragweite – kann jeden treffen (vgl. Cyberkrimininalität). Wer das verstanden hat, hat auch ein adäquates Risikomanagementsystem etabliert, um seine Risiken zu überwachen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Die deutsche Wirtschaft hat das nach der Finanzkrise 2009 eindrucksvoll gezeigt. Wir haben damals eine extrem kritische Phase durchgemacht. Aber zahlreiche Firmen haben viel daraus gelernt und erkannt, dass man eine Krise nicht nur überstehen, sondern aus ihr auch gestärkt hervorgehen kann, sofern man umsichtig und langfristig vorbereitet ist.
INARA: Sie haben zum Thema Nachhaltigkeit viel publiziert, so etwa den Artikel „Die Rolle des Aufsichtsrats im Rahmen einer nachhaltigen Unternehmensführung“ in der Zeitschrift für Corporate Governance ZCG 01/2012 sowie als Mitherausgeber des Buches „Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung“. Was kann sich ein Aufsichtsrat daraus für seine Arbeit mitnehmen?
Ruter: Aufsichtsräte und Beiräte müssen sicherstellen, dass die Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung implementiert werden. Dabei geht es weniger um ein ausgefuchstes Regelwerk im Sinne eines Compliance-Risikomanagementsystems. Wir zeigen vielmehr Grundsätze, Orientierungspunkte bzw. Leitplanken für das unternehmerische Handeln auf. Wichtig sind dabei vor allem zwei Punkte: ein Aufsichtsrat muss fachlich und persönlich kompetent sein und er muss unabhängig sein. Da geht es meiner Meinung vor allem um eine geistige, sprich immaterielle Unabhängigkeit. Das bedeutet, dass ein Aufsichtsrat keinerlei Verpflichtungen hat, die ihn beeinflussen, und er daher bei seinen Entscheidungen allein seiner eigenen Erfahrung und Meinung folgen kann. Wenn ein Aufsichtsrats-Gremium das schafft, dann sind die Voraussetzungen für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg gegeben.
INARA: Kurzfristige Strategien und überhöhte Renditeziele werden ja schon seit Jahren kritisch hinterfragt. Mittlerweile ist die Verantwortung und die damit verbundene persönliche Haftung gegenüber Gesellschaft und Ökologie auch in Regelwerken festgehalten. Können Sie uns dafür Beispiele nennen?
Ruter: Im Deutschen Corporate Governance Kodex sind schon seit längerem ethische Handlungsleitlinien für eine nachhaltige Unternehmensführung formuliert. Daran sollte sich auch der Aufsichtsrat orientieren, in dem er diese vom Vorstand einfordert und die Einhaltung überwacht. Dies auch deshalb, weil neue gesetzliche Regelungen Aufsichtsräte stärker als früher in die persönliche Haftung nehmen und auch höhere Anforderungen an deren Qualifikation stellen.
INARA: Transparenz in der Berichterstattung wird in Ihrem Buch ebenfalls behandelt. Was bedeutet das für die Aufsichtsratsberichterstattung?
Ruter: Die Berichterstattung des Aufsichtsrates ist heute meist noch viel zu standardisiert und formelhaft. Es wird darin in den wenigsten Fällen mitgeteilt, was der Aufsichtsrat in den vergangenen zwölf Monaten tatsächlich gemacht hat. Wenn Sie die Aufsichtsrats-Berichte der 30 DAX-Unternehmen nebeneinanderlegen, sind die bis auf den Firmennamen fast identisch.
INARA: Warum sollte der Nachhaltigkeitsberichterstattung vom Aufsichtsrat mehr Wert beigemessen werden?
Ruter: Untersuchungen zeigen, dass der Nachhaltigkeitsbericht in vielen Firmen vom Aufsichtsrat nicht einmal besprochen und von ihm auch nicht freigegeben wird. Das ist schade, denn die Nachhaltigkeitsberichte, die heute bis zu 200 Seiten und mehr umfassen können, enthalten oft mehr Informationen als die klassischen financial reports.
INARA: Was heißt das konkret für den Aufsichtsrat?
Ruter: Transparenz in der Berichterstattung ist ganz wichtig. Der Aufsichtsrat sollte darauf bestehen und auch verlangen, dass ihm der Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt wird. Auch wenn das bedeutet, dass er dann bis zu 200 Seiten zusätzlich zu den klassischen Bilanzunterlagen durcharbeiten und freigeben muss.
INARA: Können Sie uns noch ein Beispiel aus dem Unternehmensleben nennen, wo ethische Gesichtspunkte wichtig sind?
Ruter: M&A- und Synergie-Spezialisten führen oft bei Unternehmensübernahmen eine umfangreiche und unterschiedliche Due Diligence durch und prüfen das zu erwerbende Unternehmen auf Herz und Nieren. Aber in den wenigsten Fällen wird dabei darauf geachtet, ob die Führungskräfte des Übernahme-Objektes eine Sinn- und Wertorientierung haben, die zu jener im eigenen Unternehmen passt. Dabei ist dieser Punkt ganz entscheidend dafür, ob ein Merger erfolgreich ist oder zum Flop wird.
Ruter: Und wie kann sich der Aufsichtsrat hier einbringen? Sollte er eine ethische Due Diligence einfordern?
INARA: Wichtig ist weniger das Einfordern als das Vorleben. Tone at the Top. Es geht darum, dass auch Themen wie Ethik und Sinn- und Wertorientierung, wie sie im Unternehmen und auch von den Führungskräften gelebt werden sollen, vom Aufsichtsrat vorgelebt und regelmäßig angesprochen werden. Ob man das dann ethische Due Diligence nennt, ist nicht so wichtig.
Website: www.ruter.de
Autorin: Brigitta Schwarzer