Interview: Der Frust mit der Videokonferenz

Interview: Der Frust mit der Videokonferenz

Last Updated on 2020-04-08
Beim virtuellen Meeting müssen wir auf die nonverbale Kommunikation weitgehend verzichten. Das irritiert uns, erzeugt Stress. Was man tun kann, damit es im „virtual office“ dennoch halbwegs gut läuft, erläutert Kommunikationsexpertin Elisabeth Pechmann.

INARA: Wegen der Corona-Krise boomen derzeit Video-Konferenzen. Doch sehr oft sind sie mühsam und nicht sehr effizient. Woran liegt das?
Elisabeth Pechmann: Im Video-Meeting fehlen uns viele Faktoren, aus denen wir bei „echten“ Sitzungen wichtige Eindrücke gewinnen und so unsere Gesprächspartner leichter einordnen können. Wir sind also beim virtuellen Meeting quasi im verhaltenspsychologischen „Blindflug“ unterwegs, weil wir nur die Gesichter der Gesprächspartner sehen, dazu etwas von ihrem Outfit und dem Styling – aber da auch nur bis zur Brust – sowie den gewählten Hintergrund.

INARA: Warum sind im Umgang der Menschen miteinander nicht bloß die Worte, das Gesagte wichtig, sondern auch die nonverbale Kommunikation?
Pechmann: Zahlreiche Studien besagen, dass zwischen 80 und 90 Prozent des Gesagten nicht nach dem „Was“, sondern nach dem „Wie“ beurteilt werden, also über Faktoren wie Stimmlage, Mimik, Körperhaltung usw. Wir Menschen reagieren eben weitgehend automatisch auf Reize, die uns vielfach gar nicht bewusst sind, und haben den Großteil unserer verhaltenssteuernden Programme im Hintergrund laufen.

INARA: Können Sie uns Beispiele nennen, welche Faktoren bei einer Videokonferenz fehlen?
Pechmann: Verhalten, wie zum Beispiel Körpersprache, sagt sehr viel über einen Menschen aus – auch beim Business-Meeting. Das beginnt schon beim besitzergreifenden Handschlag oder der Art, wie manche Sitzungsteilnehmer sich sofort die beste Position am Konferenztisch sichern, dort ihr Revier mit ausgebreiteten Akten markieren oder wie zufällig den Schlüssel ihres teuren Autos herumliegen lassen. Andere argumentieren mit vollem Einsatz für ihr Projekt, schlingen aber gleichzeitig ängstlich ihre Knöchel um die Stuhlbeine. Diese Beispiele ließen sich nahezu endlos fortsetzen.

INARA: Spielt auch die Technik eine Rolle?
Pechmann: Natürlich! Sehr oft sind bei Videokonferenzen die Netzverbindungen wacklig und die Mikrofone schlecht. Das verfälscht die Stimmlage, aus der man im persönlichen Gespräch viel erkennen kann. Und in den flachen Pixel-Gesichtern auf dem Bildschirm kann man nur schwer ausmachen, ob das Gegenüber einer Wortmeldung eher zustimmt oder sie ablehnt.

INARA: Sie haben den Hintergrund erwähnt. Warum sitzen eigentlich die meisten Menschen bei Skype-Interviews oder Videokonferenzen vor Bücherwänden oder irgendwelchen Kunstwerken?
Pechmann: Das ist eine nonverbale zwischenmenschliche Botschaft, in der Fachsprache nennt man das einen „sozialen Code“. Wer sich vor seinen Büchern oder einem Gemälde präsentiert, will als intelligent, gebildet und materiell potent wahrgenommen werden. Im persönlichen Umgang haben wir für solche „Codierungen“ unzählige Verhaltensweisen und Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, die im „virtual office“ fast völlig fehlen.

INARA: Sind Videokonferenzen deshalb weniger effizient?
Pechmann: Die Mangelerscheinungen bei der sozialen Interaktion per Video nehmen wir unbewusst als Inkonsistenz wahr. Das irritiert uns und bedeutet Stress. Deshalb kommt es zur Ausschüttung von Cortisol, das ja als Stress-Hormon gilt, wir fühlen uns unwohl und treffen auch schlechtere Entscheidungen.

INARA: Wie kann man im „virtual office“ aus dieser Falle herauskommen?
Pechmann: Manche Studien zeigen, dass sich der Organismus von Menschen, die regelmäßig und ganz alltäglich virtuell interagieren, allmählich anpasst. Vor allem von jüngeren Menschen, die dauernd per WhatsApp kommunizieren, wird dann ein Daumen-hoch-Emoji ebenso als Belohnung wahrgenommen wie ein ermunterndes Lächeln. Bei den Älteren wird das freilich weniger gut funktionieren. Manches kann man auch substituieren: Wenn das anerkennende Schulterklopfen nicht möglich ist, kann man beispielsweise den zustimmenden Gesichtsausdruck verstärken.

INARA: Was kann man noch tun, um die Effizienz von Videokonferenzen zu steigern?
Pechmann: Ratschläge zu Technik und Handwerk einer erfolgreichen Videokonferenz werden derzeit ja überall in großer Zahl angeboten, von Bandbreite über Bildausschnitt bis Meeting-Moderation. Wer diese Empfehlungen umsetzt, kann einiges an Irritation ausschalten und sich besser auf das zwischenmenschlich Wesentliche konzentrieren. Außerdem laufen im Internet und auf allen TV-Kanälen momentan unzählige Skype-Interviews, Video-Diskussionen und Zoom-Sessions. Als unbeteiligter Beobachter kann man da gut abschauen, was klappt und was nicht. Und wir sollten uns gezielt bewusst machen, was uns alles bei einer Video-Session stört. Wenn man das erkennt, lichtet sich der Blindflug-Nebel schon ein wenig.

@ Ogilvy

 

Elisabeth Pechmann, B.A. – geb. in Wien, Studium der Wirtschaftspsychologie und Betriebswirtschaft, mit ihrem Beratungsunternehmen PECHMANN_NETZWERK spezialisiert auf business-kritische Strategie- und Kommunikations-Themen wie Märkte, Marke, Krise und Change.

www.pechmann.co.at

Autorin: Brigitta Schwarzer