20 Oct Interview: Nobelpreisträger Anton Zeilinger: “Pfeif drauf, was andere sagen”
Last Updated on 2022-10-20
Der Werdegang von Quantenphysiker Anton Zeilinger zeigt, wie Spitzenforschung in Österreich möglich ist – und welche Widerstände es gibt
standard.at / Tanja Traxler, 08.10.2022
Der österreichische Quantenphysiker Anton Zeilinger wurde am Dienstag nach Bekanntwerden der Nobelpreisauszeichnung an der Fakultät für Physik der Universität Wien bejubelt.
Seit Anton Zeilinger am Dienstag um elf Uhr einen Anruf aus Stockholm entgegengenommen hat, steht seine Welt auf dem Kopf: Der österreichische Quantenphysiker wird gemeinsam mit dem Franzosen Alain Aspect und dem US-Amerikaner John Clauser mit dem Physiknobelpreis des Jahres 2022 ausgezeichnet. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ein österreichischer Wissenschafter, der auch in Österreich tätig ist, mit dem prestigereichen Preis in den Naturwissenschaften geehrt wird.
Bei der Begründung hob das Nobelkomitee der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften die bahnbrechenden Experimente mit verschränkten Quantenzuständen hervor. Bei der Verschränkung handelt es sich um eine besondere Eigenschaft der Quantenphysik, die kaum mit Worten der Alltagssprache zu erklären ist: Wenn zwei Teilchen verschränkt werden, beeinflussen Zustandsänderungen bei einem Teilchen sofort auch das andere Teilchen – selbst wenn dieses weit entfernt ist. Albert Einstein bezeichnete das ablehnend als “spukhafte Fernwirkung”.
Am Dienstag gab das Nobelkomitee für Physik der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm die diesjährigen Physiknobelpreisträger bekannt – darunter auch der Österreicher Anton Zeilinger.
Die Quantenverschränkung hat weitreichende Folgen für unser Verständnis von Raum und Zeit. Längst sind nicht alle Fragen dazu geklärt. Wie sich zeigte, ermöglicht die Verschränkung zudem auch technische Anwendungen wie Quantencomputer oder Quantenverschlüsselung. Anton Zeilinger war an einer wegweisenden Demonstration von quantenphysikalisch abgesicherter Informationsübertragung durch den chinesischen Satelliten Micius beteiligt, die vom Nobelkomitee bei der Begründung für die Auszeichnung hervorgehoben wurde.
STANDARD: Herzliche Gratulation zum Physiknobelpreis! Sie galten seit vielen Jahren als Kandidat für diese Auszeichnung. Sind Sie erleichtert, dass die Katze jetzt aus dem Sack ist?
Zeilinger: So würde ich das nicht beschreiben. Dass ich mehrfach vorgeschlagen worden bin, wusste ich. Aber wenn man dann den Anruf bekommt, ist es natürlich vollkommen überraschend. Ich freue mich wahnsinnig, dass es gelungen ist. Gerade auch für dieses Gebiet: Wir alle drei, John Clauser, Alain Aspect und ich, haben auf einem Gebiet gearbeitet, wo die Leute gesagt haben, wir sind Spinner, wir vertun unsere Zeit. Selbst in Wien, als ich angefangen habe, in diesem Bereich zu arbeiten, ist gesagt worden, dass das “Spinnerei” sei.
STANDARD: Welchen Rat würden Sie jungen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern heute gerne mitgeben?
Zeilinger: Was ich weitergeben will, ist: Wenn du an etwas dran bist, das du spannend findest, dann mach das und pfeif darauf, was andere sagen. Das ist das Allerwichtigste.
STANDARD: Als Nobelpreisträger finden Sie nun noch breiteres Gehör in der Öffentlichkeit. Welche Themen würden Ihrer Meinung nach verstärkte Aufmerksamkeit verdienen?
Zeilinger: Wichtig ist, dass Forschung nicht allein aus dem Nutzen definiert werden kann, etwa dass es dadurch einmal einen besseren Wasserkocher oder was auch immer geben wird. Bei wirklicher Spitzenforschung ist das anders: Wir alle drei – John Clauser, Alain Aspect und ich – waren davon überzeugt, dass das nie für irgendetwas gut sein wird.
STANDARD: Was lässt sich daraus für die Förderung von exzellenter Forschung lernen?
Zeilinger: Daraus folgt, dass die Forschungsförderung in Österreich, aber auch auf europäischer Ebene von diesem Pferd herunterspringen muss, wo immer mehr definiert werden muss, welchen Nutzen und welche möglichen Anwendungen es geben wird. Das ist ein Unsinn. Wenn jemand nach drei Jahren immer noch genau das tut, was er oder sie davor im Antrag vorgeschlagen hat, dann sollte ihm oder ihr das Geld weggenommen werden. Das kann nur noch fade Physik sein, wenn er oder sie auf nichts draufgekommen ist, was ein interessanteres Ziel wäre.
STANDARD: Mit dem diesjährigen Nobelpreis wird auch die Leistung des bereits verstorbenen irischen Physikers John Bell geehrt: Clauser, Aspect und Sie haben Experimente zu den Bell’schen Ungleichungen durchgeführt, durch die bewiesen wurde, dass sich die Quantenphysik nicht mit dem herkömmlichen physikalischen Verständnis von Realität oder von Lokalität oder gar beidem verträgt. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Zeilinger: Was auf jeden Fall nicht funktioniert, ist kontrafaktische Bestimmtheit: Das bedeutet, ich kann Objekten keine Eigenschaften zuordnen, ohne sie nicht tatsächlich beobachtet zu haben. Es gibt einen Widerspruch zwischen der sogenannten klassischen Realität, die natürlich auch schwer zu definieren ist, und der Natur. Das bedeutet für mich, dass unsere Auffassung von Realität falsch ist. Meine Überzeugung ist auch, dass Raum und Zeit dabei überhaupt keine Rolle spielen – es kommt bei der Realität nicht auf die zeitliche Abfolge von Beobachtungen an und auch nicht darauf, wie diese räumlich arrangiert sind. Das ist eine tiefe Erkenntnis.
STANDARD: Sie haben sich schon sehr früh für grundlegende Fragen der Quantenphysik interessiert. Was hat Sie bestärkt?
Zeilinger: Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Konferenz zum 100. Geburtstag von Niels Bohr in den 1980er-Jahren. Da bin ich als junger Mensch ganz hinten gesessen und habe zugehört. Dann ist vorn ein kleiner, alter Mann aufgestanden und hat gesagt: “We are missing a basic point. The next generation, when they have found it, they will knock on their heads and say: How could they have missed that?” Es folgte peinliches Schweigen. Ich habe mich danach erkundigt, wer der Herr ist. Es war der Nobelpreisträger Isidor Rabi, der Erfinder der Kernspintomografie. Das war für mich schon prägend. Wenn ein Mann von dieser Kapazität so ähnliche Ansichten hat wie ich, dann ist vielleicht etwas dahinter.
STANDARD: In Ihrer Forschung und auch in Ihren populärwissenschaftlichen Büchern “Einsteins Spuk” und “Einsteins Schleier” räumen Sie dem Zufall eine wichtige Bedeutung ein. Welche Rolle spielt der Zufall in unserer Alltagswelt?
Zeilinger: Ich glaube, der Zufall ist konstitutiv für die Welt. Nicht nur im Bereich von Quantensystemen, sondern immer und überall. In der Alltagswelt schaffen wir es meistens, eine Erklärung zu konstruieren. Etwa in der Gehirnforschung wird versucht, den Zufall zu erklären, zum Beispiel wie Entscheidungen getroffen werden. Vieles davon ist meiner Meinung nach aber nur eine schöne Konstruktion. Sigmund Freud hat die Kausalität ins Unbewusste eingeführt – das würde mich sehr interessieren, wie sich das beweisen lässt. Viele Gehirnforscher argumentieren mit der Kausalität, da habe ich öfter gefragt: Können Sie bei einer einzigen Entscheidung, die ein lebendes System macht, wirklich kausal verfolgen, dass diese Entscheidung so geschehen musste? Die Antwort ist immer “Nein”. Wenn ich dann frage, warum behauptet wird, dass das kausal abläuft, ist die Antwort: “Wie sollte es sonst sein.” Da muss ich aber sagen: Das ist nicht gerade die gescheiteste Antwort.
Anton Zeilinger (77) erhält mit dem Franzosen Alain Aspect und dem US-Amerikaner John Clauser den Physiknobelpreis 2022. Zeilinger studierte Physik und Mathematik an der Universität Wien und promovierte mit einer Arbeit zu Neutronendepolarisation beim Kernphysiker Helmut Rauch. 1979 folgte die Habilitation an der Technischen Universität Wien. Nach Auslandsaufenthalten u. a. in den USA, Frankreich, Australien, Deutschland und Großbritannien wurde er 1990 zum Professor an die Universität Innsbruck berufen. Seine dortigen Experimente zu Quantenteleportation machten ihn einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. 1999 folgte er dem Ruf an die Universität Wien, wo er als Vorstand des Instituts für Experimentalphysik und als Dekan der Fakultät für Physik fungierte. Zudem leitete er das von ihm mitbegründete Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften in Wien. Von 2013 bis Mitte 2022 war Zeilinger Präsident der Akademie der Wissenschaften.