Interview / Normen: „Lassen wir die Kirche im Dorf!“

Interview / Normen: „Lassen wir die Kirche im Dorf!“

Last Updated on 2020-01-20
Standards und Normen sind keine Wissenschaft, sondern können mit Hausverstand und praktischer Erfahrung durchaus bewältigt werden. Das betont DDr. Elisabeth Stampfl-Blaha, Managing Director von Austrian Standards, im INARA-Gespräch. Um am Weltmarkt erfolgreich zu sein, muss heute auch bei kleineren Unternehmen Compliance zum state-of-the-art werden. Speziell für KMU veranstaltet Austrian Standards demnächst ein Seminar, bei dem es um Compliance Management und Korruptionsbekämpfung geht.

INARA: Bitte einleitend um eine kurze Erklärung, wofür Austrian Standards steht und wie sich das Institut finanziert.
DDr. Elisabeth Stampfl-Blaha: Austrian Standards International – früher hießen wir Österreichisches Normungsinstitut – ist das österreichische Kompetenzzentrum für Normen und Standards. Wir sind eine internationale Drehscheibe für innovatives Know-how. Die ersten Normungsinstitute entstanden auf privater Basis durch Zusammenschluss der Stakeholder und zwar vor mehr als hundert Jahren im Bereich Elektrotechnik. Auch wir begehen unseren 100. Geburtstag im kommenden Jahr und wir werden ihn gebührend feiern. Als private Organisation finanzieren wir uns vorwiegend über Entgelte, die wir für unsere Produkte und Dienstleistungen – Normenverkauf, Seminare, Fachliteratur – verrechnen. Lediglich einen kleinen Teil steuern die Mitgliedsbeiträge bei, sowie Beiträge von Bund und Ländern.

INARA: Wozu braucht die Wirtschaft Normen und Standards? Können Sie uns vielleicht einige praktische Beispiele nennen?
Stampfl-Blaha: Normen, die heute fast ausschließlich auf internationaler Ebene erarbeitet werden, reflektieren den Stand der Technik. Simple Beispiele wären etwa Normen für Kinderspielzeug, die dem Verbraucher Sicherheit bieten sollen, oder die bekannten Normen für Papierformate (z.B. DIN A4), ohne die es bei Schriftstücken, Kuverts, Ordnern, Druckern usw. ein heilloses Chaos gäbe. Standards könnte man auch als Sprache einer global vernetzten Wirtschaft definieren. Die „Musik“ spielt heute zunehmend auf internationaler Ebene, Österreich mischt da kräftig mit. Standards sind nicht verpflichtend. Das zeigt sich etwa bei den Handysteckern. Die sind nicht einheitlich, Apple geht bewusst seinen eigenen Weg.

INARA: Standards wie die ÖNORMEN im Bauwesen und ISO Standards für Qualitätsmanagement sind allgemein bekannt. Wozu aber braucht man Compliance Standards?
Stampfl-Blaha: Compliance, also die Einhaltung von Gesetzen und Regeln, wird heute im Bereich Wirtschaft immer wichtiger. Gleichzeitig werden die Folgen von Compliance Verstößen immer gravierender. Es drohen nicht nur saftige Strafen und ein negatives Medienecho, auch das Haftungsthema gewinnt zunehmend an Bedeutung. International haben hier einige Fälle für großes Aufsehen gesorgt. Wir haben 2013 in der ONR 192050 erstmals konkrete Anforderungen an ein wirksames Compliance Management System definiert. Aufbauend darauf wurde Ende 2014 von der Internationalen Normungsorganisation die ISO 19600 veröffentlicht.

INARA: Was ist der Inhalt der ISO 19600 und welchen Vorteil bringt sie für den „User“?
Stampfl-Blaha: Die ISO 19600 definiert Richtlinien für Compliance Management Systeme und bietet Organisationen und Unternehmen aller Art und Größe einen internationalen akkordierten und zuverlässigen Standard für die Einrichtung und den Betrieb derartiger Systeme. Austrian Standards vergibt auch das „Fair Business Compliance Certificate“ für Compliance Management Systeme bzw. Compliance-Officer. Die Audits dafür werden von thematisch versierten Experten, wie etwa Juristen oder Wirtschaftsprüfern, durchgeführt.

INARA: Vertrauen ist gut, Compliance im Wirtschaftsleben heute eine unbedingte Notwendigkeit. Standards dafür zu haben reicht wohl nicht…
Stampfl-Blaha: Mit krimineller Energie kann natürlich jedes System ausgehebelt werden. Aber durch die Anwendung der ISO 19600 wird die Wahrscheinlichkeit von Regelverstößen durch Mitarbeiter oder Organisationsmitglieder reduziert. Weil sie allgemein anwendbar und branchenunabhängig ist, kann die Norm freilich keine Patentlösung sein. Jedes Unternehmen, jede Organisation muss sich die passende Lösung „maßschneidern“. Man darf sich nach Einführung eines normgerechten Compliance Management Systems auch nicht bequem zurücklehnen, sondern muss es laufend anpassen, wenn sich die Bedingungen verändern.

INARA: Welche Rolle spielen dabei die Mitarbeiter? Sind ihnen Compliance Vorschriften nicht sehr oft lästig?
Stampfl-Blaha: Natürlich ist es gerade bei der Compliance wichtig, dass das Management mit gutem Beispiel vorangeht – etwa durch Null-Toleranz bei Bestechung. Durch die Norm erkennen die Mitarbeiter, worum es geht. Sehr oft kommt es nicht aus bösem Willen oder Bereicherungsabsicht zu Regelverstößen. Sie passieren eher aus Unwissenheit oder Nichtverstehen und da helfen Schulungen und Überprüfungen, weil Vertrauen allein eben nicht reicht.

INARA: Große Unternehmen haben mittlerweile ausgeklügelte Compliance-Systeme und oft auch eigene Normenabteilungen. Wie sieht es bei den KMU aus und welche Entwicklung erwarten Sie hier?
Stampfl-Blaha: Erfolgreiche KMU haben längst die Vorteile eines Compliance-Management-Systems erkannt und halten die nötigen Ressourcen vor. Generell steigt das Anspruchsniveau, weil internationale Auftraggeber immer mehr Standards und Normen vorgeben. Das spüren beispielsweise die heimischen Autozulieferer.

INARA: Sind die internationalen Standards und Normen für kleinere Unternehmen nicht eine (zu) große Hürde?
Stampfl-Blaha: Lassen wir doch die Kirche im Dorf! Eine ÖNORM oder eine ISO-Norm ist keine wissenschaftliche Arbeit, man muss sie bloß aufmerksam lesen. Vieles kann mit Hausverstand und praktischer Erfahrung bewältigt werden. Wichtig wäre es, Normung zur Chefsache zu machen, also top-down. Dann ziehen auch die Mitarbeiter mit und überlegen, was sie für ihre Arbeit brauchen. Chefs, die Normung als Kinkerlitzchen ansehen und sich nicht damit beschäftigen, schädigen die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens.

INARA: Wie kann die Teilnahme am Normungsprozess die Wettbewerbsfähigkeit von Organisationen steigern, ihnen Marktvorteile bringen?
Stampfl-Blaha: Es ist quasi ein Training on-the-job. Man lernt dadurch die Kunden und den Markt kennen, Beziehungsnetze entstehen. Teure Marktstudien können wegfallen. Und wenn man an der Entwicklung von Normen hautnah dran ist, weiß man Dinge früher und kann sie in der eigenen Organisation früher anwenden. Das ist natürlich ein Vorteil. Nicht nur für privatwirtschaftliche Firmen – auch in der Verwaltung und im Bereich F&E ist die aktive Teilnahme am Normungsprozess wichtig.

INARA: Sie veranstalten am 7. Mai 2019 einen Praxistag „Compliance für den Mittelstand“. Was sind die Inhalte und wer sollte die Veranstaltung besuchen?
Stampfl-Blaha: Unser Praxistag soll das Bewusstsein schärfen und dazu beitragen, dass sich kleinere Unternehmen zunehmend auch bei Normen und Standards compliant verhalten. Neben Geschäftsführern (kaufmännische oder technische) gehören auch Compliance Officer, Rechtsanwälte usw. zur Zielgruppe. Inhaltliche Schwerpunkte der Veranstaltung sind die bereits erwähnte ISO 19600 sowie die ISO 37001. Bei dieser geht es um Anti-Bribery, also um das heikle Thema Korruption. Die Referenten, darunter auch eine Psychologin, werden Best Practice-Beispiele für die Installierung von Compliance Management Systemen präsentieren. Geschäftsführer werden über ihre Sorgfaltspflichten sowie ihre Haftung informiert und erhalten Anweisungen, wie sie sich im Krisenfall zu verhalten haben – bis hin zur Hausdurchsuchung.

Website: www.austrian-standards.at

Autorin: Dr. Brigitta Schwarzer, MBA


@Thomas Laimgruber