Interview: „Schon jetzt an die Zeit nach Corona denken“

Interview: „Schon jetzt an die Zeit nach Corona denken“

Last Updated on 2020-11-27
Infineon-Chefin Sabine Herlitschka im INARA-Gespräch über Nachhaltigkeit & Innovation, Frauen in der Technik und den besonderen Wert, den persönliche Beziehungen und Networking gerade in Zeiten der Pandemie haben.

Wegen der Corona-Pandemie ist in vielen Bereichen der Wirtschaft derzeit vor allem Krisenbewältigung angesagt. Daneben, davon ist Infineon-Chef Sabine Herlitschka überzeugt, müssen Managerinnen und Manager aber bereits jetzt – mitten in der Krise – die Weichen für die Zeit nach Corona stellen. Es gelte, daran zu arbeiten, die Unternehmen für die Zukunft möglichst gut aufzustellen. „Never waste a good crisis – könnte das Motto sein,“ meint sie. Herlitschka ist seit dem Jahr 2014 Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG mit Sitz in Villach (Kärnten), die zum börsenotierten deutschen Infineon-Konzern gehört und als digitaler Leitbetrieb in Österreich gilt. Sie zählt damit zu den einflussreichsten Frauen in der österreichischen Wirtschaft. Seit Sommer 2020 ist sie auch Vizepräsidentin der Industriellenvereinigung (IV).

Coronabedingt sind viele Menschen ins Homeoffice gewechselt, die rasche Umstellung auf Teleworking hat in den meisten Firmen gut funktioniert. Die Digitalisierung hat durch die Pandemie einen Schub bekommen, jeder hat den Nutzen unmittelbar gespürt, die Nachfrage nach weiterer Digitalisierung steigt dadurch. Dennoch lernen wir gerade jetzt persönliche Beziehungen wieder mehr zu schätzen, betont Herlitschka.

Wettbewerbsfähig dank hoher Innovationskraft

Nachhaltigkeit ist eines der großen Zukunftsthemen und bietet nach Einschätzung der Infineon-Managerin enorme Chancen. Die Krise kann dazu führen, dass Strukturveränderungen in Richtung mehr Nachhaltigkeit beschleunigt werden. „Früher haben wir von Green Tech gesprochen, heute sprechen wir von Tech for Green,“ so Herlitschka. Konkret heißt das, dass neue Technologien wie z.B. die Mikroelektronik ein Mehr an Nachhaltigkeit ermöglichen. Ein Beispiel sind etwa die Energieeffizienz-Chips, wie sie Infineon erzeugt und die als intelligente Stromschalter zum Einsatz kommen: Sie senken den Energieverbrauch in Rechenzenten, Haushaltsgeräten, sind bei E-Autos im Einsatz oder bei der Erzeugung von Photovoltaik und Windenergie. Diese spielen bei der Bewältigung der Klimakrise eine wichtige Rolle. Die Produktion von Chips war vor einigen Jahren bereits zu großen Teilen aus Europa abgewandert. Dank Knowhow und hoher Innovationskraft könne man heute hier – im Hochlohnland Österreich – Produkte erzeugen, die auch auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Mit dazu beigetragen hat die Tatsache, dass Infineon derzeit das forschungsintensivste Unternehmen Österreichs ist, erwähnt Herlitschka nicht ohne Stolz.

Die Globalisierung hat nach Auffassung der Infineon-Chefin viel an Nutzen und an Wohlstand gebracht, uns aber auch abhängig gemacht. „Wir in Europa müssen mehr auf unsere strategischen Kompetenzen schauen – vor allem in systemkritischen Bereichen,“ betont sie. Wie groß unsere Abhängigkeit von sogar sehr einfachen Produkten ist, habe sich beispielsweise im Frühjahr 2020 gezeigt, als in Europa ein enormer Mangel an Corona-Schutzmasken herrschte. Andererseits ist ein Technologie-„Ausverkauf“ für Europa höchst problematisch, exemplarisch verdeutlicht am 2016 erfolgten Verkauf des deutschen Roboterspezialisten Kuka nach China. Investitionskontrollen, wie sie jetzt in der EU, aber auch in Österreich vorgesehen sind, findet Herlitschka deshalb sinnvoll: „Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie wesentliche Kompetenzen ausverkauft werden und wir uns von China oder den USA abhängig machen.“ Die Globalisierung sei nicht abzuschreiben, sie müsse aber unter fairen Bedingungen stattfinden und nicht zum Nachteil von Europa, dazu müssen wir selber die Rahmenbedingungen richtig setzen. Daneben sei es auch wichtig, die regionale Wirtschaft zu stärken.

Mehr Frauen für die Technik

Herlitschka, die selbst an der Universität für Bodenkultur ein technisch/naturwissenschaftliches Studium absolvierte, zusätzlich einen MBA erwarb und derzeit auch stellvertretende Vorsitzende des Unirates der TU Wien ist, bedauert es, dass es an den Technischen Universitäten nach wie vor zu wenige Frauen gibt. „Technische Studienrichtungen werden noch immer mit abstrakten Formeln und höherer Mathematik assoziiert, davor schrecken viele junge Frauen zurück.“ Ihr Rezept dagegen? Es müsse gelingen, einen Brückenschlag zwischen technischen Studienrichtungen (etwa Elektrotechnik oder Bauingenieurwesen) und deren Anwendung, z.B. als Beitrag zu mehr Themen  wie Nachhaltigkeit zustande zu bringen Wichtig wäre es also, Technik anders, stärker ausgerichtet an den Anwendungen und in gewisser Weise „sinnstiftender“ zu vermitteln als das heute in vielen Fällen passiert. Es ist doch hochspannend, wie Technik beispielsweise ermöglichen kann, die Klimakrise zu bewältigen, meint sie.

Stärker lösungsorientiert denken

Die Managerin ist überzeugt, dass unbedingt mehr Frauen in der Technik gebraucht werden. Umgekehrt bieten technische Ausbildungen hochattraktive Möglichkeiten gerade für Frauen. Gerade bei technischen Studienrichtungen zeigen Studien, dass schon die Änderung der Bezeichnung hin zu mehr Anwendungsorientierung dazu beiträgt, dass sich mehr Frauen dafür interessieren.

Firmen, vor allem natürlich in der Industrie, dürfen sich heute keinen Stillstand leisten, sie müssen quasi lernende Organisationen sein. Das gilt nach Ansicht von Herlitschka aber auch für die Menschen: „Wir müssen aus unserem Schubladendenken herauskommen und dürfen nicht nur von Innovation, Digitalisierung usw. reden, sondern müssen uns auch selbst in diese Richtung entwickeln.“ Vernetztes Denken sei jetzt für jeden einzelnen angesagt. Herlitschka verweist in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen neu gegründeten Unternehmen, die mit innovativen Ideen sowie Mut und Zivilcourage bei der Umsetzung punkten. Das sei übrigens keine Frage des Alters, betont sie.

Neue Netzwerke sind jetzt gefragt

Corona habe uns gezeigt, was wichtig ist, meint Herlitschka. Gerade in der von der Pandemie ausgelösten größten Krise seit dem 2. Weltkrieg geht es einerseits um echtes Krisenmanagement. Andererseits aber auch darum, jetzt die Weichen für den „Tag danach“ zu stellen. Die spannendsten Innovationen finden immer an den Schnittflächen von unterschiedlichen Disziplinen statt. Deshalb geht es auch um neue Netzwerke, neue Arten der Zusammenarbeit und um das Verschränken von unterschiedlichen „Communities“.

Das Leben nach Corona wird anders sein als das davor. Wie wollen wir es gestalten? Was ist uns wichtig? Das gilt es aktiv zu gestalten, sonst wird man gestaltet, das gilt für uns als Gesellschaft wie auch für jeden einzelnen, „und ich nehme mein Leben am liebsten selber in die Hand“.

 


@ Infineon Austria

www.infineon.at

Autorin: Brigitta Schwarzer