Interview: Solidarität mit den Frauen im Iran!

Interview: Solidarität mit den Frauen im Iran!

Last Updated on 2023-01-18
Max Fatouretchi ist gebürtiger Iraner und war erst vor kurzem wieder einmal in seiner ehemaligen Heimat. Im INARA-Interview schildert er seine Eindrücke und berichtet über die große Protestwelle im Land, die nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini im Polizeigewahrsam ausbrach und bis heute andauert. Fatouretchis Appell: Wir sollten die mutigen Frauen des Iran, die unter dem Regime am meisten leiden, unterstützen.

INARA: Bitte sagen Sie uns zuerst etwas zu Ihrer Person!

Max Fatouretchi: Ich wurde 1957 in Teheran geboren und wollte schon als Kind die Welt, ja das ganze Universum erkunden. 1975 ging ich nach Italien, später nach Österreich, wo ich an der TU Wien Informatik studierte. Meine Arbeit in diesem Bereich führte mich u. a. ins Silicon Valley, insgesamt hatte ich als Manager in der IT-Branche Jobs in fünf verschiedenen Ländern auf drei Kontinenten. Dass ich insgesamt sechs Sprachen spreche, war dabei durchaus hilfreich.


@ Privat

INARA: Die aktuelle Situation in Iran macht betroffen und wütend. Es wurden bereits 500 Demonstranten getötet, rund 20.000 Menschen verhaftet, einige sogar hingerichtet. Viele von uns fragen sich, was wir für die Menschen im Iran tun können.

Fatouretchi: Wir können ihren Protest unterstützen, indem wir ihre Stimme sind und das Unrecht, das im Iran geschieht, anprangern. Weil das Internet vom Regime abgeschaltet wurde, müssen wir die Stimmen der Iranerinnen und Iraner weltweit auf allen Plattformen verstärken.

INARA: Worunter leiden die Menschen im Iran am meisten und was sind ihre wichtigsten Forderungen bzw. Wünsche?

Fatouretchi: Die Iraner leiden sowohl unter der extrem schlechten wirtschaftlichen Situation, die vor allem von den US-Sanktionen verursacht wird, als auch unter der unfähigen iranischen Regierung. „Das Land wird heute von einem Haufen Schwachköpfe regiert,“ schrieb vor kurzem ein prominenter Autor in den sozialen Medien. Die Menschen im Iran fordern, dass die Grundfreiheiten und ihre individuellen Menschenrechte endlich eingehalten werden. Derzeit werden die Iraner:innen durch ein totalitäres Regime unterdrückt, das sich an die Macht klammert und diese mit allen nur denkbaren repressiven Maßnahmen verteidigt. Es werden täglich Journalisten, Künstler, Musiker, Sportler und einfache Frauen und Mädchen inhaftiert, manche sogar getötet, weil sie an friedlichen Protesten teilnehmen. Ein prominenter Reformpolitiker und ehemaliger stellvertretender Minister wurde wegen „Propaganda“ gegen das islamische Regime zu acht Jahren Haft verurteilt.

INARA: Massenproteste gegen das Regime hat es im Iran seit der Islamischen Revolution 1979 immer wieder gegeben, zuletzt in den Jahren 2008 und 2019. Was ist diesmal anders?

Fatouretchi: Die Protestwelle dauert trotz der Repression bereits über Monate an und sie ist viel breiter. Es sind nicht nur Studenten, sondern Menschen jedes Alters und aus allen Schichten, die gegen das Regime auf die Straße gehen. Selbst Schulmädchen protestieren, sie wollen keine Vorschriften mehr, die sie einschränken, sie wollen singen, tanzen, anziehen, was ihnen gefällt – ja einfach normale Mädchen sein. Es handelt sich also um eine organische Bewegung, die sich über alle Städte, alle Geschlechter, alle Religionen und alle Altersgruppen im Iran erstreckt. Wie ich bereits erwähnte, beteiligen sich sogar Kinder daran und das Regime geht auch gegen sie mit aller Brutalität vor. So wurde vor kurzem eine 12-jährige Schülerin, die sich weigerte, ein regimetreues Lied zu singen, zunächst in ihrem Klassenzimmer verprügelt und dann von den Sicherheitskräften getötet. Das löste weitere landesweite Proteste aus.

INARA: Die Lage der Frauen im Iran war ja schon seit Jahren sehr schwierig.

Fatouretchi: Die Frauen im Iran sind Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen, sie leiden unter der Frauenfeindlichkeit des Regimes und einem ausgeprägten Fanatismus. So ist es ihnen beispielsweise verboten, zu schwimmen, mit einem Fahrrad zu fahren oder ein Fußballstadion zu betreten. Wieviel Haar Frauen in der Öffentlichkeit zeigen, welche Kleidung sie tragen dürfen, oft sogar die Kleidungsfarbe – darüber bestimmen einige fanatische Mullahs und ihre wenigen ebenso fanatischen Anhänger

 


Foto via @AlinejadMasih auf Twitter

Frauen im Iran: Opfer von schwersten Menschenrechtsverletzungen, Frauenfeindlichkeit und religiösem Fanatismus

INARA: Die aktuelle Protestwelle entzündete sich am gewaltsamen Tod einer jungen Frau, die angeblich gegen die strikten Kleidungsvorschriften verstoßen hat, und sie wird vor allem von Frauen getragen. Was geht in diesen Frauen vor, die teilweise in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher verbrennen und sich die Haare abschneiden?

Fatouretchi: Ich habe den Eindruck, dass die iranischen Frauen seit langem auf einen solchen Moment gewartet haben. Das ist eine Revolution ohne Führer. Die Frauen sagen, wir brauchen keinen Anführer, denn in der Vergangenheit wurden die Anführer alle ins Gefängnis gesteckt, gefoltert und getötet, als die Proteste für das Regime lebensbedrohlich wurden.

INARA: Eine freie und unabhängige Berichterstattung war dem Mullah-Regime schon seit längerem ein Dorn im Auge. Was passiert jetzt mit den Medien?

Fatouretchi: Die Presse unterliegt im Iran einer strengen Zensur, dort werden die Unruhen verurteilt, teilweise sogar die Existenz von Protesten geleugnet. Journalisten und Dissidenten im Iran, die wahrheitsgetreu über die Proteste berichten, riskieren ihr Leben. Selbst Fotos können gefährlich werden. So wurde eine iranische Journalistin verhaftet, weil sie ein Foto veröffentlicht hatte, das die Eltern von Mahsa Amini zeigte, die sich im Krankenhaus von ihrer sterbenden Tochter verabschiedeten. Skurril ist der Fall einer iranischen Fotografin, die an den Protesten teilgenommen hatte. Sie muss nun zwei Monate lang bei der Parkreinigung mitarbeiten, ihren Beruf darf sie nicht mehr ausüben.

INARA: Das Regime hat offenbar Angst und versucht alles, was irgendwie nach Protest aussieht, zu bekämpfen. Können Sie uns dafür weitere Beispiele nennen?

Fatouretchi: „Baraye“ ist das am häufigsten heruntergeladene Lied in der Geschichte des Iran. Es geht dabei nicht um Widerstand gegen das Regime, sondern einfach um den Wunsch nach Menschenwürde und Freiheit. Nachdem es binnen 48 Stunden 40 Millionen Downloads gegeben hatte, wurde der junge Songwriter verhaftet. Man versuchte, ihn zu einem Geständnis zu zwingen, dass er den Song zur Unterstützung des Regimes geschrieben hat. Was für eine Schande!

INARA: Gibt es in der aktuellen Situation im Iran auch so etwas wie einen Hoffnungsschimmer?

Fatouretchi: Ein paar wenige positive Meldungen gibt es doch. So hat das Militär beispielsweise erklärt, dass es mit dem brutalen Vorgehen gegen die Demonstranten nichts zu tun hat. Berichten zufolge rekrutiert das Regime ausländische Kämpfer, um die Bewegung zu unterdrücken. Diese Bewegung ist inzwischen global geworden, Frauen aus der ganzen Welt – auch muslimische Frauen – melden sich zu Wort und sagen: „Wer seid ihr, dass ihr anderen vorschreibt, wie sie zu leben haben, was sie anziehen und was sie sagen sollen.“

INARA: Sie waren kürzlich selbst im Iran. Was haben Sie dort erlebt?

Fatouretchi: Ich bin in den Iran gereist, um in mehreren Städten und Regionen Filmaufnahmen und Interviews zu machen, die ich für mein nächstes Buch verwenden wollte. Natürlich hatte ich alle nötigen Erlaubnisse und Drehgenehmigungen eingeholt. Am 9. Tag unserer Reise, die Protestwelle wegen des Todes von Mahsa Amini war bereits im Gang, kam plötzlich die Geheimpolizei in unser Hotel. Die Pässe wurden uns abgenommen, wir wurden stundenlang verhört und schließlich aufgefordert, nach Teheran zurückzukehren und das Land mit dem nächsten Flug zu verlassen. Eine Begründung für all das haben wir nie bekommen.

INARA: Die Meldungen, die aus dem Iran kommen, schrecken wohl viele Menschen von einem Besuch des Landes ab. Können Sie das verstehen?

Fatouretchi: Die Meldungen aus dem Iran machen natürlich betroffen. Ich möchte Sie dennoch ermutigen, das Land zu besuchen. Der Iran ist eines der erstaunlichsten Länder der Erde mit einem mehr als 7.000 Jahre alten kulturellen Erbe und den gastfreundlichsten Menschen, die ich kenne. Die meisten Touristen aus dem Westen sind vom Iran, seiner Kultur, seiner Landschaft und seinen Menschen hellauf begeistert. Als Tourist sind Sie sicher, wahrscheinlich sicherer als in den meisten anderen Ländern der Welt. Lassen Sie die Iraner nicht allein und seien Sie die Stimme des iranischen Volkes, wenn Sie zurückkehren, so wie ich es jetzt bin.

INARA: Sie haben auch einen Iran-Reiseführer verfasst. Wie kam es dazu?

Fatouretchi: Ich habe immer gern geschrieben, zunächst aber nur über betriebswirtschaftliche und technische Themen. Während der Corona-Lockdowns hatte ich mehr Zeit und beschloss, ein Buch über Persien zu schreiben, wie ich es in meiner Jugend und bei meinen vielen Reisen erlebt habe. Das Buch „Persien 1001 Nacht“, welches das Verständnis des Westens für dieses faszinierende Land fördern soll, wurde in mehrere Sprachen übersetzt, mittlerweile ist bereits die 2. Auflage auf dem Markt. Einen Teil des Erlöses geht an den UNHCR, das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen.

Buchbeschreibung: Reisen Sie mit diesem Buch durch das historische Persien, allein oder mit Ihrem Reiseführer! Mehrere Monate Recherche stecken in diesem Kulturreiseführer für den Iran. Auf 135 Seiten gibt der Autor kompetent recherchierte Hintergrundinformationen, Tipps und Hinweise für die Planung einer zweiwöchigen Reise, beschreibt die interessantesten Sehenswürdigkeiten und präsentiert seine persönlichen Entdeckungen und Tipps. Der Reiseführer kann über Amazon bezogen werden (Persien 1001 Nacht: Kultur und Reiseführer Iran : Fatouretchi, Max: Amazon.de: Bücher)

Autorin: Brigitta Schwarzer