Interview: „Verlagern Arbeitsplätze nach Österreich“

Interview: „Verlagern Arbeitsplätze nach Österreich“

Last Updated on 2021-05-28
Mag. Julia Kistner / Börsen-Kurier Nr. 19 vom 13. Mai 2021

Kapsch TrafficCom wird schlanker, bevor man weiter expandiert.

Nach einem verflixten Geschäftsjahr 2020/2021 spricht Georg Kapsch, der CEO von Kapsch TrafficCom, im Interview mit dem Börsen-Kurier aktuell von einem Aufbaujahr. Der Mautsysteme-Spezialist konzentriert wichtige Teile der Entwicklung am Standort Österreich. Während im Ausland Beschäftigte abgebaut werden, rekrutiert das Unternehmen hierzulande neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Börsen-Kurier: Herr Kapsch, was und wo sind denn aktuell die Großbaustellen von Kapsch TrafficCom? Wo wittern Sie Neugeschäft?
Georg Kapsch: In Österreich wird in den nächsten Jahren sicherlich kein neues Mautsystem ausgeschrieben werden. Hier liegt unser Potenzial in den Städten. Wir machen aber mehr als 95 Prozent des Geschäfts außerhalb Österreichs. Weltweit bewegen wir uns in einem Nischenmarkt von gerade einmal vier bis fünf Mrd. Euro. In dieser Nische sind wir jedoch die Einzigen, die beides anbieten: Maut und Verkehrsmanagement. Regional sehen wir die großen Potenziale in Europa, aber auch in den USA. Wenn Sie von Baustellen sprechen, dann ist für uns positiv, dass wir auch hier beides tun: wir bauen auf und sanieren.

Börsen-Kurier: In den vergangenen Jahren hatten Sie auch bei sich viel zu sanieren.
Kapsch: Ich muss zugegeben, man macht Fehler. Wir haben in den USA den Umsatz kräftig gepusht. Das Ausmaß des Erfolgs bei Ausschreibungen überstieg aber deutlich unsere Erwartungen. Das führte dazu, dass wir die vielen Aufträge, die wir angenommen hatten, einfach nicht mehr abwickeln konnten. Das hat uns zig Millionen Euro gekostet. Wir mussten Pönalen zahlen, pauschalierten Schadensersatz und, und, und. Auch sind wir in Regionen gegangen, in die sich andere in unserer Industrie nicht gewagt haben. Wir mussten in Sambia in Afrika ein riesiges Projekt, das wirklich sehr gute Zukunftsaussichten hatte, schlicht und ergreifend mit 27 Mio. Euro abschreiben. Etwas Ärgerliches ist uns in Südafrika passiert. Wir waren Bestbieter bei einer Ausschreibung, waren von einigen politischen Spielern nicht gewünscht, und schon wurde die Ausschreibung aufgehoben. Aber so etwas passiert auch im Herzen Europas. In Deutschland ist uns ja Ähnliches widerfahren. Wir haben den größten Auftrag der Unternehmensgeschichte gewonnen, gemeinsam mit einem Partner ein zwei Milliarden-Projekt. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs war eine Komponente des Mautkonzepts nicht konform mit EU-Recht. Anstatt nach einer Lösung zu suchen, hat der Kunde den Auftrag gekündigt.

Börsen-Kurier: Das sind die 560 Mio. Euro, die das Konsortium noch einklagt, oder?
Kapsch: So steht es in den Zeitungen. Aus rechtlichen Gründen dürfen wir nichts sagen. Wir werden aber sicherlich nicht klein beigeben.

Börsen-Kurier: Auch in Tschechien haben Sie Probleme.
Kapsch: Dort war der Vertrag auf zehn Jahre angelegt, ist verlängert worden, dann aber 2019 ausgelaufen und es gibt für uns auch kein Nachfolgegeschäft.

Börsen-Kurier: Wurden nicht gerade in Ihrem Nischenmarkt Aufträge im Pandemie-Jahr zurückgestellt?
Kapsch: Hätten Sie mich vor einem Jahr gefragt, hätte ich gesagt: Covid wird an unserer Branche vorübergehen, ohne dass wir es merken. Dem ist nicht so. Der Umsatz unserer Mautgeräte in den Fahrzeugen ist etwa um ein Drittel eingebrochen. Ausschreibungen wurden verschoben, Aufträge in die Länge gezogen. Unser Unternehmen war ausgerichtet auf 800 Mio. bis zu einer Mrd. Euro Umsatz. Im abgelaufenen Geschäftsjahr sind wir auf rund 500 Mio. Euro zurückgefallen. Daher müssen wir unsere Organisation erst einmal effektiver gestalten, um dann wieder zu wachsen. Ich mache das nicht zum ersten, sondern mittlerweile zum dritten Mal. Es macht mir wenig Freude.

Börsen-Kurier: Sie beschäftigen derzeit 5000 Mitarbeiter weltweit. Wo müssen Sie hin, um Ihr Team an den Umsatz anzupassen?

Kapsch: Wir werden in Summe rund 800 Mitarbeiter abbauen müssen, der Großteil ist aber nicht in Österreich. Hier nehmen wir gerade wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf, weil wir aus anderen Ländern nach Österreich verlagern. Vor allem im Entwicklungsbereich führen wir viele Standorte zusammen. Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Unternehmen akquiriert und so eine enorme Anzahl an Standorten dazubekommen.

Börsen-Kurier: In welchen Ländern bauen Sie Personal ab?
Kapsch: Wir haben massiv in Afrika reduziert, aber auch in Standorten in Nordeuropa und teilweise in den USA. Je mehr wir wieder in Richtung Services gehen, desto mehr Mitarbeiter werden wir wieder brauchen.

Börsen-Kurier: Was erwarten Sie sich da noch von den Biden-Billionen?
Kapsch: Von den Biden-Billionen erwarte ich mir nicht allzu viel. Bis jetzt hat noch jeder US-Präsident, der ins Amt gekommen ist, gesagt, wir investieren in Infrastruktur. Wenn diese Milliarden kommen, dann könnten wir schon einen kleinen Hebel haben. Sie fließen primär in die Bauwirtschaft und wenn es mehr Infrastruktur gibt, braucht es auch mehr Verkehrsmanagement und Mautsysteme.

Börsen-Kurier: Hilft Ihnen auch das Europäische Konjunkturprogramm „Next Generation EU“?
Kapsch: Wir sind mit unseren Leistungen ein Teil dieses Green Deals und insofern sind wir auf diesem Mega-Trend genau drauf. Unsere Produkte tragen dazu bei, CO2, aber auch Feinstaub zu reduzieren. Feinstaub ist nämlich das wahre Problem, weil der bleibt Ihnen bei E-Mobilität genauso.

Börsen-Kurier: Sie sprachen vom verflixten Geschäftsjahr 2020/2021. Ihre Verluste haben sich auf 124 Mio. Euro verdreifacht. Wie würden Sie 2021/2022 betiteln?
Kapsch: Als das Aufbaujahr, das nächste Erfolgsjahr. Das letzte Jahr 2020/2021 bezeichne ich zwar immer noch als verflixt, aber auch als ein Jahr, in dem wir an uns selbst gearbeitet haben. Um unsere Struktur zu ändern, unsere Prozesse zu verschlanken und um näher an den Kunden zu kommen.

Börsen-Kurier: Und wo liegen jetzt die großen Potenziale?
Kapsch: Wir haben eine Strategie 2027 entwickelt. Da gibt es vier Kernbereiche: Bereich Nummer Eins ist natürlich das Thema Maut. Kernbereich Nummer Zwei: Klassisches, aber auch Intelligentes Verkehrsmanagement. Schwerpunkt Nummer Drei: Demand Management, das heißt: Mit welchen Systemen, Plattformen und Algorithmen schaffen wir es, die vorhandene Infrastruktur hinsichtlich Verkehrsfluss zu verbessern und Staus zu reduzieren? Da gibt es schöne Projekte in Südamerika. Wir starten auch schon mit Projekten in Nordeuropa. In welchen Städten genau, darf ich Ihnen nur noch nicht sagen. In diesem Bereich sind wir auch in den USA aktiv, da hilft uns natürlich Biden mit seiner Klimaschutzpolitik. So wird stärker in unsere Technik investiert. Der vierte Block sind Mautdienste wie unsere Maut-App, wo Sie über Ihr Handy die Maut bezahlen. Wir haben damit in Kalifornien begonnen und rollen dies schrittweise über ganz USA aus. Es folgen Texas und Virginia, dann Massachusetts. Alle zwei bis drei Wochen erschließen wir einen neuen Staat mit unserer Maut-App Hier sind wir auch erstmals im Endkundengeschäft. In Europa gibt es in diesem Segment zwei Bereiche. Das ist der Europaweite Mautdienst für Lkws, den unsere deutsche Tochter tolltickets anbietet, und wir gehen auch zu den Endverbrauchern mit einem System, mit dem Sie Ihre Maut europaweit bezahlen können.

Börsen-Kurier: Das heißt, Sie haben noch nicht genug von Deutschland, und nehmen dort weiterhin auch an öffentlichen Ausschreibungen teil?
Kapsch: Natürlich. Ich gebe doch nicht klein bei. Deutschland ist ein riesiger Markt. Deutschland hat viele große Städte. Ein deutschlandweites Mautsystem kommt wohl nicht so schnell, aber irgendwann dann doch.

Börsen-Kurier: Die Abschreibungen im Vorjahr haben viel Geld gekostet. Ihre Eigenkapitaldecke ist mit 14 Prozent nicht mehr die dickste.
Kapsch: Die 14 Prozent machen mich nicht nervös. Ich hab in meinem Leben auch schon mit sechs oder acht Prozent gelebt, auch wenn es nicht so lustig ist. Beim zu erwartenden künftigen Geschäftsverlauf können wir die Eigenkapitalquote auch wieder aufbauen. Wir wollen auch nicht wieder zurück auf 50 Prozent Eigenkapitalquote, mit 30 Prozent sind wir sicherlich gut gerüstet. Allerdings, auch wenn wir uns von der Hauptversammlung Aktienrückkäufe genehmigen lassen haben, werden wir derzeit keine durchführen.

Börsen-Kurier: Planen Sie Kapitalerhöhungen?
Kapsch: Auch nicht. Ich möchte mich nicht verwässern lassen. Ich glaube an das Unternehmen. Es liegt mir sehr am Herzen. Ich habe es aufgebaut von null. Nur weil man einmal eine harte Zeit hat, heißt das nicht, dass man nicht mit der gleichen Passion an den Dingen dran ist. Ich kann mich auch seit Mitte vergangenen Jahres, seit ich nicht mehr IV-Präsident bin, wieder voll dieser Aufgabe widmen und das wirkt bereits.

Börsen-Kurier: Wären Sie noch Präsident der Industriellenvereinigung, welchen wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf würden Sie sehen?
Kapsch: Ich war immer einer, der polarisiert hat, der immer seine offene Meinung auch gegenüber der Regierung geäußert hat, der ein wenig in Konfrontation gegangen ist. Ich glaube, das würde uns heute auch nicht schlecht tun, wenn so manche Institution ein wenig mehr mit der Regierung in Konfrontation gehen würde. Es liegt mir aber fern, von der Seite hineinzurufen. Ich finde aber, die Politik hat sich in der Pandemie zu sehr darauf konzentriert, wie man Geld ausgibt, aber nicht unbedingt darauf, wie man in Zukunft Geld einnehmen könnte. Man hat sich keine Gedanken gemacht, wie man ein Steuersystem neu aufstellen könnte. Das muss man aber tun. Mit der derzeitigen Steuerstruktur werden wir als Land nicht überleben können. Denn wir können die Steuersätze nicht noch weiter erhöhen – das ist völlig undenkbar. Und die einzigen neuen Steuern, die ich mir vorstellen könnte, sind auf europäischer Ebene. Das sind zum einen eine CO2-Steuer und eine Border-Tax und andererseits eine europäische, sinnvolle Finanztransaktionssteuer. Da kämen mit kleinen Beträgen Milliarden zusammen und man würde nebenbei noch ungewollte Spekulationen in den Griff bekommen. Im Gegenzug müssten dann aber andere Steuern gesenkt werden.

Börsen-Kurier: Was halten Sie vom Vorschlag der Umweltministerin, die Mineralölsteuer an die Entwicklung des CO2-Ausstosses zu koppeln?
Kapsch: Nicht allzu viel. Das muss man erst einmal überwachen können. Generell sollten wir die Steuern nicht weiter erhöhen. Das ist unsinnig, vor allem dann, wenn man sie nicht zweckwidmet.

Börsen-Kurier: Zurück zu Ihrer Aufbruchstimmung im Jahr 2021/2022. Was begründet Ihren Optimismus?
Kapsch: Im vergangenen Jahr waren die Wertberichtigungen höher als der operative Verlust. Das operative Geschäft war deutlich besser als die Zahlen es auf den ersten Blick erwarten lassen. Wir haben es bereits weitgehend geschafft, das Unternehmen so aufzustellen, dass es auch auf einer deutlich geringeren Umsatzbasis profitabel sein kann. Das war unser Ziel und das werden wir auch so erreichen.