Interview: Wiener-Börse-Chef: „Aus Spekulanten werden Investoren”

Interview: Wiener-Börse-Chef: „Aus Spekulanten werden Investoren”

Last Updated on 2021-04-15
standard.at / Bettina Pfluger, 28.03.2021

Christoph Boschan plädiert für die Wiedereinführung einer Behaltefrist und fordert steuerliche Anreize für Anleger.

Viele Privatanleger haben in der Corona-Krise die Börse für sich entdeckt. Gleichzeitig kam es zu Hypes rund um Gamestop und Krypto-Assets. Christoph Boschan erinnert das an seine Anfangszeit, als die damals jungen Wilden den greisen André Kostolany ausgelacht haben.

STANDARD: Viele Menschen haben in der Corona-Pandemie ein Wertpapierdepot eröffnet und erste Schritte am Kapitalmarkt gemacht. Sie sagen ja schon lange, dass sich die Menschen an die Börse wagen sollen, weil diese eine Maschine zur Umverteilung des Wohlstands sei. Ziel erreicht?

Boschan: Dass sich mehr Menschen jetzt an die Börse trauen, dokumentiert zwei Dinge: Erstens zeigt es, dass die Menschen intrinsisch motiviert sind – und das ist immer die beste Option. Zweitens zeigt es, dass der technische Zugang nun gelegt ist. Jetzt braucht es aber ein Drittes: Nämlich das Wissen, wie mit dem Markt umzugehen ist. Hier gilt: langfristig engagieren, breit streuen, auf die Kosten achten und regelmäßig investieren. Andere Strategien sind für Private nicht einträglich.

STANDARD: Viele Apps waren zuletzt gehypt. Etwa Robinhood als Broker, Reddit, über das sich Gamestop-Akteure abgesprochen haben. Es kam zu einer Zockerei mit der Aktie. Ist das eine gesunde Marktentwicklung?

Boschan: Einerseits nein, weil ein einfacher Blick auf den Chart von Gamestop zeigt, dass diese Entwicklung für den Marktzugang breiter Bevölkerungsschichten abschreckend wirken kann. Andererseits aktiviert das auch viele Leute, und zur Wahrheit gehört auch, dass der Marktzugang neuer Anlegerschichten oft über Spekulation geschieht. Viele schaffen aber den Übergang von der Spekulation in die Investition. Österreich ist hier ein gutes Beispiel. 2007 war der Markt recht überstrapaziert. 14 Jahre später sieht die Realität ganz anders aus. Die Investorenbasis ist jetzt viel breiter und langfristig orientiert. Die Aktien sind normal bewertet und haben Potenzial. Unser dem Dax entsprechender ATX-TR kratzt an seinen alten Rekorden. Die jüngere Börsengeschichte in Österreich ist eine gute Reflexion des aktivierenden Werts der Spekulation. Denn davon bleibt etwas und das ist etwas volkswirtschaftlich Positives.

STANDARD: Die Börsen scheinen sich von der Realwirtschaft – Konjunktureinbruch, Pandemie – abgekoppelt zu haben. Ist das ein guter Zeitpunkt für einen Einstieg?

Boschan: Wir haben gerade eine geteilte Börsenwelt. Durch das „quantitative easing” der Notenbanken gibt es gigantische Vermögensmassen, die Anlagen suchen. Das führt zu einer Asset-Inflation, vor allem in jenen Bereichen, die von der Pandemie profitiert haben. Jeder sollte sich aber die Ur-Fragen des Investierens stellen: Was tut das Produkt bzw. die Dienstleistung? Wozu ist sie da? Wie wird sie vergütet und welche Erträge für das Unternehmen entstehen daraus? Die heutige Bewertung eines Unternehmens sollte die Summe seiner zukünftigen Gewinne in einem akzeptablen Zeitraum sein.

STANDARD: Gehypt sind gerade auch Krypto-Assets. Sie haben sich diesbezüglich zuletzt kritisch geäußert. Andererseits hat dieser Hype Österreich mit Bitpanda sein erstes Einhorn beschert …

Boschan: Ja, Letzteres ist sehr zu begrüßen. Selbst wenn es auf der Welle eines umstrittenen Produkts zustande gekommen ist. Doch wenn Bitcoin eine Zukunft haben sollte, dann nur mit Akteuren wie Bitpanda, die sich seit Jahren mit den Vorgaben für KYC (Know your Costumer, Anm.) und Geldwäschethemen sowie mit Transparenz beschäftigen. Das Niveau hat nicht jeder Player am Markt.

STANDARD: Sie sehen Krypto-Assets skeptisch. Warum listet die Wiener Börse dann Krypto-ETFs?

Boschan: Die Wiener Börse listet rund 17.000 verschiedene Finanzinstrumente. Darunter sind zwei Exchange Traded Products (ETPs) mit Krypto-Unterlying, die aufsichtsrechtlich genehmigt sind und einem überwachten Handel unterliegen.

STANDARD: Die Meinungen zu Bitcoin reichen von Allheilmittel bis zu Verachtung, weil es aufgrund der Anonymität auch die präferierte Währung im Darknet ist. Dennoch wollen Zahlungsdienstleister wie Paypal oder Mastercard Bitcoin als Bezahlmöglichkeit anbieten. Wird es damit gelingen, Bitcoin gesellschaftsfähig zu machen?

Boschan: Das ist tatsächlich faszinierend am Bitcoin. Er ist in der Lage, eine Querfront von Befürwortern hinter sich zu versammeln. Von Anarchisten bis Wirtschaftsliberalen, von Philosophen bis Hardcore-Technikern. Von Spekulanten bis Realisten. Gleichzeitig überlebt das Produkt Skandale, wo jedes andere Produkt vom Markt schon längst verschwunden wäre. Gesellschaftsfähig würde für mich immer einen breiten gesellschaftlichen Nutzen voraussetzen. Diese Anwendungsfrage wird derzeit umfangreich diskutiert und harrt ihrer Beantwortung. Nur steigende Preise für ein Anlageprodukt reichen dauerhaft nicht.

STANDARD: Derzeit schwirren viele Themen umher: digitaler Euro, Inflation, das Ende des Geldes – woran sollen sich Anleger orientieren?

Boschan: Die aktuelle Themenflut schreit tatsächlich nach einer Komplexitätsreduktion. Ein breit angelegtes Portfolio ist so eine Reduktion. Denn es erinnert an die Wahrheiten am Markt. Woher kommt unser Wohlstand? Von Unternehmen, die Waren und Dienstleistungen an den Markt bringen und Jobs schaffen. Ein breites Portfolio ermöglicht Teilhabe an langfristigem, substanziellem Wachstum. Alle anderen Versuche, bestimmte Zyklen, Branchen, Trends zu tracken, können erfolgreich sein – sie bringen aber auch viel Stress für die Anleger mit. Für Private ist das eher nichts. Diese einfache Antwort steht auch für mich am Ende einer langen Bildungsreise.

STANDARD: Klingt aber nach einer einfachen Lektion …

Boschan: Ja, ich wäre froh, wenn mir das jemand vor vielen Jahren gesagt hätte. Ich bin ein Kind des Neuen Marktes und weiß noch, wie wir damals drauf waren – das ist vergleichbar damit, wie sich die Leute heute auf Reddit vernetzen. Wir waren damals auch der Meinung, alte Vorsätze über Bord zu werfen. Heute schäme ich mich geradezu dafür, wie wir den greisen Kostolany auslachten, als er uns das Ende des Neuen Markts beschwor. This time it’s different – das ist der teuerste Satz am Aktienmarkt. Aber es sind aus dieser Zeit auch viele Investoren geblieben, die jetzt langfristig veranlagen. Man muss immer den Gesamtkontext anschauen. Dann relativieren sich Boom und Bust, und man bekommt eine Mittellinie, und um die geht es.

STANDARD: Was braucht es, damit der Kapitalmarkt weiterhin gut belebt wird?

Boschan: Privates Kapital sollte zur Bewältigung der Krise aktiviert werden. Dafür braucht es beispielsweise die Wiedereinführung einer Behaltefrist und eine damit verbundene steuerliche Erleichterung. Das fördert die ruhigen Hände am Kapitalmarkt gegenüber den zittrigen. Die Länder, die einen entwickelten Kapitalmarkt haben, werden sich auch schneller und besser von der Corona-Krise erholen – mit weniger politischen und gesellschaftlichen Folgen. (Bettina Pfluger, 28.3.32021)

Christoph Boschan (42) startete seine Berufslaufbahn 1999 als Wertpapierhändler bei Tradegate. Vor seinem Wechsel an die Wiener Börse war er unter anderem Joint-CEO bei der Börse Stuttgart sowie Vorstand der Euwax.

Quelle: Wiener-Börse-Chef: “Aus Spekulanten werden Investoren” – Geld – derStandard.at › Wirtschaft